ÖVP sieht in Aufregung über Nehammer-Video Wahlkampf

Die Aufregung über das Video, in dem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Funktionären in kleiner Runde über Frauen in Teilzeit und Kinderarmut spricht, flaut nicht ab. Heute Vormittag rückte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker aus, um Nehammers Aussagen zu verteidigen.

Der verbreitete Clip sei ein Zusammenschnitt, der wohl aus der SPÖ-Ecke komme. Der Zusammenschnitt an sich und die Tatsache, dass das Video einen Tag nach Vorstellung der ÖVP-Kampagne publik wurde, zeige, dass die Verbreitung vorbereitet gewesen sein müsse, so Stocker, um den Kanzler schlechtzumachen.

„Ich habe den Eindruck, dass das Strategiepapier von SORA für die SPÖ schon in Umsetzung begriffen ist“, sagte er in einer Pressekonferenz. Denn dieses Papier, das vor zwei Tagen versehentlich an einen großen Empfängerkreis versandt und damit öffentlich wurde, passe genau ins Bild. „Der Kanzler wird bewusst missverstanden“, so Stocker.

Verweis auf Sozialleistungen

Kein Bundeskanzler und keine Bundesregierung habe so viel für Armutsbetroffene, insbesondere Kinder, geleistet, weit über Einmalzahlungen hinaus. Österreich weise mit 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts derzeit die höchste Sozialquote der Zweiten Republik auf. Die Armut habe trotz aller Krisen nicht zugenommen. Die Armutsgefährdung sei sogar leicht gesunken.

Es müsse, so Stocker, erlaubt sein anzusprechen, dass Eltern eine Fürsorgepflicht hätten und dass Teilzeitarbeit weniger Geld bringe als Vollzeit. „Aber Wohlstand wird auch in Zukunft erarbeitet werden müssen.“ Der Kanzler sei erfolgreich und wolle gegen die schlechte Stimmung ankämpfen, die Opposition hingegen instrumentalisiere das Video.

Kogler relativiert

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sprach von einem „Sturm im Wasserglas“: „Ich muss bitten, auf die Sprache zu achten. Von humanitärer Krise zu sprechen, ist völlig überzogen.“ Ja, es gebe Probleme und Herausforderungen, aber Stimmungen zu erzeugen, „als wären wir mit dem Rücken zur Wand, halte ich für verfehlt“, so Schallenberg am Rande einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).

Auch dieser relativierte Nehammers Aussagen. „Diese Aussagen waren natürlich schon weit weg von den Lebensrealitäten dieser Frauen“, sagte Kogler am Freitag vor Journalistinnen und Journalisten in Wien. Gleichwohl lobte er die, wie er betonte, Regierungsarbeit bei der Armutsbekämpfung. „Da haben wir immer die unteren Einkommen stärker adressiert, da war keine Gießkanne.“ Wichtig sei der weitere Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten.

FPÖ ortet Kurz hinter Video

Die FPÖ ortete in einer eigenen Pressekonferenz, die wegen jener der ÖVP um eine Stunde verschoben wurde, eine gerechtfertigte Panik bei der Volkspartei. Ähnlich wie einst das „Ibiza-Video“ müsste der Nehammer-Clip nun zum Rücktritt des Protagonisten führen, so FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Er vermutete, dass das Team rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hinter der Veröffentlichung des Videos stehe, denn das Team rund um SPÖ-Chef Andreas Babler bringe so etwas nicht zusammen, so Schnedlitz.

Er verwies auf den Wunsch des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (ÖVP) nach besseren Manieren in der Politik. Nun gebe es stattdessen eine Herabwürdigung und „tiefsten Hass gegen die eigene Bevölkerung, wenn sie ihm nicht huldigt und kommentarlos schluckt, wie die Teuerung ihr zusetzt“, so Schnedlitz, der bei Nehammer Doppelbödigkeit ortet. Teilzeitarbeitende, Kindern und Familien die Schuld zuzuschieben, sei eine überschrittene rote Linie.

Nehammer habe Armutsbetroffene verächtlich gemacht und sie gedemütigt. Doch hätten sie nicht selbst die Teuerung verantwortet, sondern Nehammers Regierung. Er fragte, ob sich ÖVP-Funktionärinnen nicht für den Kanzler schämten und ob die Grünen erneut „den Steigbügel“ für die ÖVP mache. Die ÖVP sei früher eine Familienpartei gewesen, heute habe Nehammer keinerlei Bodenhaftung mehr oder eine Ahnung, wie es den Menschen gehe.

SPÖ eröffnet „Volxküche“

In der SPÖ setzt man unterdessen auf ein Gegenprogramm: Im Gemeinderat von Traiskirchen, wo SPÖ-Chef Andreas Babler Bürgermeister ist, wurde die Einrichtung einer „Volxküche“ beschlossen. Sie soll im Vollbetrieb ab kommendem Jahr täglich mehr als 800 frisch gekochte, gesunde Mahlzeiten für die Kinderbetreuungseinrichtungen der Stadt liefern. „Jedes Kind soll eine frische, warme Mahlzeit in der Schule, im Kindergarten oder der Krabbelstube bekommen“, so Babler.