Gedanken über Zukunft des EGMR am Verfassungstag

Mit einem Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) heute den 103. Jahrestag des Beschlusses der österreichischen Bundesverfassung gefeiert. Von der österreichischen Verfassung, deren Entstehen VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter als „große staatspolitische Leistung unserer Vorfahren während der Nachkriegswirren des Jahres 1920“ bezeichnete, war beim Festakt des Verfassungstages aber nur spärlich zu hören.

Vielmehr ging es um die Zukunft des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Dieser könne als Verfassungsgericht verstanden werden, das die relevanten Menschenrechtsstandards in Verbindung mit nationalen obersten Gerichten absichert und weiterentwickelt, sagte dessen Präsidentin und Festrednerin Siofra O’Leary.

Hinter der Einladung der Irin, die mit Ludwig van Beethovens Bearbeitung von Volksliedern aus ihrer Heimat begrüßt wurde, stehe ein Bekenntnis zur in Österreich in Verfassungsrang stehenden EMRK, besonders in einer Zeit, in der es auf europäischem Boden wieder schwerste Menschenrechtsverletzungen gebe, so Grabenwarter.

EGMR als „potenziell letzte Zuflucht“

Seit 1998 gibt es einen einzelnen, ständig tagenden EGMR, der seither mit einer größer werdenden Flut an Beschwerden konfrontiert sei – 75.000 seien derzeit anhängig. 70 Prozent davon würden aus der Türkei, Russland, der Ukraine und Rumänien stammen, nur 0,12 Prozent aus Österreich, so O’Leary.

Kurzfristige Verbesserungen könnten etwa dadurch erwirkt werden, dass Fälle, die kein Mindestmaß an Schwere erreichen, nicht geprüft werden. O’Leary schlägt auch vor, Mechanismen einzuführen, die es dem Gerichtshof erlauben, diejenigen Fälle herauszufiltern, die eine „verfassungsrechtliche“ Relevanz für die Rechtssprechung haben.

Der EGMR sei im Rechtsraum des Europarates die potenziell letzte Zuflucht, führte O’Leary aus. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) betonte die Problematik, dass dieser Weg Russinnen und Russen nach dem Ausschluss des Landes im vergangenen Jahr nicht mehr offensteht. Für über 15.000 anhängige Beschwerden gegen die Russische Föderation und für fünf von der Ukraine eingebrachte Staatenfälle sei man aber weiterhin zuständig, so O’Leary.

Van der Bellen mahnte Klimaschutzmaßnahmen ein

Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm das Thema zum Anlass, auf die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen die Klimakrise hinzuweisen. Die Implementierung der EMRK im österreichischen Recht sei eine Erfolgsgeschichte, allerdings habe es Jahrzehnte gedauert, bis sie in die Rechtspraxis Eingang gefunden habe, sagte er. Diese große Zeitspanne stehe bei der Klimakrise nun nicht mehr zur Verfügung. Maßnahmen würden zwar der Politik und dem Gesetzgeber obliegen, die EMRK könne jedoch helfen, die Dringlichkeit zu erkennen.

Edtstadler sprach im Hinblick auf das „Superwahljahr“ 2024 – gewählt wird nicht nur in Österreich und der EU, sondern etwa auch in Russland und der Ukraine – von einer gespaltenen Gesellschaft. Sie betonte die Freiheit der Meinungsäußerung. So müssten etwa die Klimaaktivistinnen und Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ für die Art ihrer Proteste kritisiert werden dürfen, obwohl sie für ein wichtiges Ziel eintreten würden.