VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter
APA/Helmut Fohringer
Öffentliche Verhandlung

VfGH beschäftigte sich mit ORF-Gremien

Öffentliche Verhandlungen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) erwecken stets ein großes Publikumsinteresse. Am Dienstag war der Andrang in den Verhandlungssaal besonders groß, ging es doch um den ORF-Stiftungsrat und den ORF-Publikumsrat. Die Höchstrichter und -richterinnen gingen der Frage nach, ob die Regierung zu viel Einfluss auf die Gremien nimmt. Besonders groß war das Interesse an den „Freundeskreisen“.

Schon lange steht die Zusammensetzung des Stiftungsrats und des Publikumsrats in der Kritik. Wegen der publik gewordenen Sideletter zwischen ÖVP und FPÖ sowie zwischen ÖVP und Grünen hatte die Diskussion so richtig Fahrt aufgenommen. Die verschriftlichten Deals über die parteipolitischen Postenbesetzungen waren auch der Grund, warum sich der VfGH mit den Gremien beschäftigen muss. Denn die Landesregierung im Burgenland nahm die Sideletter zum Anlass, um die Höchstrichter und Höchstrichterinnen anzurufen.

Diese müssten prüfen, ob die Zusammensetzung des Stiftungsrats und Publikumsrats gegen die verfassungsmäßige Unabhängigkeit des ORF verstößt. Die Regierung hat nach Ansicht der Landesregierung zu viel Einfluss auf die zu bestellenden Organe. Besonders der Stiftungsrat ist dem Antragssteller ein Dorn im Auge. Denn derzeit würde die satte Mehrheit regierungs- und staatsnah sein. So schicke ja nicht nur die Regierung Personen in den Stiftungsrat, sondern auch das Parlament, in dem die Regierungsparteien eine Mehrheit stellen. Aus den Ländern kommen neun weitere Personen.

Die Regierung bezeichnet die Argumentation aus dem Burgenland als nicht nachvollziehbar. Die Gremien würden eine Pluralität aufweisen und die Allgemeinheit repräsentieren. Man gehe so vor, wie das Gesetz die Besetzung des Stiftungsrates und des Publikumsrates vorsehe.

ORF-Stiftungsrat

Der Stiftungsrat ist das oberste Aufsichtsgremium des ORF und hat 35 Mitglieder, die von Regierung (neun), Parteien (sechs), Ländern (neun), ORF-Publikumsrat (sechs) und Zentralbetriebsrat (fünf) beschickt werden und zum Teil in „Freundeskreisen“ organisiert sind.

Burgenland: Nötige Staatsferne nicht gegeben

Jedenfalls konnten die beiden Seiten, Land Burgenland und Bundesregierung, am Dienstag ihre Positionen im Verfassungsgerichthof in Wien öffentlich darlegen. Zu Beginn sagte der Vertreter des Burgenlands, Florian Philapitsch, Leiter des Verfassungsdienstes und früher jahrelang stellvertretender Vorsitzender der Medienbehörde KommAustria, dass die Rechtslage eine gewisse Staatsferne für die ORF-Gremien vorsehe. Das werde so allerdings nicht umgesetzt. Die Regierung könne zu viel Einfluss auf die Bestellung der Organe ausüben.

Es gebe weder ein öffentliches Auswahl- oder Besetzungsverfahren noch die Möglichkeit, Besetzungen einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Auch mangle es an Kriterien, die die gebotene Unabhängigkeit und Qualifikation der Mitglieder gewährleisten könnten. Durch die gesetzlich offene Abstimmung im Stiftungsrat stünden die Mitglieder nochmals unter der Kontrolle der Entsender, mahnte Jurist Philapitsch an.

Grafik zur Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats und des ORF-Publikumsrats
Grafik: ORF

Die von der Bundesregierung angesprochene Pluralität im Publikumsrat sieht der Antragsteller nicht. Die dominante Stellung des Kanzlers bzw. der Medienministerin bei der Bestellung der Mitglieder würde eine solche Vielfalt unterlaufen, sagte Philaptisch. Die gesellschaftliche Repräsentation könne somit nicht gegeben sein.

Kanzleramt: Repräsentativität sichergestellt

Die Bundesregierung, die durch Matthias Traimer und Michael Kogler vom Verfassungsdienst vertreten wurde, widersprach dem Land in der öffentlichen Verhandlung. Das Ergebnis sei wichtig, sagte Traimer, der auf die verschiedenen „Kräfte“ innerhalb der Organe verwies. So seien für die Bestellung des Publikumsrates gesellschaftliche Vertretungen zuständig, auch die 17 vom Bundeskanzler bestellten Mitglieder seien aufgrund von Dreiervorschlägen der Vertretungen zu bestellen. Der Stiftungsrat werde von demokratisch legitimierten Organen bestellt, sagte er.

ORF-Publikumsrat

Der Publikumsrat besteht aus 30 Mitgliedern und erstattet etwa Empfehlungen für die ORF-Programmgestaltung und genehmigt Beschlüsse des Stiftungsrats. 17 Mitglieder entsendet die Regierung auf Basis der Vorschläge von Interessenvertretungen, 13 Mitglieder kommen direkt von Organisationen wie Kammern und Kirche sowie den Parteiakademien.

Traimers Kollege Kogler meinte, Regierung, Parlament und Länder seien in besonderer Weise berufen, an der Bestellung von Gremienmitgliedern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitzuwirken. Das Bestellungsrecht der Länder sei Ausdruck des föderalistischen Elements. Aber die Landesregierungen würden keine geschlossene Gruppe darstellen und verfolgten auch keine gemeinsamen Interessen, sah Kogler keine Gefahr für die Pluralität gegeben.

Das ORF-Gesetz in seiner derzeitigen Form schütze aber nicht nur die Pluralität der Gremien, sondern sorge auch für deren Unabhängigkeit, da die Mitglieder gesetzlich weisungsfrei sind. Zudem sehe das Gesetz „umfassende“ Unvereinbarkeitsbestimmungen vor, indem politische Interessenvertreter als Mitglieder der ORF-Gremien ausgeschlossen werden. In Sachen Qualifikationen gelte für den Stiftungsrat dasselbe Maß wie bei einem Aufsichtsrat in Aktiengesellschaften: Es bestünden eine Sorgfaltspflicht und gewisse Verantwortlichkeiten.

Kogler erörterte, wenn der Gesetzgeber dem Staat eine Rolle bei der Besetzung der Gremien einräumt, dann sei es nur logisch, dass es diese staatliche Mitwirkung auch gebe. Zum Einwand aus dem Burgenland, dass die nötige Kontrolle nicht gegeben sei, hielt Kogler fest, dass jede Entscheidung des Stiftungsrats bei der Aufsichtsbehörde KommAustria geprüft werden kann. Die offene Abstimmung, so Kogler, sichere die Verantwortlichkeit der Mitglieder.

Reine Fachgremien offenbar nicht möglich

Nach der Beantwortung der schon vorab übermittelten Fragen bohrte der zuständige Referent des Falles, Höchstrichter Michael Holoubek, nach. Er wollte vom Land Burgenland in Person von Philapitsch wissen, ob potenzielle Mitglieder der ORF-Gremien seiner Meinung nach bestimmte Fachqualifikationen mitbringen müssen, um in die Gremien geschickt zu werden. Gewisse Vorkenntnisse seien wünschenswert, betonte der Jurist, ein reines Fachgremium würde allerdings an der gesetzlich erforderlichen Repräsentativität scheitern.

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter und seine Verfassungsrichterkollegen und Kolleginnen
APA/Helmut Fohringer
Die Mitglieder des VfGH hatten großes Interessen an den „Freundeskreisen“ im ORF-Stiftungsrat

Die Verfassungsrichter interessierte zudem, warum die Tätigkeit im Stiftungsrat ein Ehrenamt sei. Kogler vom Verfassungsdienst erklärte das damit, dass somit ausgeschlossen sei, dass Stiftungsräte und -rätinnen die Tätigkeit womöglich aus finanziellen Überlegungen ausüben.

„Freundeskreise“ Gegenstand der Verhandlung

Auch die „Freundeskreise“ im Stiftungsrat waren Gegenstand der Verhandlungen. Es sei nicht der Sinn des ORF-Gesetzes, dass sich alle Mitglieder des Stiftungsrates in „Freundeskreisen“ organisieren müssen, sagte Traimer, der das Bundeskanzleramt vertrat. Sie würden aber die Vorberatung für Entscheidungen erleichtern. Das müsse nicht bedeuten, dass die späteren Entscheidungen in eine bestimmte politische Richtung gehen.

Das Kanzleramt verwies abermals auf die gesetzliche Unabhängigkeit der Stiftungsräte, man könne das Verhalten der Mitglieder auch nicht kommentieren. Damit gab sich VfGH-Mitglied Georg Lienbacher aber nicht zufrieden, da ein Verweis auf das Gesetz seine Frage nach dem Abstimmungsverhalten gemäß „Freundeskreisen“ nicht beantworte. Die Vertreter des Bundeskanzleramts betonten, dass sie kein Mandat hätten, eine Bewertung abzugeben. Tatsächlich müssen sie die gesetzlichen Bestimmungen verteidigen.

Matthias Traimer (Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst) und Michael Kogler (Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst)
APA/Helmut Fohringer
Die Vertreter des Bundeskanzleramts argumentierten pro ORF-Gesetz

Die Rolle des Klägers übernahm ohnehin das Burgenland. Allein die Existenz von „Freundeskreisen“ sei ein Indiz dafür, dass es einen parteipolitischen Einfluss auf den ORF gibt, sagte Philapitsch. Es könne nicht sein, dass man Entscheidungen auf „Freundeskreise“ zurückführen kann, antwortete er auf eine Frage von Höchstrichter Lienbacher, wie es möglich sei, dass Leiter von „Freundeskreisen“ medial bereits Entscheidungen kommentieren, die erst getroffen werden. Angesprochen wurde explizit die letzte Wahl zum ORF-Generaldirektor.

Medien hätten schon exakt über das Stimmverhalten der Stiftungsräte und -rätinnen berichtet, obwohl die Wahl noch gar nicht entschieden war. Die Vorhersage des Ausgangs diverser Abstimmungen im Stiftungsrat zeige, dass entlang bestimmter Linien entschieden werde, sagte Philapitsch. „Es ist nicht schädlich, dass der Staat Stiftungsräte entsendet. Aber es ist ein Problem, wenn es sich um die Mehrheit handelt.“

Freundeskreise und Fraktionstreffen

Die „Freundeskreise“ sind gesetzlich nicht festgeschrieben. Allerdings organisieren sich die meisten unabhängigen und weisungsfreien Stiftungsräte und -rätinnen in solchen und halten dementsprechend auch Sitzungen ab, in denen sie über künftige Entscheidungen beraten. In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, dass an den Treffen auch Politiker und Politikerinnen oder Vertrauensleute der politischen Parteien teilnahmen. Argumentiert wird das meist damit, dass es sich um einen Austausch handle, der für den ORF relevant sind.

Selbst wenn beide Seiten betonten, dass es die „Freundeskreise“ im ORF-Stiftungsrat gibt, diese aber gesetzlich nicht festgelegt sind, gab Höchstrichter Michael Rami an, dass er die Gruppierungen nur aus den Medien kenne. Er wollte deshalb wissen, wie viele „Freundeskreise“ es derzeit gibt. Burgenland-Vertreter Philapitsch konnte die Frage nicht „korrekt“ beantworten.

Nach einer Aufforderung von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter bot Traimer, der die Medienabteilung im Verfassungsdienst leitet, noch einen historischen Abriss des Stiftungsrates. Über die Jahrzehnte hinweg hätten sich nur „geringfügig“ gesetzliche Bestimmungen geändert. Es sei alles „historisch gewachsen“. Der These von VfGH-Mitglied Johannes Schnizer, wonach die Zahl der Stiftungsräte und Stiftungsrätinnen (35) darauf zurückzuführen ist, dass Regierung (neun) und Länder (neun) gemeinsam die Mehrheit sichern wollten, konnte niemand bestätigen.

Schriftliche oder mündliche Entscheidung

Höchstrichterin Claudia Kahr wollte am Ende noch wissen, wie eine Regierungsmehrheit zustande kommen kann, wenn diese gesetzlich lediglich neun Mitglieder in den 35-köpfigen Stiftungsrat entsenden darf. Das Land Burgenland argumentierte, dass das Parlament das Gremium ebenfalls mit neun Mitglieder bestückt und die Parteien der Regierung eben eine Mehrheit im Nationalrat besitzen. Die Vertreter des Bundeskanzleramts widersprachen, dass ja Regierung und Parlament unterschiedliche Entsender seien.

Nach etwa zwei Stunden wurde die öffentliche Verhandlung beendet. Die anschließende Beratung der Verfassungsrichterinnen und -richter ist nicht öffentlich. Wann über den Fall entschieden wird und ob das schriftlich oder mündlich im Rahmen eines weiteren öffentlichen Termins geschieht, ist offen.