Person sieht sich auf einem Smartphone ein Video mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an
ORF/Christian Öser
Nehammer-Video

„Marie-Antoinette-Moment“ geschaffen

Das Video von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), in dem er über Kinderarmut und Frauen in Teilzeit spricht, hat für viel Empörung gesorgt. Man müsse langsam wissen, dass man als Politiker nie privat sei, so der Politikberater Thomas Hofer zu ORF.at. Das Video sei „definitiv unangenehm für die ÖVP“, denn die Opposition könne nun einen „Marie-Antoinette-Moment“ schaffen.

Sollen sie doch Kuchen essen – hat Marie Antoinette tatsächlich nie gesagt. Doch bis heute wird der luxusliebenden französischen Königin diese Phrase nachgesagt. Nach dem Video von Nehammer werde man – „das sage nicht ich, sondern die Opposition“ – einen „Marie-Antoinette-Moment“ schaffen wollen, so Hofer.

Österreich befinde sich im Vorwahlkampf, und politische Kontrahenten dürften das Video zum Anlass nehmen, Nehammers Botschaft und sein angestrebtes Image „als hemdsärmeliger und nahbarer Kanzler“ zu konterkarieren.

Politikberater Hofer über das Nehammer-Video

Politikberater Thomas Hofer über die politischen Auswirkungen des bei einer Veranstaltung mit Parteifreunden aufgenommenen Videos von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).

Sozis, Frauen und Kinder

Das Video war am Mittwochabend in sozialen Netzwerken aufgetaucht und machte schnell die Runde. Nehammer sprach dabei schon Ende Juli vor Parteifreundinnen und -freunden bei einer Funktionärsveranstaltung in Hallein (Salzburg).

„Ich habe mit meinen Sozifreunden oder linken Freunden, das ist jetzt ein Euphemismus, könnt’s euch vorstellen, das sind keine Freunde (…)“, so Nehammer zu Beginn des Videos. Danach folgt eine Empörungsrede etwa über Frauen, die in Teilzeit arbeiten, obwohl sie keine Betreuungspflichten haben.

Weiteres Thema war der Vorwurf, es gebe in Österreich Kinder, die keine warme Mahlzeit bekämen. Ihnen empfahl der Kanzler den Weg ins Fast-Food-Lokal. Müsse der Staat die Verantwortung für die Ernährung von Kindern übernehmen, sei man bald „in der DDR“, so Nehammer.

ORF-Analyse des Nehammer-Videos

Andreas Bohusch aus der ZIB-Innenpolitikredaktion analysierte das Video und die darin getätigten Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).

Botschaft widerspricht ÖVP-Linie nicht

Die Botschaft Nehammers an sich sei „sehr kongruent“ mit der aktuellen Kampagne der ÖVP, analysiert Hofer. „Indirekt sagt er: ‚So schlecht geht es uns ja gar nicht, wir sind gut durch die Krise gekommen und die Lage ist besser als die Stimmung im Land, während die anderen so tun, als nage halb Österreich am Hungertuch.‘ Wenn Nehammer das in einer normalen Tonlage sagt, passt es zur ÖVP-Botschaft.“

Doch in dem Rahmen in Hallein, wo Nehammer vor einigen wenigen Parteifunktionären sprach, habe er gefallen und unterhalten wollen. „Da hat er sich sicher gefühlt, dass dort eh alle derselben Meinung sind, und hat seine Rede mit Sagern versetzt, die aus Nehammers Sicht jetzt falsch abbiegen.“

Aufregung nach Nehammer-Video

Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu Themen wie Kinderarmut und Frauen in Teilzeit sorgen derzeit für Aufregung. Über soziale Netzwerke hatte sich ein Video verbreitet, das Nehammer bei einem Gespräch mit Parteifreunden zeigt.

Es sei allerdings erstaunlich, dass Nehammer offenbar nicht davon ausging, dass die Aussagen publik würden. „Als Politiker muss man schön langsam wissen, dass man nie, nie privat oder nur unter Anhängerinnen und Anhängern ist. Man muss wissen, dass in Zeiten der sozialen Netzwerke alles öffentlich werden kann, egal wie klein die Gruppe ist.“ Nehammers früherer „Alkohol und Psychopharmaka“-Sager sei ja schon ein warnendes Beispiel gewesen, und da habe es ein größeres Publikum gegeben.

Schlechte PR ist nicht immer gute PR

Für die ÖVP sei dieser Vorfall „definitiv nicht angenehm“, zumal derzeit die Frage sei, welche Partei „gerade den größeren Bock schießt“, so Hofer. Am Mittwoch sei die SPÖ mit SORA im Fokus gestanden, am Tag zuvor die FPÖ mit der Afghanistan-Reise. „Auch heute wäre das dominante Thema die FPÖ gewesen, wäre nicht dieses Video bekanntgeworden.“ Es sei nicht so, dass jede Werbung gute Werbung sei, Hauptsache der Name sei richtig geschrieben.

Ob das Video der ÖVP längerfristig schade, sei angesichts der vielen Aufreger auf allen Seiten schwer zu sagen. „Das ist definitiv unangenehm für die ÖVP“, so Hofer. Einerseits gebe es viele Wählerinnen und Wähler, die Nehammer zustimmen würden. Bei jenen, die Nehammer jenseits der Umfragegrenzen der ÖVP ansprechen wolle, sei das schon schwieriger. „Eines ist aber sicher: Der politische Mitbewerber wird das Video und die Aussagen immer wieder bringen. Das ist aber möglicherweise kein wahlentscheidender Moment.“

Stainer-Hämmerle: Parallele zu Schüssel

Ähnlich argumentierte die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber dem ORF Vorarlberg: Es sei klar erkennbar, dass Nehammers Aussagen nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht waren, mit denen er „sehr viele Bevölkerungsgruppen fast auch beleidigt“ habe. Ähnlich wie seinerzeit Wolfgang Schüssel (ÖVP) könne ihm nun die Opposition vorhalten, ein „Kanzler der sozialen Kälte“ zu sein.

Politikwissenschaftlerin zum Nehammer-Video

Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sprach zum Video von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), in dem er sich zu Themen wie Kinderarmut und Frauen in Teilzeit äußerte und damit für Aufregung sorgte.

Die Koalition sah Stainer-Hämmerle aber nicht in Gefahr, da gebe es wichtigere Punkte wie Gesetzesbeschlüsse und das nächste Budget. „Aber natürlich wird es eine Rolle spielen im nächsten Wahlkampf für alle Parteien, um eben vor allem der ÖVP ein Image umzuhängen, das die ÖVP sich selber sicher nicht wünscht“ – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Empörung vielerorts

Auf das Video reagierten alle Parteien empört, selbst der Koalitionspartner. Als zynisch bezeichnete etwa Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) die Aussagen, SPÖ-Chef Andreas Babler hielt gar eigens eine Pressekonferenz ab, um Nehammer zu kritisieren. Auch Gewerkschaft, Volkshilfe und Caritas äußerten sich verärgert.

Direktorin der Diakonie zum Nehammer-Video

Die Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, sprach zum Video von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).

Nehammer selbst verteidigte seine Aussagen am Donnerstag in einem weiteren Video. Leistung müsse sich lohnen, dazu stehe er. „Wer davon spricht, dass es in Österreich keine warme Mahlzeit für Kinder gibt, der stellt dieses Land in ein schlechtes Licht.“ Die ÖVP gab ihm Rückendeckung, Teile kritisierten, dass das Video öffentlich wurde.