Asyl-Wegweiser
APA/AFP/Jens Schlueter
Wahlen, Migration

AfD bringt Konkurrenz unter Druck

In der ersten Jahreshälfte haben in der EU, der Schweiz und Norwegen mehr als eine halbe Million Menschen einen Asylantrag gestellt, fast ein Drittel davon verzeichnet allein Deutschland. Angesichts dessen und der bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober wurde in den letzten Wochen die Debatte über Migration wieder intensiver. Doch an vielen verschiedenen Stellen nähern sich Regierung, Opposition und Länder einander an. Vor allem die starken Umfragewerte der AfD dürften viele nervös machen.

Am Montagabend sprach sich der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine Begrenzung der Flüchtlingsaufnahme aus. „Wir brauchen eine Begrenzung der Zugänge, das ist keine Frage“, sagte er in den ARD-„Tagesthemen“. Doch diese Begrenzung sei am Ende nur zu erreichen, wenn Deutschland mit den anderen europäischen Mitgliedsstaaten Außengrenzkontrollen durchführe.

Zudem müsse man es hinbekommen, dass die Prüfverfahren derer, die keine oder kaum eine Chance auf Asyl hätten, an den Außengrenzen abgewickelt und die Menschen dann auch von dort aus abgeschoben würden. Er plädiere dafür, dass Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam handeln, sagte Steinmeier. Derzeit sei die Politik noch im Wahlkampfmodus wegen der Landtagswahlen in Hessen und Bayern.

Er habe Verständnis dafür, dass man in einer Demokratie seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringe, antwortete Steinmeier auf eine Frage zu den hohen Umfragewerten für die AfD. „Ich habe (…) kein Verständnis dafür, dass man seine demokratische Stimme gebraucht, um Vorstellungen oder Bewegungen zu unterstützen, die auf der Grundlage der Verachtung der Demokratie bestehen. Und deshalb plädiere ich sehr dafür, mit der eigenen Stimme verantwortungsvoll umzugehen.“

AfD mit hohen Umfragewerten vor Wahlen

Am Sonntagabend hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann noch einmal lautstark in der ARD gepoltert, Kanzler Olaf Scholz (SPD) solle die ausgestreckte Hand der Union beim Thema Migration endlich ergreifen. Schließlich habe Scholz doch selbst einen „Deutschland-Pakt“ angeboten.

Das Poltern verdeckt aber, dass sich trotz ungelöster Streitthemen wie einer generellen Einschränkung des individuellen Asylrechts und der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer derzeit beim Thema Migration viel tut – tatsächlich kommen sich Regierung, Opposition und Länder an verschiedenen Stellen schrittweise näher.

Ein Grund dafür dürften auch die starken Umfragewerte der AfD sein. Sowohl in Hessen als auch in Bayern kann sie vom Migrationsthema profitieren. Aufwind bekommt die Partei zudem auch von den Umfragen im Bund. Dort lag man zuletzt konstant um die 20 Prozent, was einer Verdoppelung des Wahlergebnisses von 2021 entsprechen würde.

Scholz: Zahlen zu hoch

Noch vor wenigen Wochen hatten Politiker der „Ampel“-Koalition der Opposition vorgeworfen, sie würden AfD-Themen bedienen, wenn sie eine Kehrtwende in der Asylpolitik forderten. Nun erkannte Scholz die Brisanz des Themas ausdrücklich an: „Ein klares Wort vorweg: Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland streben, ist im Moment zu hoch“, sagte er am Freitag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Bis einschließlich August wurden in Deutschland mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, so das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Diese Zahlen lägen über den Werten der vergangenen Jahre. Es seien zwar fast so viele wie im gesamten Jahr 2022 und deutlich mehr als in den Jahren zuvor, allerdings weit weniger als beispielsweise 2016, wo insgesamt rund 722.000 Erstanträge gestellt worden waren, wie die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) schrieb.

Deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz
Reuters/Cathrin Mueller
Kanzler Olaf Scholz befand die Zahl der Geflüchteten, die nach Deutschland streben, zuletzt für zu hoch

In absoluten Zahlen liegt Deutschland europaweit damit klar auf Platz eins. Von den mehr als einer halben Million Menschen, die in der ersten Jahreshälfte in den europäischen Mitgliedsstaaten, der Schweiz und Norwegen einen Asylantrag gestellt haben, entfällt laut Asylagentur der Europäischen Union fast ein Drittel auf Deutschland. Dahinter folgen Spanien (17 Prozent) und Frankreich (16 Prozent).

Finanzstreit zwischen Bund und Ländern

Die Debatte zwischen Bund und Ländern eskalierte zuletzt mit dem – vorläufigen – Abbruch der Beratungen auf Fachebene über die Aufteilung der Kosten für die Aufnahme und Versorgung Geflüchteter. Nun deutete der Kanzler aber am Wochenende Bewegung an: Er selbst sei als Finanzminister für eine Art „atmenden Deckel“ gewesen. „Das Prinzip finde ich weiterhin sinnvoll“, betonte Scholz.

Im Klartext: Das Kanzleramt ist jetzt anders als im Mai bereit, zu den von den Ländern soeben wieder geforderten Pro-Kopf-Zahlungen des Bundes überzugehen. Das soll Länder und Kommunen gegen zu hohe finanzielle Belastungen bei steigenden Zahlen an ankommenden Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten absichern. Gestritten werden muss jetzt „nur“ noch über die Höhe dieses Betrages.

Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien

Auch bei den Abschiebungen gibt es Bewegung: Scholz hat angedeutet, dass man hier entschiedener vorgehen müsse – sieht allerdings eine Bringschuld der zuständigen Länder. Man müsse sämtliche Gesetze prüfen, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen, sagte er vor wenigen Tagen. Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schloss sich dem an.

Faeser robbt sich auch zu einer härteren Haltung in der Frage der Grenzsicherungen. Nachdem nicht nur CDU-geführte Bundesländer wie Sachsen, sondern auch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf mehr Kontrollen drängten, gab Faeser ihren Widerstand gegen stationäre Kontrollen auch an den Grenzen zu Polen und Tschechien auf.

Nancy Faeser (SPD)
Reuters/Liesa Johannssen
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) führte zuletzt teilweise Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien ein

Nun werden jeweils für eine gewisse Zeit auf Schleuserrouten Kontrollpunkte eingerichtet. In der SPD wird eingeräumt, dass beim Umdenken der Landtagswahlkampf in Hessen helfe, wo Faeser Spitzenkandidatin ihrer Partei sei. Die Rückmeldung sei, dass auch SPD-Anhängerinnen und -Anhänger eine härtere Linie wollten.

Sachleistungen für Asylwerber

Auch in die Debatte um mögliche Pull-Faktoren, also tatsächlich oder vermeintlich „zu“ attraktive Sozialleistungen für Geflüchtete, kommt Bewegung. Er habe nichts dagegen, Asylwerberinnen und -werbern Gutscheine anstelle von Bargeld zu geben, sagte der Kanzler im SWR-Interview. Zuvor hatte bereits der Koalitionspartner FDP Sachleistungen statt Bargeld ins Spiel gebracht, um keine Anreize für Einreisen zu geben. Eine Absage dazu kam allerdings von den Grünen.

Für Aufruhr hatte zuletzt CDU-Chef Friedrich Merz mit Äußerungen über Zahnbehandlungen für Asylwerberinnen und -werber gesorgt. In einer Talkshow sagte er, dass die Leute wahnsinnig werden, wenn sie sehen, dass 300.000 Asylwerber abgelehnt würden, nicht ausreisen würden und die vollen Leistungen bekämen. „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“, so Merz.

Friedrich Merz (CDU)
Reuters/Liesa Johannssen
CDU-Chef Friedrich Merz sorgte zuletzt mit seiner „Zahnarzt“-Aussage für viel Aufregung

Neben Kritik von der SPD distanzierte man sich auch in den eigenen Reihen gegenüber Merz. Allerdings bekräftigten viele Unionspolitikerinnen und -politiker auch ihre Forderungen nach Maßnahmen zur Verringerung des Zuzugs von Geflüchteten und Einschränkungen für Sozialleistungen für sie.

Merkel gegen Profilierung auf Kosten Geflüchteter

In die Debatte brachte sich auch die frühere deutsche Kanzlerin Angela Merkel ein. Sie sprach sich in einem ZDF-Interview gegen eine politische Profilierung auf Kosten von Migrantinnen und Migranten aus. „Wenn man sich sozusagen auf Kosten anderer Menschen, auch anders aussehender Menschen und Menschen mit anderer Biografie profiliert, dann ist das nichts, wofür ich Verständnis habe“, hob sie hervor.

Zum Thema Migration sagte Merkel: „Da wir in den letzten Jahren sehr viele Menschen in diesem Land haben, die dauerhaft hier leben und noch nicht lange in diesem Land gelebt haben, ist das wieder eine neue Aufgabe, dass wir sie mit aufnehmen.“ Nachdrücklich warb sie für deren Integration: „Deutschland umfasst alle“, hob Merkel hervor. So habe sie in ihrer Amtszeit beispielsweise auch über Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland stets gesagt: „Deren Bundeskanzlerin bin ich.“