Massenflucht: Kaum noch Armenier in Bergkarabach

Die Massenflucht der armenischen Bewohnerinnen und Bewohner von Bergkarabach hält unvermindert an: Wie die russische Nachrichtenagentur Interfax gestern Abend berichtete, kamen laut armenischer Regierung zuletzt 99.000 Menschen aus der Kaukasus-Region in Armenien an. Nach den jüngsten Angaben der Regierung in Eriwan verließen inzwischen mehr als 80 Prozent der 120.000 armenischen Bewohner von Bergkarabach die Region.

Familien erzählten AFP-Reportern, wie sie ihr Hab und Gut verbrannt hätten, damit es nicht in aserbaidschanische Hände fiel. Angelina Agabekjan zeigte ein Video, auf dem ihr Mann seine Uniform und seine Militärdokumente anzündet, bevor sich die Familie dem Menschenstrom anschließt, der Bergkarabach fluchtartig über den Latschin-Korridor verlässt – die einzige Straßenverbindung nach Armenien.

UNO startet Bergkarabach-Mission

Stephane Dujarric, Sprecher von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, kündigte eine UNO-Mission in Bergkarabach an. Das zehnköpfige Team unter der Leitung von Mitarbeitern des UNO-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) werde bereits ab dem Wochenende „versuchen, die Lage vor Ort zu bewerten und den humanitären Bedarf zu ermitteln, sowohl für die Menschen, die bleiben, als auch für die, die fliehen“. Dujarric fügte an, die UNO habe seit „rund drei Jahrzehnten“ keinen Zugang mehr nach Bergkarabach gehabt, daher sei die Mission „sehr wichtig“.

Angesichts der „katastrophalen humanitären Lage“ in der Region bat die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) um Unterstützung in Höhe von rund 20 Millionen Euro. Krankenhäuser seien am Ende ihrer Ressourcen, zudem würden angesichts einsetzender Kälte „dringend“ Unterkünfte benötigt, erklärte die IFRC-Regionaldirektorin für Europa, Birgitte Bischoff Ebbesen.

Bergkarabach wird „aufhören zu existieren“

Am 19. September hatte Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive in der Region gestartet. Bereits einen Tag später mussten sich die dortigen proarmenischen Kämpfer geschlagen geben. Am Donnerstag wurde die Auflösung der selbst ernannten Republik Bergkarabach zum 1. Jänner 2024 angekündigt. Bergkarabach, das überwiegend von Armeniern bewohnt war, werde damit „aufhören zu existieren“, hieß in einem Dekret.

Aserbaidschanische Sicherheitskräfte gaben indes die Festnahme eines ranghohen proarmenischen Kommandanten bekannt. Davit Manukjan müsse für vier Monate in Untersuchungshaft, hieß es in einer Mitteilung. Der stellvertretende Befehlshaber der proarmenischen Kämpfer in Bergkarabach werde verdächtigt, an „terroristischen“ Aktivitäten und anderen Verbrechen in der armenischen Enklave beteiligt gewesen zu sein. Zudem werde ihm die „Führung illegaler bewaffneter Gruppen“ vorgeworfen.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kritisierte die aserbaidschanische Militäroffensive und forderte von Baku „Sicherheitszusagen“ für die Karabach-Armenier. Mit Blick auf andere Konflikte in der Region sieht der Minister „das Potenzial für einen massiven Flächenbrand im Südkaukasus“.