Justin Trudeau und Narendra Modi
AP/The Canadian Press/Sean Kilpatrick
Streit Kanada – Indien

Offenbar Diplomaten in Sikh-Mord involviert

Der Streit zwischen Indien und Kanada wächst sich weiter aus. Die Anschuldigungen Kanadas, wonach Indien in den Mord an einem Sikh-Führer auf kanadischem Gebiet involviert sein soll, gehen offenbar auf die Überwachung indischer Diplomaten zurück. Das berichtete der kanadische Rundfunk CBC am Donnerstag. Das könnte die angeschlagene Beziehung der beiden Länder zusätzlich belasten.

Über Monate hinweg soll die kanadische Regierung den Tod des Sikh-Führers Hardeep Singh Nijjar auf kanadischem Boden untersucht haben – dazu soll man sich auch auf Erkenntnisse aus der Überwachung gestützt haben, berichtete CBC und berief sich auf anonyme Quellen. Das soll auch die Kommunikation von indischen Beamten selbst umfasst haben – und zwar auch von Diplomaten in Kanada.

CBC berichtete weiter, dass Kanada bei der Überwachung Unterstützung bekommen habe. „Five Eyes“, der Zusammenschluss der Geheimdienste Kanadas, Australiens, Neuseelands, Großbritanniens und der USA, soll ebenfalls Informationen geliefert haben – welches Land genau bei den Ermittlungen half, ist jedoch unklar.

Anschuldigungen offenbar nicht zurückgewiesen

Seit Nijjars Ermordung vor einem Tempel in der Provinz British Columbia im Juni soll Kanada Indien mehrfach um Kooperation ersucht haben. Die zuständige Nationale Sicherheitsberaterin Jody Thomas war im August mehrere Tage zu Besuch, dann erneut im September – zugleich mit einem Treffen zwischen Kanadas Premierminister Justin Trudeau und Indiens Premier Narendra Modi im Zuge des G-20-Gipfels.

Bild von Hardeep Singh Nijjar bei einem Protest in Vancouver
IMAGO/Ethan Cairns
Nijjar wurde im Juni ermordet

Die anonyme kanadische Quelle berichtete gegenüber CBC auch, dass Indien hinter verschlossener Tür die Kernanschuldigung in dieser Sache nicht bestritten haben soll. Dass es Beweise für eine Beteiligung Indiens an der Ermordung gebe, sollen indische Beamte nicht zurückgewiesen haben.

Kanada forderte Indien zur Zusammenarbeit auf

Offiziell legt Kanada unterdessen weiter keine Beweise vor, auch innenpolitisch nimmt deshalb der Druck auf den Premier zu. Trudeau sagte am Donnerstag bei der UNO-Generalversammlung in New York, dass seine Regierung „nicht versucht, Probleme zu provozieren“. Indien sei ein Land, „das immer wichtiger wird und mit dem wir zusammenarbeiten müssen“, so Trudeau weiter.

Gleichzeitig verwies er jedoch auf die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes kanadischer Staatsbürgerinnen und -bürger. „Wir fordern die indische Regierung auf, mit uns zusammenzuarbeiten, um die Wahrheit aufzudecken und Rechenschaft zu ermöglichen“, so Trudeau.

Auch USA in Kontakt mit Indien

Die USA stünden wegen der Anschuldigungen Kanadas im Austausch mit beiden Ländern, bestätigte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan am Donnerstag. „Es gibt keine besondere Ausnahmeregelung für Aktionen wie diese“, sagte Sullivan gegenüber Reportern auf die Frage nach Trudeaus Erklärung zu einer möglichen indischen Beteiligung an dem Mordfall.

„Es ist eine Angelegenheit, die uns Sorgen bereitet und die wir ernst nehmen.“ US-Präsident Joe Biden und mehrere Mitglieder von „Five Eyes“ sprachen den Mord an Nijjar gegenüber dem indischen Premier Modi auf dem G-20-Gipfel an, berichtete die „Financial Times“.

In der Zwischenzeit gab das Unternehmen, das indische Visa in Kanada bearbeitet, bekannt, dass es seine Dienste eingestellt hat. Indien ist laut der US-Nachrichtenagentur AP ein populäres Reiseziel für Menschen aus Kanada: Nach Angaben der indischen Einwanderungsbehörde besuchten im Jahr 2022 277.000 Touristinnen und Touristen aus Kanada das Land. Betroffen sind vor allem Kanadierinnen und Kanadier mit indischer Abstammung, denen damit Besuche bei Verwandeten erschwert werden. Der Sprecher des indischen Außenministeriums, Arindam Bagchi, begründete die Aussetzung der Visaerteilung, die auch für in Drittländern ausgestellte Visa gilt, mit Sicherheitsbedenken.

Gegenseitige Ausweisungen

Nijjar, der sich für die Errichtung eines unabhängigen Sikh-Staates in Indien eingesetzt hatte, war im Juni erschossen auf dem Parkplatz eines Tempels in der kanadischen Provinz British Columbia aufgefunden worden. Am Montag wies die kanadische Regierung einen indischen Diplomaten aus, der dem Außenministerium in Ottawa zufolge einer Verbindung mit dem Mordanschlag verdächtigt wird. Das indische Außenministerium wies die Vorwürfe zurück, in den Tod von Nijjar verwickelt zu sein, und reagierte ebenfalls mit der Ausweisung eines Diplomaten.

In Kanada lebt die weltweit größte Sikh-Gemeinschaft außerhalb des nordindischen Bundesstaats Punjab. Punjab, wo etwa 58 Prozent der Bevölkerung Sikhs und 39 Prozent Hindus sind, wurde in den 1980er und 1990er Jahren von einer gewaltsamen Unabhängigkeitsbewegung erschüttert. Tausende Menschen wurden getötet. Heute leben die lautstärksten Separatisten in der indischen Diaspora.