Ölspeicher
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Hoher Ölpreis

Riskante Wette von Riad und Moskau

Der Ölpreis hat ein Zehnmonatshoch erreicht und könnte bald die 100-Dollar-Marke durchbrechen. Für Saudi-Arabien und Russland, die seit dem Sommer den Preis durch ein Zurückfahren der Förderung nach oben treiben, sind das gute Nachrichten. Ihre Einnahmen sind drastisch gestiegen. Die Taktik könnte allerdings zum Bumerang für die Ölgiganten werden. Denn sie könnten damit die globale Konjunktur treffen – und damit sich selbst.

Der Ölpreis ist heuer ständig nach unten gegangen – bis im Juli Saudi-Arabien die Fördermenge um eine Million Fass pro Tag abrupt zurückdrehte. Und das zusätzlich zu Förderkürzungen, die die OPEC+ (also in Kooperation mit Russland) zuvor bereits vereinbart hatte. Russland schloss sich Riad mit 500.000 Fass weniger im August an. 1,5 Mio. Fass sind bei einem weltweiten täglichen Verbrauch von rund 100 Mio. Fass eine beachtliche Größe, mit entsprechenden Preisanstiegen seit dem Sommer – spürbar auch an den Zapfsäulen rund um den Globus.

Anfang September verlängerten die beiden Ölgroßmächte ihre Kürzungen bis Jahresende. Man wolle damit den Ölmarkt stabiler und vorhersehbarer machen, lautete die Begründung.

Russisches Öl deutlich über Sanktionsdeckel

Der Ölpreis, der heuer lange bei rund 80 Dollar verharrte, könnte nun demnächst die 100-Dollar-Marke durchbrechen. Hedgefonds wetten bereits verstärkt auf Preise jenseits der 100 Dollar, wie unter anderem die „Financial Times“ berichtete. Auch russisches Öl, das lange unter 60 Dollar lag, ist mittlerweile auf mehr als 80 Dollar gestiegen – und liegt damit weit über dem Preisdeckel von 60 Dollar, den die EU für europäische Ölhändler als Maximalpreis für den Kauf von russischem Öl festgelegt hat. Wegen dieser aufgrund des russischen Einmarsches in der Ukraine verhängten Sanktion können die europäischen Ölhändler damit derzeit kein russisches Öl kaufen.

Ein Auto wird betankt
Reuters/Lukas Barth
Seit Sommer sind die Spritpreise empfindlich gestiegen

Dazu kommt noch, dass Russland am Donnerstag ankündigte, den Export von Diesel einzuschränken. Begründet wurde das mit Engpässen auf dem heimischen Markt, die Beschränkungen waren allerdings schon vor einiger Zeit in den Raum gestellt worden. Diesel ist ohnehin weltweit besonders knapp – einerseits, weil das dafür am besten geeignete Öl relativ knapp ist. Andererseits fehlen aber auch Raffineriekapazitäten, da diese während der CoV-Pandemie stark zurückgefahren wurden. Da Diesel für den Transportsektor zentral ist, dürfte das zusätzlich die Teuerung anfeuern.

Auch politisches Kalkül

Derzeit läuft damit alles nach Plan für Riad und Moskau. Auch die wirtschaftspolitischen Implikationen kommen beiden zupass: Moskau kann seine Kriegskassa füllen, Riad seine Unsummen verschlingenden Infrastrukturprojekte finanzieren. Zudem erhöhen die höheren Spritpreise den innenpolitischen Druck auf US-Präsident Joe Biden, der 2024 wiedergewählt werden möchte.

Der russische Präsident Wladimir Putin hätte gerne Donald Trump als neuen alten US-Präsidenten als Gegenüber. Und der saudische Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman hat trotz einer offiziellen Reparatur der Beziehungen weiter kein besonders warmes Verhältnis mit Biden und versucht generell, sein Land unabhängiger vom langjährigen engen Partner USA zu positionieren.

Ungewollter Kollateralschaden?

Doch die weltweiten Konjunkturaussichten haben sich eingetrübt, insbesondere der wichtigste Ölabnehmer – China – kämpft mit Problemen. China kaufte zudem heuer besonders viele Kapazitäten auf und machte sich dabei den – dank des von der G-7 verhängten Deckels – sehr niedrigen russischen Ölpreis zunutze. Fachleute erwarten, dass Peking die Ölimporte stark drosseln wird, sobald der generelle Preis die 100-Dollar-Marke überschreitet.

Denn der Wirtschaftsmotor stottert, die Nachfrage ist somit eher niedrig, und die staatlichen Lager sind prall gefüllt. Ein Teil dieser Reserven würde dann wohl freigegeben werden, um ein weiteres Abwürgen der Konjunktur zu verhindern, berichtete das „Wall Street Journal“.

Vor allem aber drohen hohe Spritpreise, insbesondere in China den Umstieg auf E-Mobilität drastisch zu beschleunigen. Womit sich Russland und Saudi-Arabien ihr eigenes Geschäft zu untergraben drohen.

Russischer Präsident Wladimir Putin und Saudi Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman
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Putin und Kronprinz Mohammed bei einem Treffen in Riad 2019

„Chemische Waffe“

Die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg sprach in einem Kommentar zuletzt davon, dass Öl „in dem neuen Kalten Krieg zwischen autoritär regierten Staaten und Demokratien die stärkste Waffe“ zu sein scheine. Doch das Risiko bei „chemischen Waffen“ sei, dass sie auch die eigene Seite treffen könnten, und das gilt laut Bloomberg – im übertragenen Sinn – auch für Öl. Denn wer glaube, mit einem hohen Ölpreis offene Gesellschaften attackieren zu können, „könnte vom Ergebnis überrascht werden“. Als Grund nennt auch Bloomberg China – und dass dort ab nächstem Jahr der Spritverbrauch rückläufig sein werde.

Ausgerechnet das ebenfalls autoritär regierte China, das ein enger Partner von Riad und vor allem Moskau ist, könnte somit zum Risikofaktor für die beiden Staaten werden. Genau aus diesem Grund wollen die beiden Förderländer die Lage nun auch monatlich begutachten, um wohl gegebenenfalls den Förderhahn rasch aufdrehen zu können. Generell dürfte das Vorgehen von Riad und Moskau das Bemühen insbesondere westlicher Staaten beschleunigen, sich vor allem durch ein Vorantreiben der Energiewende unabhängiger zu machen.

Starker Dollar als zusätzliche Belastung

Auch die Notenbank von Indien warnte Anfang der Woche vor globalen negativen Folgen des hohen Ölpreises. Sie verwies auf einen Faktor, der auch Europa, vor allem aber die Schwellen- und Entwicklungsländer hart trifft: Öl wird überwiegend in US-Dollar gehandelt, und dieser ist im Verhältnis zu anderen Währungen seit Mitte Juli deutlich gestiegen. Das verteuert Öl noch zusätzlich. Dieser Umstand würde die Inflation anheizen – außer ein Einbruch der Konjunktur bremst die Ölnachfrage.

Auch an einer anderen Front könnten sich Riad und Moskau verspekulieren: Denn andere ölproduzierende Länder, insbesondere in Lateinamerika, erhöhen ihre Förderung. Und neben dem Umstieg auf grüne Energie könnte sich die Suche nach alternativen Öllieferanten beschleunigen. Auch hier will das Duo wohl vorbeugen und verkündete, man wolle weitere Ölförderländer als Mitglieder des OPEC+-Kartells anwerben. Ob es damit Erfolg hat, ist noch unklar. Insgesamt gilt: Wer diese Runde der geopolitischen Auseinandersetzung um Einfluss und Macht gewinnen wird, lässt sich wohl frühestens gegen Jahresende absehen.