Landschaft mit Sonnenaufgang
ORF/Georg Hummer
Anhörung vor EGMR

Junge klagen 32 Staaten auf Klimaschutz

Sechs Kinder und junge Erwachsene wollen die Regierungen Österreichs und 31 weiterer Staaten in Europa zwingen, in Zukunft viel mehr für den Schutz der Umwelt zu tun. Die von den jungen Menschen aus Portugal vor drei Jahren eingereichte Klimaklage wird am Mittwoch in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verhandelt. Die NGO Amnesty International sprach von einer „bahnbrechenden“ Initiative.

Neben dem Alter der Kläger – sie sind zwischen elf und 24 Jahre alt – sind die Größe des Prozesses und die Zahl der angeklagten Länder ungewöhnlich. Aufseiten der Regierungen würden über 80 Anwälte im Gerichtssaal anwesend sein, teilte eine Sprecherin der Portugiesen mit. Die Kläger würden von lediglich sechs Anwälten vertreten.

„Das ist wirklich ein Fall von David gegen Goliath“, sagte wenige Tage vor der Anhörung Gearoid O Cuinn, Direktor der Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network (GLAN), die die Portugiesen bei der Initiative unterstützt und berät. „Es gibt keine Präzedenzfälle, weder hinsichtlich des Ausmaßes noch bezüglich der Folgen.“

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg
IMAGO/ingimage
Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Anwalt sieht möglichen „Gamechanger“

Sollten die Kläger und Klägerinnen recht bekommen, könnte der EGMR die Regierungen der EU-Mitgliedsländer und der mitangeklagten Staaten Norwegen, Russland, Türkei, Schweiz und Großbritannien auffordern, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern und strengere Klimaziele zu beschließen und einzuhalten.

Russland ist zwar seit dem 16. September 2022 keine Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr, der EGMR ist aber weiterhin für die Bearbeitung von Handlungen oder Unterlassungen betreffend Beschwerden gegen Russland zuständig, die bis dahin eingereicht wurden.

Klimaklage gegen 32 Staaten vor EGMR

Am Mittwoch wird am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klimaklage gegen 32 Staaten verhandelt. Eingebracht haben sie sechs junge Menschen aus Portugal.

GLAN-Anwalt Gerry Liston sprach von einem möglichen „Gamechanger“. Ursprünglich waren 33 Länder geklagt worden. Der EGMR nennt weiterhin diese Zahl. Aber die Jugendlichen beschlossen, die Ukraine wegen des russischen Angriffskrieges doch nicht zu klagen.

Kläger: Ohne Maßnahmen „wird Wohnort bald zu Ofen“

Mit einem Urteil ist zwar erst nächstes Jahr zu rechnen. Einer der Kläger, Martim Duarte Agostinho, meinte aber, dass man keine Zeit verlieren dürfe. „Ohne dringende Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen wird mein Wohnort bald zu einem unerträglichen Ofen werden“, sagte der 20-Jährige aus Leiria im Zentrum Portugals vor der Anhörung.

Martims Schwester Mariana hatte der deutschen Nachrichtenagentur dpa zu Beginn der Initiative im Jahr 2020 als Achtjährige gesagt, die Tatenlosigkeit der Erwachsenen mache sie wütend und traurig zugleich. „Ich habe große Angst davor, auf einem kranken Planeten leben zu müssen.“

Fachleute und Aktivisten und Aktivistinnen fordern seither unermüdlich härtere Maßnahmen: Der Juli 2023 war etwa nach Daten des EU-Klimawandeldienstes Copernicus der heißeste bisher gemessene Monat. Martim sagte: „Unsere Botschaft an die Richter wird einfach sein: Bitte sorgen Sie dafür, dass die Regierungen alles Nötige tun, damit wir eine lebenswerte Zukunft haben!“

Regierungsanwälte sprechen von „leeren Hypothesen“

Bei der Anhörung wiesen die Anwälte der europäischen Regierungen vor den 17 Richtern und den zum Teil sichtlich nervösen Jugendlichen in der zweiten Zuschauerreihe die Klage zurück. Sie basiere auf „bloßen Annahmen“ und „leeren Hypothesen“, hieß es.

„Die bisher beobachteten Auswirkungen des Klimawandels scheinen sich nicht direkt auf das Leben oder die Gesundheit der Menschen auszuwirken“, lautete zum Beispiel die offizielle Position Griechenlands. Der Vertreter Portugals meinte, der behauptete Schaden sei „zu abstrakt“.

Eine Anwältin der Gegenseite wies diese Ausführungen ironisch zurück: „Das Problem ist zu groß, es ist zu kompliziert, es ist zu global, sagen sie, daher muss der Gerichtshof wegschauen.“ Eine Ablehnung der Klage würde das Ende des wirksamen Schutzes der Menschenrechte in Europa bedeuten, wie er vor 70 Jahren konzipiert wurde, warnte sie.

Brände von 2017 als Ansporn für Klage

Die Leiterin der Abteilung für strategische Rechtsstreitigkeiten bei Amnesty International, Mandi Mudarikwa, sagte, dass die jungen Kläger und Klägerinnen wie so viele andere Menschen auf der Welt auch „die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels“ bereits unmittelbar zu spüren bekämen. Die zunehmenden Hitzeextreme schränkten ihre Möglichkeiten ein, sich im Freien aufzuhalten, Sport zu betreiben, zu schlafen und sich richtig zu konzentrieren, sagte sie.

Feuerwehrleute während Löscharbeiten in einem brennenden Wald bei Bouca, Portugal, 2017
Reuters/Rafael Marchante
In Portugal wüteten 2017 verheerende Brände – für die jungen Kläger waren diese der Anlass für die Klage

Anlass für die Klage von Mariana, Martin, ihrer Schwester Claudia (24) sowie für Catarina Mota (23) und die Geschwister Sofia (18) und Andre Oliveira (15) waren die verheerenden Brände von 2017 in ihrem Heimatland, bei denen mehr als 100 Menschen starben und riesige Waldgebiete zerstört wurden. „Da ist bei mir der Groschen gefallen (…) Ich habe gemerkt, wie dringend man handeln muss, um den Klimawandel zu stoppen“, sagte Claudia vor einiger Zeit der dpa.

Wie die Chancen für die Kläger stehen, ist schwierig zu prognostizieren, da umweltrechtliche Fragen bisher keine große Rolle vor dem EGMR gespielt haben. Grundsätzlich gewährt die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf eine saubere Umwelt. Bisher haben sich Klagen daher vor allem darauf gestützt, dass durch Umweltverschmutzung andere Menschenrechte gefährdet sind, etwa das Recht auf Leben. Oft ging es dabei zum Beispiel darum, dass Menschen von Lärm oder Luftverschmutzung betroffen waren. Die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels generell wurden dagegen bisher kaum behandelt.

Weitere Klagen folgen

Die Portugiesen sind aber nicht die Einzigen, die gerichtlich mehr Klimaschutz einfordern. Dieses Jahr wird vor dem EGMR auch über den Fall der „Klimaseniorinnen“ verhandelt – ein Zusammenschluss von Schweizer Pensionistinnen, der von Greenpeace unterstützt wird. Auch ein französischer Bürgermeister klagt derzeit auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele. Auch aus Österreich wurde von Anwältin Michaela Krömer eine Klage vor dem EGMR eingebracht.

Laut dem Grantham Institute der London School of Economics wurden weltweit schon über 2.000 Klagen für Klimaschutz erhoben, ein Viertel davon zwischen 2020 und 2022. Bald könnte es mehrere spannende Entwicklungen geben: Der Inselstaat Vanuatu im Südpazifik schaltete den Internationalen Strafgerichtshof ein. Auch in den USA, in Brasilien und in Schweden wurden Klagen wegen mangelnden Klimaschutz erhoben.

In Österreich ist Anfang Juli ein Antrag von zwölf Kindern und Jugendlichen, die ihre Rechte durch fehlende Maßnahmen für den Klimaschutz gefährdet sehen, vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aus formalen Gründen zurückgewiesen worden. Die Verfassungsrichter hatten festgestellt, dass nicht alle Teile – des von Experten als zahnlos kritisierten – Klimaschutzgesetzes angefochten wurden, die jedoch untrennbar zusammenhängen. Der Antrag sei zu eng gefasst gewesen. Auch Anträge betreffend Vertriebsverbot fossiler Treibstoffe und steuerliche Begünstigung der Luftfahrt wies der VfGH ab.