Beschädigtes Gebäude in Uman
Reuters
Kriegsverbrechen in Ukraine

„Fortlaufende Beweise“ gegen Russland

Die Vorwürfe reichen von „wahllosen Angriffen auf Zivilisten“ bis zu „fortgesetzter systematischer und weitverbreiteter Anwendung von Folter“: Geht es nach einer von den Vereinten Nationen eingerichteten Untersuchungskommission, wird die Liste der Russland im Ukraine-Krieg vorgeworfenen Kriegsverbrechen Tag für Tag länger. „Es gibt fortlaufend Beweise“, wie es im jüngsten, am Montag in Genf vorgelegten Bericht dazu heißt.

Neben Angriffen auf Wohnhäuser nannte die Kommission bei der Präsentation des Berichts vor dem UNO-Menschenrechtsrat (OHCHR) unter anderem Angriffe auf „eine funktionierende medizinische Einrichtung, einen Bahnhof, ein Restaurant, Geschäfte und gewerbliche Lagerhäuser“ als zuletzt dokumentierte Beispiele. „Diese Angriffe führten zu Opfern unter der Zivilbevölkerung, zur Beschädigung oder Zerstörung wichtiger Einrichtungen und zur Unterbrechung der wesentlichen Dienstleistungen und Lieferungen“.

Neben rechtswidrigen Angriffen auf die Zivilbevölkerung würden von den russischen Streitkräften systematisch Personen gefoltert, denen etwa die Weitergabe von Informationen an die ukrainischen Streitkräfte vorgeworfen wird. „In einigen Fällen war die Folter so brutal, dass das Opfer starb.“

Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt

Die Kommission werde nun versuchen zu klären, ob die Fälle von Folter und die Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten, hieß es. „Die Kommission bedauert, dass es weiterhin zu Angriffen gegen Zivilisten und medizinische Einrichtungen kommt, die unter Schutz stehen.“

Dazu kommt der Vorwurf sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt – in der Region Cherson hätten russische Soldaten nach Angaben der UNO-Kommission „Frauen im Alter von 19 bis 83 Jahren vergewaltigt und sexuelle Gewalt ausgeübt“. Vielfach wurden dem UNO-Kommissionsbericht zufolge Familienangehörige in einem Nebenraum festgehalten, „sodass sie gezwungen waren, die Vergewaltigungen anzuhören“.

Zu den „vielen verheerenden Folgen für die Kinder“ verweist die Kommission auf neuerliche Fälle, in denen unbegleitete Minderjährige von den russischen Behörden in die Russische Föderation gebracht worden sein sollen. Schließlich bekräftigt die UNO-Kommission mit ihrem jüngsten Bericht eine „tiefe Besorgnis über das Ausmaß und die Schwere der Verstöße, die von den russischen Streitkräften in der Ukraine begangen wurden“ und verweist dazu auf „die Notwendigkeit der Rechenschaftspflicht“.

Keine russische Kooperation

Auch die Ukraine wurde aufgefordert, einige Fälle von möglicher Misshandlung russischer Kriegsgefangener aufzuklären. Ganz wichtig sei, dass allseits die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden, sagte der Leiter der Kommission, Erik Mose. Die Kommission hat die Ukraine bisher zehnmal besucht. Zugang zu russischen Quellen hat man den Kommissionsangaben zufolge trotz mehrfacher Bitten bisher nicht bekommen.

Zuletzt hätten drei Kommissare das Land besucht und „konstruktive Gespräche auf verschiedenen Ebenen in Kiew“ geführt, wie die Kommission in ihrem jüngsten Bericht festhält. Als Beispiel für russische Angriffe auf die Zivilbevölkerung nennt die Kommission ein zerstörtes Wohnhaus und „erschütternde Aussagen“ von Überlebenden in der ostukrainischen Stadt Uman in der Oblast Tscherkassy.

Internationaler Strafgerichtshof eröffnete Büro in Kiew

Zur Aufklärung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen eröffnete zuletzt indes der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ein Büro in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin begrüßte die Eröffnung des IStGH-Büros als „entscheidenden Schritt auf unserem Weg zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit“.

Die Ukraine habe „im Gegensatz zum kriminellen russischen Regime nichts zu verbergen“, erklärte er. Sein Land werde „transparent“ sein und den IStGH-Fachleuten Zugang zu Tatorten, Beweisen und Zeugenaussagen gewähren. „Wir tun alles uns Mögliche, um sicherzustellen, dass die Experten des IStGH die Folgen der Verbrechen des Aggressors mit eigenen Augen sehen und unabhängige Schlussfolgerungen ziehen können.“

Kiew für Sondertribunal

Kiew habe zusammen mit der „gesamten zivilisierten Welt“ ein gemeinsames Ziel, „sicherzustellen, dass der Aggressor für alle begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird“, erklärte Kostin. Die Regierung in Kiew hatte den Weg für die Eröffnung eines Büros des IStGH in der Ukraine im März geebnet.

Die Ukraine strebt die Einrichtung eines Sondergerichts an, um die russische Führung wegen des im Februar 2022 begonnenen Angriffskrieges zur Verantwortung zu ziehen. Im Juli war in Den Haag eine internationale Institution zur Untersuchung des Verbrechens der „Aggression“ gegen die Ukraine gegründet worden.