Häftlinge im Gefängnis von Cook County in Chicago
Reuters/Jim Young
Aus für Kaution

Erster US-Bundesstaat ändert Justizsystem

Illinois mit der Metropole Chicago ist der erste US-Bundesstaat, der gänzlich ohne Kautionssystem für Verdächtige und Angeklagte auskommt. Dieser für US-Verhältnisse revolutionäre Schritt soll das Justizwesen gerechter und weniger rassistisch machen, hoffen die Befürworterinnen und Befürworter, die das alte System auch als „Cousin der Sklaverei“ bezeichneten. Und nicht zuletzt sollen die Gefängnisse weniger überfüllt sein.

Es war eine Entscheidung, die angesichts des Dauerwahlkampfs in den USA international weitgehend unterging: Im Sommer wies das Höchstgericht des Bundesstaates Illinois sämtliche Klagen gegen den sogenannten SAFE-T Act – ein Gesetz, das das Kautionssystem aufhebt – ab. Vor wenigen Tagen trat das Gesetz nun in Kraft.

In allen anderen Bundesstaaten gilt weiterhin, dass man als Angeklagter nur gegen Hinterlegung einer Kaution, deren Höhe vom Gericht festgesetzt wird, auf freiem Fuß bleiben kann. Bewährt sich das neue System in Illinois, könnte es freilich zum Vorbild für andere US-Staaten werden. Richterinnen und Richter können in schweren Fällen – etwa bei Gewalt- und Sexualverbrechen – Verdächtige weiter in U-Haft halten, das entsprechende Prüfverfahren ist aber nun genauer.

Laut dem Justizexperten des TV-Sender CBS, Irv Miller, handelt es sich um die „wichtigste Reform, die während meiner Zeit als Analyst stattgefunden hat“. Die Reform stelle das bisherige System praktisch „auf den Kopf“.

Höhere Kautionen bei Schwarzen

Gegnerinnen und Gegner des Kautionssystems verweisen seit Langem darauf, dass es vor allem Schwarze und Hispanics trifft. Laut einem US-weiten Bericht über das Kautionssystem tendieren Gerichte eindeutig dazu, die Kaution bei Schwarzen und Hispanics deutlich höher als bei Weißen anzusetzen. Laut einer Studie ist die Kaution für einen schwarzen Mann im Durchschnitt um 35 Prozent höher als für einen weißen Mann, berichtete der öffentlich-rechtliche TV-Sender PBS. Bei Latino-Männern war die Kaution immerhin noch um 19 Prozent höher.

„Wie eine Sklavenversteigerung“

Der Pflichtverteidiger von Cook County und damit von Chicago, Sharone R. Mitchell, bezeichnete das nun aufgehobene Kautionssystem als „den Cousin der Sklaverei“. „Die überwiegende Mehrheit der Leute in dem System sind arm, schwarz oder braun – und sie haben keinerlei Einfluss. Es ist ein unglaublich unfaires System. Wenn Sie zu einer Kautionsanhörung gehen, klingt das wie eine Sklavenversteigerung. Die Leute reden sehr schnell. Sie versehen die Freiheit der Menschen mit einem Preisschild.“

Der im Vorjahr vorgelegte Bericht der US-Kommission für Bürgerrechte zeigte auf, dass sich von 1970 bis 2015 die Zahl jener Menschen verfünffachte, die vor dem Gerichtsverfahren in U-Haft saßen – egal ob sie letztlich schuldig oder freigesprochen wurden. Die Daten zeigen, dass sich 60 Prozent der Angeklagten die Kaution nicht leisten konnten und deshalb im Gefängnis einsitzen mussten. Das Gros der Häftlinge befindet sich in U-Haft.

Bedrohung für Alltag

Viele Menschen reißt eine oft monatelange U-Haft aus ihrem normalen bürgerlichen Leben. Sie verlieren ihren Job, die Beziehung und das Familienleben werden auf eine Belastungsprobe gestellt. Das betrifft überproportional Schwarze und Hispanics, die im Schnitt auch deutlich öfter von der Polizei kontrolliert und rascher verhaftet werden als Weiße.

Widerstand von Polizei

Verfechter des Kautionssystems argumentieren dagegen, nur so werde garantiert, dass die Angeklagten vor Gericht erschienen und während des Verfahrens nicht erneut Verbrechen begingen. Daten aus New Jersey zeigten laut PBS-Bericht aber, dass die Zahl der Angeklagten, die nicht vor Gericht erschienen oder eines weiteren Verbrechens beschuldigt wurden, nach der teilweisen Aufhebung des Kautionssystems nicht anstieg.

Der größte Widerstand gegen die Aufhebung kam in Illinois von der Polizei. Jim Kaitschuk, von der Vereinigung der Sheriffs von Illinois, warnte, die Exekutive werde nun mehr damit beschäftigt sein, „nach Personen zu suchen“, da Angeklagte ohne den drohenden Verlust der Kaution nicht vor Gericht erscheinen würden.

Laut TV-Sender CBS finden Richterschaft und Anwältinnen und Anwälte das Anliegen des Gesetzes gut. Sie befürchteten aber mangels präziser Vorgaben im Gesetz teils Probleme bei der Umsetzung. Die ersten U-Haft-Verhandlungen in Chicago nach dem neuen Gesetz verliefen laut CBS aber ohne Probleme. Politisch waren die Republikaner dagegen – die Demokraten haben aber eine klare Mehrheit.

ACLU: Appell an andere Bundesstaaten

Die US-Bürgerrechtsorganisation ACLU nannte das Höchstgerichtsurteil im Juli „wegweisend“. Sie forderte andere Bundesstaaten auf, dem Beispiel von Illinois zu folgen und so für eine „gerechte Justiz“ zu sorgen. New Jersey schaffte das Kautionssystem 2017 weitgehend, aber nicht vollständig, ab. Im liberalen Kalifornien scheiterten mehrere Anläufe zu einer Reform.