Polizei und Feuerwehr an einem Tatort in der Nähe von Linköping, Schweden
IMAGO/TT/Stefan Jerrevång
Kampf gegen Banden

Schweden ruft Militär zu Hilfe

Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson will zur Eindämmung der eskalierenden Bandengewalt das Militär einsetzen. Der Polizeichef sprach von „terrorähnlicher Gewalt“. Allerdings soll die Armee nicht direkt für Einsätze auf den Straßen eingesetzt werden. Bei mutmaßlichen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten kriminellen Banden waren zuvor in weniger als 24 Stunden drei Menschen getötet worden.

Am Freitag beriet der konservative Kristersson, dessen Regierung von außen von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten gestützt wird, mit dem Polizeichef und dem Oberbefehlshaber der Armee darüber. Der Inlandseinsatz des Militärs – außer bei Naturkatastrophen – gilt in Demokratien grundsätzlich als letzes Mittel und ist in vielen Ländern, so auch in Österreich, in der Verfassung geregelt.

Die Regierung werde am Donnerstag beschließen, dass die Armee der Polizei im Rahmen der Gesetzeslage bei der Bekämpfung der kriminellen Gangs helfen könnte. In einem zweiten Schritt müsse die geltende Gesetzgebung geändert werden, um der Polizei größere Möglichkeiten beim Anfordern von Hilfe zu geben, sagte der Regierungschef. Justizminister Gunnar Strömmer ergänzte: „Es ist offensichtlich, dass wir alles tun müssen, um die Polizei bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen.“ Dabei könne es sich zum Beispiel um Expertise bei Sprengmitteln, um Hubschrauber, Hilfe bei Analysen und der forensischen Arbeit handeln.

Schweden: Militär gegen Banden

In Schweden eskaliert die Bandenkriminalität. Alleine im September sind bisher zwölf Menschen getötet worden. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristerschon will härter gegen die Bandenkriminalität im Land vorgehen. Er plant den Einsatz des Militärs, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Im Zentrum der Großstädte angekommen

Schweden hat seit Jahren mit einer Zunahme der Bandenkriminalität zu kämpfen. Die Banden liefern einander blutige Auseinandersetzungen um die Kontrolle des Drogen- und Waffenhandels, immer wieder kommt es dabei auch zu Racheakten. Im vergangenen Jahr wurden in dem skandinavischen Land 391 Schusswaffenangriffe registriert, 62 davon endeten tödlich. Der Bandenkrieg hat sich inzwischen aus berüchtigten Vororten ins Zentrum großer Städte wie Stockholm, Göteborg und Malmö verlagert. Fast jeden Tag gibt es Schüsse auf offener Straße und Explosionen in Wohnhäusern.

Am Mittwochabend war in einem wohlhabenden Vorort von Stockholm ein 18-Jähriger auf einem Fußballplatz erschossen worden, auf dem gerade ein Training mit Kindern stattfand. Gegen Mitternacht wurden in einem anderen Vorort zwei Menschen durch Schüsse verletzt, von denen einer später starb. Drei Verdächtige wurden festgenommen.

Polizisten vor einem nach einer Explosion schwer beschädigten Haus in Uppsala, Schweden
APA/AFP/TT News Agency/Anders Wiklund
Polizisten vor einem nach einer Explosion schwer beschädigten Haus in Uppsala

Noch in derselben Nacht starb eine 25-Jährige bei einer Explosion in einem Vorort der Universitätsstadt Uppsala 70 Kilometer nördlich von Stockholm. Fünf Häuser wurden beschädigt. Die getötete Frau hatte nach Polizeiangaben keine Verbindung zu den Banden.

Polizeichef: „Mehrere Grenzen überschritten“

Schwedens Polizeichef Anders Thornberg sprach am Freitag laut dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender SVT von „terrorähnlichen“ Gewalttaten. Es sei nicht „eine, sondern mehrere Grenzen“ überschritten worden. Er rechnete eigenen Angaben zufolge mit einer weiteren Verschärfung der Lage, bevor sie sich bessern wird. Immer häufiger seien Minderjährige sowohl Opfer als auch Täter. Kinder kontaktierten die kriminellen Netzwerke sogar selbst, um einen Mord begehen zu dürfen, so Thornberg.

Der Polizeichef versicherte, dass die Soldatinnen und Soldaten nicht auf die Straßen schwedischer Städte entsandt werden sollen. Das Militär solle vielmehr bei Überwachungsmissionen, Logistik und durch die Bereitstellung von Fahrzeugen helfen. Auch bei der Analyse könne eine Zusammenarbeit mit dem Militär wichtig sein.

Gemeinsam mit den Gesundheits- und Sozialbehörden werden nun auch Wege gesucht, Kinder von den Banden möglichst fernzuhalten. Auch die Staatsanwaltschaft soll laut SVT ihre Ressourcen verstärkt im Bereich Kampf gegen kriminelle Banden einsetzen.

Nach einer Zählung des SVT zur Bandengewalt wurden im September bereits elf Menschen getötet – die höchste Opferzahl in einem einzigen Monat seit vier Jahren. Unter den Toten ist auch ein 13-Jähriger, dessen Leiche in einem Wald gefunden wurde.

Blenker (ARD) über Bandenkriminalität

Christian Blenker (ARD) spricht unter anderem über die Bandenkriminalität in Schweden. Des Weiteren berichtet er, warum die Polizei die Kriminalität nicht unter Kontrolle bekommt.

Mehr Unbeteiligte als Opfer

„Immer mehr Kinder und völlig unschuldige Menschen sind von dieser extremen Gewalt betroffen“, sagte Kristersson in seiner Fernsehansprache. „So etwas hat Schweden noch nie erlebt. Kein anderes Land in Europa erlebt so etwas.“

Er gab der sozialdemokratisch geführten Vorgängerregierung die Schuld und sprach von „verantwortungsloser Einwanderungspolitik“ und „gescheiterter Integration“. Das schwedische Strafgesetzbuch sei bisher nicht „auf Bandenkriege und Kindersoldaten ausgelegt – aber das ändern wir jetzt“.

Mehr Befugnisse für Polizei

Schon in den kommenden Tagen treten nach Kristerssons Worten neue Gesetz in Kraft, die es der Polizei ermöglichen sollen, Verbrecherbanden abzuhören und in bestimmten Gebieten Verdächtige zu durchsuchen. Geplant seien auch härtere Strafen für Wiederholungstäter, deutlich längere Haftstrafen für bestimmte Verbrechen und Abschiebungen straffällig gewordener ausländischer Staatsbürger und solcher, die sich auch nur in „kriminellen Bandenkreisen bewegen“.

Kristersson sprach sich zudem für Überwachungskameras an öffentlichen Orten, schärfere Waffengesetze und spezielle Gefängnisse für jugendliche Straftäter aus.

Keine Maßnahmen gegen Grundprobleme

Sakariya Hirsi, Leiter der Organisation Kollektiv Sorg, die mit Amnesty International kooperiert, zeigte sich von den Ankündigungen gegenüber der BBC schwer enttäuscht. Hirsi betonte, die der Bandenkriminalität zugrunde liegenden Probleme würden durch die angekündigten Maßnahmen nicht berührt. Er forderte mehr Maßnahmen gegen Kinderarmut und mehr Mittel für Jugendzentren, Sportvereine und soziale Angebote auf lokaler Ebene.