Joe Biden und Mohammed bin Salman
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Israel und Saudi-Arabien

US-Deal würde den Nahen Osten verändern

US-Präsident Joe Biden versucht derzeit mit Hochdruck, ein Abkommen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu vermitteln. Gelingt ihm das, wäre es wohl sein wichtigstes außenpolitisches Vermächtnis. Er würde seinen Kontrahenten Donald Trump damit in den Schatten stellen. Vor allem aber hätte ein solcher Deal das Potenzial, den Nahen Osten grundlegend zu verändern. Völlig unklar ist, was ein Deal für die Palästinenser bedeuten würde.

Wie ein solches Abkommen aussehen und was es genau beinhalten würde, ist unklar und noch Verhandlungssache. Aber einige Punkte zeichnen sich ab: Riad würde den Staat Israel anerkennen. Ob der saudische Kronprinz und De-facto-Machthaber Mohammed bin Salman („MbS“) dabei so weit gehen würde wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain im Abraham-Abkommen und es auch einen offiziellen Friedensschluss geben würde, ist unklar. Wahrscheinlicher ist wohl ein Fahrplan für eine vollständige Normalisierung der Beziehungen.

Im Gegenzug würde Riad von den USA die modernsten Kampfjets erhalten und einen formalen Sicherheitspakt. Vor allem aber fordert Riad Nukleartechnik, offiziell für friedliche Zwecke. Da Kronprinz Mohammed aber Medienberichten zufolge dabei fordert, Know-how und Material für Urananreicherung zu bekommen, könnte das – ähnlich wie beim Iran – zur Entwicklung einer Atombombe führen. Und Mohammed betonte erst kürzlich, sollte der Iran einmal eine Atombombe haben, brauche auch sein Land zu Abschreckungszwecken Atomwaffen.

IT bis „Friedenseisenbahn“

Dazu kämen wohl Verträge über eine wirtschaftliche Kooperation zwischen den USA, Saudi-Arabien und Israel. Israels IT-Sektor hat hier für Riad etwa einiges zu bieten – soweit es die Zusammenarbeit, wie bei Sicherheits- und Abhörtechnologie, nicht inoffiziell ohnehin schon gibt. Als besonderes Prestigeprojekt und Symbol für ein Zusammenwachsen der arabischen Welt mit dem jüdischen Staat könnte auch der bisher nur theoretische Plan einer Eisenbahnverbindung von Saudi-Arabien bis an Israels Mittelmeer-Küste wiederbelebt werden.

Mitglieder der saudischen Sicherheitskräfte bei einer Parade
APA/AFP/Abdel Ghani Bashir
Modernste Waffen und ein Sicherheitspakt mit den USA sollen Saudi-Arabien auch militärisch zur Vormacht machen

Ungewöhnlich ist, dass die Verhandlungen nicht unter strengster Geheimhaltung ablaufen. Das ist sonst bei heiklen internationalen Deals üblich, um eine Einigung durch innenpolitische Widerstände nicht zu gefährden. Sowohl Prinz Mohammed als auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu betonten in den letzten Tagen in Interviews, man mache jeden Tag Fortschritte bei den Verhandlungen.

Kurzes Zeitfenster

De facto gibt es noch ein Zeitfenster von wenigen Monaten, bis spätestens Frühsommer, wenn der US-Wahlkampf auf Hochtouren kommt. Dass alle Seiten so offen und euphorisch über die Verhandlungen reden, deutet wohl darauf hin, dass viele Pflöcke bereits eingeschlagen sind: Der Kronprinz meinte in einem seltenen Interview, es scheine zum ersten Mal „real und ernst“. Ein Pakt wäre „das größte historische Abkommen seit dem Kalten Krieg“, so Mohammed gegenüber dem US-TV-Sender FoxNews.

Netanjahu sagte, man sei an der Schwelle zu einem Abkommen. Das wäre ein „Quantensprung“, der „das Verhältnis zwischen Judentum und Islam verändern“ und Auswirkungen auf Muslime weltweit haben würde, zeigte sich Netanjahu ebenfalls gegenüber Fox News überzeugt.

Eintrag in die Geschichtsbücher

Für alle drei Beteiligten, Biden, Netanjahu und Prinz Mohammed, wäre es ein außenpolitischer Coup, mit dem sie in die Geschichtsbücher eingehen könnten. Das ist vor allem Netanjahu wichtig, dessen Image als zentrale politische Figur seines Landes vor allem wegen seiner Korruptionsanklagen stark angekratzt ist.

Für Biden wäre es ein großer außenpolitischer Erfolg, mit dem er in den Wahlkampf ziehen könnte. Und seinem voraussichtlichen Konkurrenten Trump könnte er den Erfolg vorhalten, den Trump in seiner Amtszeit angestrebt, aber nicht erreicht hat. Die USA würden Chinas Ambitionen im Nahen Osten ausstechen und mit der verstärkten Allianz mit den Saudis auch die Ölmärkte beruhigen. Mohammed könnte sich seinerseits im eigenen Land endgültig zur allein tonangebenden Figur krönen.

Iran und Ägypten in Defensive

Im Nahen Osten könnte kurz- bis mittelfristig viel in Bewegung kommen: Der Iran wäre geostrategisch damit vorerst spürbar geschwächt. Es ist unklar, ob die von China heuer vermittelte Annäherung zwischen Riad und Teheran einen saudisch-israelischen Deal aushalten oder ob die Feindschaft wieder offen ausbrechen würde. Es besteht jedenfalls die Gefahr, dass die neue Allianz einen Rüstungswettlauf in der Region auslöst.

Saudi-Arabien könnte – dank US-Waffenlieferungen – innerarabisch über kurz oder lang die alleinige Führungsrolle übernehmen, die sich die Ölmacht bisher mit dem militärisch deutlich stärkeren Ägypten teilt.

Möglicher Regierungsumbau in Israel

In Israel wird spekuliert, dass es zu einer Neuzusammensetzung der Regierungskoalition kommen könnte, um das Abkommen auch durch die Knesset zu bekommen. Die extrem rechten Parteien von Finanzminister Bezalel Smotritsch und Innenminister Itamar Ben-Gvir, so eine verbreitete Annahme, würden dem Deal nicht zustimmen, statt ihnen könnte der zentristische Politiker Benny Ganz der Regierung beitreten. Aus Sicht Bidens wären es zwei Fliegen auf einen Schlag: das historische bilaterale Abkommen und eine gemäßigtere israelische Regierung. Der derzeit vorangetriebene Justizumbau gefährdet nach Ansicht der Regierungskritiker in Israel und Bidens US-Demokraten Israels Demokratie. Das wäre somit ein weiterer Pluspunkt im anstehenden US-Wahlkampf.

Benjamin Netanjahu
Reuters/Brendan Mcdermid
Im UNO-Hauptquartier zeigte Netanjahu letzte Woche eine Karte, in der das besetzte Westjordanland Israel einverleibt ist

Zugeständnisse an Palästinenser?

Eine Einigung steht und fällt wohl mit den Palästinensern. Der ungelöste israelisch-palästinensische Konflikt ist das Herz des Nahost-Konflikts. Auch wenn diese Frage selbst in arabischen Hauptstädten immer weiter auf der Prioritätenliste nach unten rutscht. Allein wegen der starken öffentlichen Solidarisierung mit den Palästinensern muss Riad israelische Zugeständnisse in dieser Frage erhalten. Seit Monaten sind immer wieder palästinensische Delegationen zu Gesprächen in Riad. Wie sehr Mohammed hier Netanjahu drängt, ist unklar. Die arabische Friedensinitiative von 2002, die Israel eine Normalisierung der Beziehungen gegen einen vollständigen Abzug aus den besetzten Gebieten anbot, erwähnte er zuletzt nicht mehr.

Netanjahu selbst vermied es in der Vergangenheit wiederholt, konkrete, nicht umkehrbare Zugeständnisse an die Palästinenser zu machen. Es ist kaum vorstellbar, dass das diesmal anders ist. Eine Lösung des Konflikts auf Grundlage der international weiter als Modell vertretenen Zweistaatenlösung ist nicht in Sicht und scheint aufgrund jahrzehntelanger israelischer Siedlungstätigkeit auch schwer sinnvoll umsetzbar. Viele israelische Siedlungen müssten aufgelöst werden, damit sich wieder ein geschlossenes palästinensisches Gebiet im Westjordanland ergibt. Das dürfte in Israel nicht durchsetzbar sein.

Im Schatten von 30 Jahren Oslo-Abkommen

Die regierende PLO von Präsident Mahmud Abbas könnte bei entsprechenden Zugeständnissen dennoch zustimmen. Ihre Machtbasis bröckelt, und die vom Iran gestützte radikalislamische Hamas wird auch im Westjordanland immer stärker. Viele Palästinenser fürchten derzeit wohl, einmal mehr zum Spielball „übergeordneter“ Interessen zu werden.

Klar ist zwar, dass es trotz aller Normalisierung ein Ende der Gewalt in Nahost nur durch eine Lösung des Territorialkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern geben kann. Der letzte große Anlauf dazu jährt sich eben zum 30. Mal: Das Oslo-Abkommen vom September 1993 – zunächst bejubelt und mit einem Friedensnobelpreis bedacht, längst aber völlig gescheitert. Doch in dem Punkt sind sich „MbS“ und „King Bibi“ Netanjahu wohl sowieso einig: Ein saudisch-israelisches Abkommen soll gar nicht versuchen, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen.