Jacinda Ardern
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Nach Ardern

Neuseeland vor politischer Kehrtwende

Am 14. Oktober wird in Neuseeland ein neues Parlament gewählt. Drei Jahre nach dem überwältigenden Sieg von Jacinda Ardern für ihre sozialdemokratische Labour Party zeichnet sich Umfragen zufolge ein Richtungswechsel ab. Die konservative National Party liegt in Umfragen voran und schließt eine Koalition mit der rechtspopulistischen New Zealand First nicht aus. Bereits jetzt zeigt der Wahlkampf, dass sich Stil und Themensetzung in Neuseelands Regierung maßgeblich verändern dürften.

Die nächste Regierung werde wohl deutlich weniger vielfältig sein als die letzten beiden unter Ardern und könnte aller Voraussicht nach sogar „die konservativste seit einer Generation“ werden, schreibt etwa die „New York Times“ („NYT“). Denn laut aktuellen Prognosen dürfte die Mitte-links-Partei von Arderns Nachfolger Chris Hipkins abgewählt werden. Umfragen deuten darauf hin, dass nach zwei Amtszeiten von Labour ein Wechsel zur Mitte-rechts-Partei National Party ansteht.

Allerdings dürfte die National Party höchstwahrscheinlich die Mehrheit verfehlen. Laut einer Meinungsumfrage von Newshub-Reid Research von Ende September liegt sie mit 31,9 Prozent vor der Labour-Partei mit 26,5 Prozent. Für eine Koalition bieten sich die rechtsliberale Partei Act sowie die populistische New Zealand First (NZ First) an, die in der Vergangenheit gelegentlich als „Königsmacher“ auftrat, 2020 jedoch aus dem Parlament ausschied.

„Ich bevorzuge die Bildung einer starken und stabilen Zwei-Parteien-Koalitionsregierung zwischen National und Act“, hatte der jetzige Oppositionsführer Christopher Luxon im Vorfeld in sozialen Netzwerken angekündigt. „Ich glaube, dass eine solche Regierung in dieser sehr unsicheren Zeit im besten Interesse der Neuseeländer wäre“, sagte er und spielte wohl auf steigende Lebenshaltungskosten und etwaige Ministerrücktritte an.

der neuseeländische Oppositionsführer Christopher Luxon (National Partei)
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Der neuseeländische Oppositionsführer Christopher Luxon von der National-Partei liegt in Umfragen voran

Koalition mit populistischer New Zealand First möglich

Es ist noch nicht klar, ob NZ First tatsächlich – wie es sich derzeit in den Umfragen abzeichnet – die Fünfprozenthürde überwinden wird. Sollte die Partei jedoch wieder ins Parlament einziehen, werde er den Anruf bei deren Gründer Winston Peters tätigen, so Luxon. Die Bilanz der Labour-Partei nach den drei Jahren ihrer Alleinregierung sei „miserabel“ gewesen, „und Gott helfe uns, wenn sie sich mit Te Pati Maori und den Grünen zusammentun würde“, sagte er gegenüber dem Radiosender Newstalk ZB.

Dass Luxon sich nach monatelangen Ausflüchten schließlich doch für eine Koalition mit NZ First als letzten Ausweg ausgesprochen habe, verändere die Dynamik des Wahlkampfes maßgeblich, so der „Guardian“. Während National Party und Act in wichtigen Fragen übereinstimmen würden, lehne NZ First etwa deren zentrales Versprechen von Steuersenkungen ab, die sich Neuseeland laut Peters „nicht leisten“ kann.

Winston Peters  (NZ First)
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Der Gründer der populistischen NZ First, Winston Peters, hatte bereits das Amt des stellvertretenden Premierministers inne

Aber nicht nur in puncto Dynamik, auch inhaltlich unterscheidet sich der Wahlkampf von den letzten beiden unter Ardern bereits stark. Themen wie Lohngleichheit, Kinderarmut und die Verhinderung von häuslicher Gewalt und Belästigung, auf die in der Vergangenheit gesetzt wurden, haben bisher laut „NYT“ kaum eine Rolle gespielt. Einige Frauen hätten sich zudem aus Sicherheitsgründen nicht um ein Amt beworben, da sexistische Anfeindungen zugenommen hätten.

„Beängstigende Zeit“ für Frauen in Politik

„Es fühlt sich an wie eine beängstigende Zeit in der Politik für Frauen – was unglaublich enttäuschend ist, wenn man bedenkt, wie hoffnungsvoll alles schien“, zitierte die „NYT“ Michelle Duff, die eine Biografie über Ardern geschrieben hatte. Denn der heurige Wahlkampf steht auch im Zeichen von Arderns Abwesenheit.

Auch international war sie als Symbol für Frauen in Führungspositionen und Politstar gefeiert worden. 2020 führte die 2017 zur Premierministerin gewählte Ardern ihre linke Labour Party zu einem fulminanten Sieg bei der Parlamentswahl und der ersten Alleinregierung seit 1996, kämpfte jedoch bald mit den Folgen ihrer strikten Null-Covid-Politik und Impfvorschriften, die zu Drohungen direkt gegen Ardern und ihre Regierung führten.

Letzte Parlamentsrede der scheidenden neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern im April 2023
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Ardern bei ihrer letzten Rede im neuseeländischen Parlament

Im Jänner gab die Politikerin dann überraschend ihren Rücktritt bekannt. „Ich weiß, was dieser Job erfordert, und ich weiß, dass ich nicht mehr genug im Tank habe, um ihm gerecht zu werden“, sagte sie damals. „Ich hoffe, ich hinterlasse die Neuseeländer mit dem Glauben, dass man freundlich, aber stark, einfühlsam, aber entschlossen, optimistisch, aber fokussiert sein kann“, erinnerte sie bei ihrer Rücktrittsrede an jene Eigenschaften, für die sie international für einen neuen Führungsstil in der Politik gerühmt worden war.

Erbe Arderns „entmutigend“

Ihre Regierung galt als die vielfältigste in der Geschichte Neuseelands, 2022 waren mit 60 Abgeordneten mehr als die Hälfte der Regierungsmitglieder Frauen – eine weltweite Seltenheit. Zudem bekleideten Frauen hohe Spitzenämter wie Chefin des obersten Gerichts oder jenes der Generalgouverneurin. Ardern legte zudem einen Fokus auf Frauen- und Familienthemen wie bezahlten Elternurlaub, die Entkriminalisierung von Abtreibungen, kostenlose Menstruationsprodukte in Schulen und eine Verschärfung der Gesetze zur Lohngleichheit und häuslicher Gewalt.

Ihr Erbe sei „entmutigend“, so die „NYT“. Seit ihrem Rücktritt sei die Partei ins Straucheln geraten. Vier hochrangige Minister sind in den letzten Monaten unerwartet zurückgetreten, wobei einer von ihnen zu einer anderen Partei überlief. Jene Frauenthemen, die im Mittelpunkt von Arderns Programm gestanden waren, hätten im Wahlkampf weder bei der Labour noch bei der National Party eine Rolle gespielt. Lediglich der bezahlte Elternurlaub für nicht leibliche Eltern sei thematisiert worden, hier hätten die Gesetzgeber jedoch quer durch die politischen Lager die Bemühungen der anderen Parteien behindert.

Diese Entwicklung sei beunruhigend, sagte Suzanne Manning, die Präsidentin des Nationalen Frauenrates von Neuseeland, gegenüber der „NYT“. Es zeichne sich ab, dass die nächste Regierung einige hart erkämpfte Errungenschaften, die das Ergebnis jahrelanger Beratungen gewesen waren, wieder zurücknehmen könnte.