Die unterirdischen Gasfelder bei Groningen im Norden der Niederlande sind die größten Vorkommen in Europa. Seit mehr als zwei Jahrzehnten klagen die Anrainer und Anrainerinnen über Erdbeben, die direkt auf die Ausbeutung der Vorkommen zurückgeführt werden. In den vergangenen Jahren war die Gasförderung deshalb zurückgefahren worden. 2021 wurden in Groningen nur noch 4,5 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert. In früheren Jahren waren es über 20 Milliarden Kubikmeter gewesen.
Schon 2022 sollte die Gasförderung ganz eingestellt werden. Angesichts der weltweiten Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine erklärte die Regierung aber im vergangenen Herbst, dass doch erneut 2,8 Milliarden Kubikmeter Gas entnommen werden sollten – die nötige Mindestmenge, um die bestehenden Standorte und Infrastrukturen zu betreiben.
U-Ausschuss: „Kaum auf langfristige Risiken geachtet“
Ein im Februar veröffentlichter Bericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses warf den niederländischen Behörden vor, bei der erfolgreichen Förderung „kaum auf die langfristigen Risiken geachtet“ zu haben. Die Parlamentarier und Parlamentarierinnen forderten die Regierung zum Handeln auf. Dem gingen jahrelange Demonstrationen und Bürgerbewegungen in Groningen voraus.
Die Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte entschied schließlich im Juni, die Produktion bis zum 1. Oktober dieses Jahres einzustellen. „Aufgrund der unsicheren internationalen Situation“ werde es ein weiteres Jahr lang möglich bleiben, „in sehr außergewöhnlichen Situationen“ an dem Standort Gas zu entnehmen, erklärte die Regierung damals – etwa bei „sehr strenger Kälte“ oder bei Gasmangel. Bis Oktober 2024 würden die letzten elf Bohrlöcher dann „dauerhaft geschlossen“.
Die Ölriesen Shell Niederlande und ExxonMobil sind zu gleichen Teilen an der Niederländische Erdölgesellschaft (NAM) beteiligt, der seit den 60er Jahren für die Ausbeutung des Groninger Gasfeldes verantwortlich ist. Auch eine Shell-Führungskraft hatte im März erklärt, dass die Regierung das Feld schließen müsse. Laut Shell wurden insgesamt mehr als 2.000 Milliarden Kubikmeter aus dem Vorkommen gefördert. Zwischen 1963 und 2020 wurden etwa 429 Milliarden Euro mit dem Groninger Gas erwirtschaftet. 85 Prozent dieser Gewinne flossen in die niederländische Staatskasse.
Enge seismologische Überwachung
Als im Dezember 1988 erstmals ein Erdbeben in der Region Groningen registriert wurde, begannen Forscherinnen und Forscher mit der seismologischen Überwachung. In der Folge wurden über tausend weitere Erdbeben verzeichnet, womit der Zusammenhang zwischen der Zunahme von Erdbeben und der Gasförderung nachgewiesen werden konnte.
Durch die Gasförderung werden Gesteinsschichten porös, die unterschiedliche Dichte lässt die Erde beben. Laut dem Royal Netherlands Meteorological Institute (KNMI) wurden teilweise über 100 Erdbeben pro Jahr registriert. Das heftigste Beben der Region hatte die Stärke 3,6 auf der Richterskala.
Schäden an Tausenden Gebäuden
Menschen, die in Groningen leben, berichteten sogar von ein bis zwei Erdbeben im Monat, welche Fensterscheiben erzittern und Bilder von den Wänden fallen ließen. Politikerinnen und Politiker, vorwiegend aus der sozialistischen Partei in den Niederlanden, prangerten an, dass Kinder in ihren eigenen Schlafzimmern und in öffentlichen Gebäuden wie Schulen nicht mehr sicher seien.
Dauerhaft sichtbar werden Schäden vor allem an den Gebäuden. In und um Groningen gibt es Medienberichten zufolge etwa 27.000 Häuser, die Erdbebenschäden aufweisen. Meist sind das Risse in der Fassade, die aber auch tiefer bis ins Mauerwerk gehen. Auch der Boden senkte sich ab.
Die Kosten für Reparaturen muss offiziell die NAM übernehmen, die das Gas fördert. Anrainerinnen und Anrainer haben aber laut dem U-Ausschuss de facto nur minimale Entschädigungen erhalten. Die Betroffenen sind demnach in einem Netz aus bürokratischen Hürden und Stümperei gefangen.
Experte: Weiter mit Erdbeben zu rechnen
Bis Ergebnisse des Beschlusses der Regierung in den seismologischen Daten sichtbar werden, könnte es allerdings dauern. Denn selbst wenn kein Erdgas in Groningen mehr gewonnen wird, heißt das noch lange nicht, dass mit keinen Erdbeben mehr zu rechnen ist.
Der niederländische Generalinspektor für Bergbau, Theodor Kockelkoren, sagte gegenüber NTV 2021, die Beben würden auch mit Ende der Gasgewinnung weitergehen: „Unserer Einschätzung nach wird es noch einige Jahrzehnte dauern, bis sich die weiche Erde unter Groningen endgültig gesetzt hat.“