Screenshot aus dem auf der Plattform X verbreiteten Video mit Bundeskanzler Karl Nehammer
Screenshot twitter.com
Nehammer-Video

Parteien spekulieren über Hintergründe

Das Video, in dem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Funktionären in kleiner Runde über Frauen in Teilzeit und Kinderarmut spricht, bleibt in aller Munde. Am Freitag hielten sowohl ÖVP als auch FPÖ Pressekonferenzen ab, bei denen sie die jeweilige Sicht der Dinge kundtaten. Für die ÖVP trägt der Zusammenschnitt des Videos die Handschrift der SPÖ. Die Freiheitlichen vermuten dagegen das Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dahinter.

Klar ist, dass das Video bei einer Funktionärsveranstaltung in Salzburg schon im Juli entstand. Die Runde war klein, der Kanzler gesprächig. Eine anwesende Person filmte – wohl für alle sichtbar – die Debatte Nehammers mit seinen vorwiegend männlichen Parteifreunden.

Rund zwei Monate später machte das Video im Netz die Runde, erstmals gepostet wurde das Video in einer 50-Sekunden-Version von einer Oberösterreicherin, die dem „Standard“ gegenüber angab, es selbst zugeschickt bekommen zu haben. Sie habe sich über Nehammers Aussagen geärgert und habe das Video deshalb hochgeladen. Das Video sei aber schon länger kursiert, so die Frau: „Ich glaube, es hat einen weiten Weg hinter sich.“

Das Videomaterial selbst komme ursprünglich aus der ÖVP, so der „Standard“ weiter. Das habe die Salzburger Landesgruppe bestätigt. Ein Besucher habe es aufgenommen, weil er von Nehammer begeistert gewesen sei. Nun mutmaßen die Parteien, allen voran die ÖVP selbst, welchen Weg der Clip nahm, der zu dem Wirbel führte.

ÖVP sieht SPÖ dahinter

Am Freitag rückte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker aus, um Nehammers Aussagen zu verteidigen. Der verbreitete Clip sei ein Zusammenschnitt, der wohl aus dem SPÖ-Eck komme. Neben dem 50-Sekünder kursiere ja auch ein Clip mit sechs Minuten Länge. Der Zusammenschnitt an sich und die Tatsache, dass das Video einen Tag nach Vorstellung der ÖVP-Kampagne gegen die schlechte Stimmung im Land publik wurde, zeige, dass die Verbreitung vorbereitet gewesen sein müsse, so Stocker. Ziel sei es, den erfolgreichen Kanzler schlechtzumachen.

„Ich habe den Eindruck, dass das Strategiepapier von SORA für die SPÖ schon in Umsetzung begriffen ist“, sagte Stocker in einer Pressekonferenz unter Verweis auf das versehentlich verschickte Dokument des Meinungsforschungsinstituts. Dieses Papier, so Stocker, passe genau ins Bild und zu den Botschaften im Strategiepapier. „Der Kanzler wird bewusst missverstanden“, so Stocker. Die Opposition instrumentalisiere das Video, während die Kanzlerpartei viel für die Armutbetroffenen in Österreich geleistet habe.

SPÖ: „ÖVP intern offenbar zerissen“

Der ÖVP „steht das Wasser bis zum Hals“, reagierte SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder auf die als „Unwahrheiten“ bezeichneten Angaben von Stocker. Das Video sei bei einer ÖVP-Veranstaltung mit „handverlesenem Publikum“ aufgenommen worden. „Die ÖVP ist intern offenbar so zerrissen, dass kompromittierende Videos angefertigt und pünktlich zum Start der türkisen Herbstkampagne an die Öffentlichkeit gespielt werden.“

FPÖ denkt an Kurz-Team

Die FPÖ wiederum ortete den Ursprung für die Verbreitung anderswo. Sie musste am Freitag ihre Pressekonferenz um eine Stunde verschieben, um sie nicht gleichzeitig mit der ÖVP abzuhalten. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz zog manche Parallelen zum „Ibiza“-Video und stellte in den Raum, ob dieses nicht harmloser gewesen sei.

Scharfe Kritik nach Nehammer-Video

Nach den Äußerungen von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu den Themen Armut und Frauen in Teilzeit hagelte es scharfe Kritik. Die FPÖ forderte den Rücktritt Nehammers, und NEOS kritisierte, Nehammer habe nur die eigene Klientel im Auge.

Auf Ibiza seien „zwei Angesoffene im Urlaub über die ‚Kronen Zeitung‘“ hergezogen, im Nehammer-Video hingegen ziehe der Kanzler über die eigene Bevölkerung her. Er habe Armutsbetroffene verächtlich gemacht und sie gedemütigt. Doch hätten sie nicht selbst die Teuerung verantwortet, sondern Nehammers Regierung.

Die Verbreiter des Videos ortete Schnedlitz im Umfeld von Ex-Kanzler Kurz. Es sei „taktisch und zeitgenau“ verbreitet worden, daher sei die Wahrscheinlichkeit, dass es von Kurz’ Team komme, hoch. Denn niemand könne davon ausgehen, dass das Team von SPÖ-Chef Andreas Babler dazu in der Lage sei. Das sehe man schon daran, dass die SPÖ nicht einmal ihre Sommertour hinbekommen habe, so Schnedlitz.

Kogler relativiert

In sozialen Netzwerken war schon eine Weile darüber spekuliert worden, wer für die Verbreitung tatsächlich verantwortlich sein könne. Auch die Grünen in Salzburg wurden da mitunter genannt. Diese aber dementierten gegenüber dem „Standard“: „Wer das mit welchem Interesse tut, können wir nicht sagen“, wurde eine Stellungnahme zitiert.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sprach am Freitag von „unachtsamen Aussagen, manche sagen: Parolen“ Nehammers. „Diese Aussagen waren natürlich schon weit weg von den Lebensrealitäten dieser Frauen.“ Gleichwohl lobte er die, wie er betonte, Regierungsarbeit bei der Armutsbekämpfung. „Jahrzehntelang wurde darüber geredet, diese Regierung hat es gemacht“, so Kogler.