Flüchtlinge aus Azerbaidschan kommen bei der Armenischen Grenze an
Reuters/Irakli Gedenidze
Ethnische Säuberung befürchtet

Geflüchtete aus Bergkarabach in Armenien

Nach dem militärischen Sieg Aserbaidschans in Bergkarabach treffen Medienberichten zufolge bisherige Bewohnerinnen und Bewohner der Kaukasus-Region in Armenien ein. Die internationale Sorge um die Bevölkerung ist groß: Armenien wirft Aserbaidschan vor, eine ethnische Säuberung in Bergkarabach zu planen, und fordert eine UNO-Mission. Ein Exodus wird nun erwartet.

Nach Angaben der armenischen Regierung in Eriwan kamen bis Montagfrüh bereits knapp 5.000 Menschen aus Bergkarabach in Armenien an. Alle, die nach dem Militäreinsatz Aserbaidschans in der vergangenen Woche nach Armenien ausreisen wollten, können das tun, teilte die Führung von Bergkarabach mit. Es gebe bereits Staus auf den Straßen, die von Bergkarabach, das inmitten Aserbaidschans liegt, nach Armenien führen. Am Sonntag waren die ersten Geflüchteten angekommen. Zuvor hatten zahlreiche Menschen schon auf armenischer Seite der Grenze gewartet.

Nach dem militärischen Sieg von Aserbaidschan in Bergkarabach wächst die Sorge um die armenische Bevölkerung in der Region. US-Außenminister Antony Blinken übermittelte einem Sprecher zufolge dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan die „tiefe Besorgnis“ Washingtons um die ethnischen Armenier in Bergkarabach.

Der armenische Außenminister Ararat Mirsojan forderte gar eine UNO-Mission zum Schutz der Bevölkerung. Die Vereinten Nationen müssten unverzüglich Truppen entsenden, um die „Menschenrechts- und Sicherheitslage vor Ort zu überwachen und zu bewerten“.

Baku: „Gute nachbarschaftliche Beziehungen“

Armenien wirft Aserbaidschan vor, eine ethnische Säuberung in Bergkarabach zu planen. Das Gebiet gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von Armenierinnen und Armeniern bewohnt. Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die Enklave und führten deshalb bereits zwei Kriege, zuletzt im Jahr 2020.

Der aserbaidschanische Außenminister Jeyhun Bayramov sagte in seiner Rede bei der Generaldebatte der UNO, das mehrheitlich muslimische Aserbaidschan werde die Rechte der christlichen Armenier achten. Sein Land sei „entschlossen, die armenischen Einwohner der Region Karabach in Aserbaidschan wieder als gleichberechtigte Bürger zu integrieren“. Baku sehe eine „historische Gelegenheit“ für Aserbaidschan und Armenien, „gute nachbarschaftliche Beziehungen“ zu schaffen.

Die Führung der ethnischen Armenier in Bergkarabach rechnet nun mit einem Exodus der Bevölkerung. Die 120.000 Armenierinnen und Armenier in der Region wollten nicht als Teil Aserbaidschans leben, sagte David Babajan, ein Berater der selbst ernannten Regierung von Bergkarabach, am Sonntag zu Reuters. „99,9 Prozent ziehen es vor, unser historisches Stammland zu verlassen.“ Babajan sagte weiter, unklar sei, wann sich die Bevölkerung auf den Weg nach Armenien mache.

Bergkarabach: Armenien fordert UNO-Mission

Armenien fordert eine UNO-Mission zum Schutz der Bevölkerung in Bergkarabach. Nach dem militärischen Sieg Aserbaidschans beim Angriff in der Region geben die armenischen Kämpfer dort jetzt ihre Waffen ab.

Treffen mit Erdogan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will sich am Montag mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen Ilham Aliyew in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan treffen. Wie das türkische Präsidialamt am Sonntag mitteilte, sollen die „neuesten Entwicklungen“ im Mittelpunkt des Treffens stehen.

Erdogan und Aliyew hatten im Juni erklärt, ihre Bemühungen um die Öffnung eines Landkorridors von der Türkei über Nachitschewan und Armenien bis zum Hauptterritorium Aserbaidschans zu verstärken. Dieser Sangesur-Korridor ist ein langjähriges und komplexes Projekt der beiden befreundeten Staaten. Manche Fachleute befürchten, dass Aserbaidschan seinen derzeitigen Vorteil ausnutzen könnte, um Gebiete im Süden Armeniens zu erobern und so in Bezug auf den Sangesur-Korridor Fakten zu schaffen.

Karte zeigt Bergkarabach
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Ärger mit Moskau

Am Dienstag hatte Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive in Bergkarabach gestartet. Bereits einen Tag später wurde eine Waffenstillstandsvereinbarung geschlossen. Armenien hatte in dem Konflikt mit Aserbaidschan um Bergkarabach auf die Unterstützung des Militärbündnisses gehofft. Russland argumentierte allerdings, die Regierung in Eriwan selbst erkenne Bergkarabach als Teil Aserbaidschans an und weigerte sich, Armenien zu helfen.

Paschinjan deutete am Sonntag vor diesem Hintergrund eine außenpolitische Abkehr von Russland an. Armeniens derzeitige Sicherheitsbündnisse seien „ineffektiv“ und „unzureichend“ hinsichtlich des Schutzes nationaler Sicherheit und Interessen, sagte Paschinjan in einer Fernsehansprache. Der Regierungschef sprach sich zudem dafür aus, dass Armenien dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beitritt, der einen Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin erlassen hat.

Moskau hatte zuletzt Kritik an seinem einst wichtigsten Verbündeten im Kaukasus geäußert. Außenminister Sergej Lawrow warf Armenien am Samstag vor, mit seiner Rhetorik „Öl ins Feuer zu gießen“. Russland hatte Anfang September wegen eines gemeinsamen Militärmanövers Armeniens mit den USA den armenischen Botschafter einbestellt. Paschinjans Äußerungen über den IStGH dürften im Kreml für zusätzlichen Ärger sorgen.