Blick über Neapel mit Vesuv im Hintergrund
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Phlegräische Felder

Supervulkan lässt Neapel erzittern

In letzter Zeit wird die Region um die süditalienische Stadt Neapel zunehmend von kleineren Erdbeben erschüttert – zuletzt am Montagabend. Die lokale Bevölkerung ist besorgt, denn sie lebt auf dem Krater eines unterirdischen Supervulkans, der Phlegräischen Felder. Expertinnen und Experten warnen vor einem möglichen Ausbruch.

Der Erdstoß der Stärke 4,0 nach Richter ereignete sich nach Angaben des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) am Montag um 22.08 Uhr in einer Tiefe von rund drei Kilometern zwischen den Städten Neapel und Pozzuoli. Zu Schaden kam niemand, auch Gebäude wurden nicht beschädigt. Allerdings soll sich laut italienischem Zivilschutz Panik unter der lokalen Bevölkerung ausgebreitet haben.

Ein Nachbeben der Stärke 3,2 folgte am Dienstag um 6.30 Uhr. Erst am Mittwoch war die Region von einem Erdstoß mit der Stärke 4,2 heimgesucht worden. Es war das stärkste Beben seit 40 Jahren in der Gegend und hatte auch den öffentlichen Verkehr zwischenzeitlich zum Erliegen gebracht. Schulen blieben geschlossen, Gebäude, Straßen und Brücken wurden gesperrt.

Auf einem Pulverfass

Die Phlegräischen Felder erstrecken sich über eine Fläche mit einem Durchmesser von 16 Kilometern westlich des Vesuvs und weisen eine hohe vulkanische Aktivität auf. Sie entstanden durch einen sehr großen Ausbruch vor 39 .000 Jahren, der einen Riesenkrater von rund 100 Quadratkilometern – zwei Drittel davon unter dem Meer – hinterließ. Der Begriff „phlegräisch“ leitet sich vom Altgriechischen her und bedeutet „brennend“.

In Neapel ist man sich wohl bewusst, dass man auf einem Pulverfass sitzt. Seit elf Jahren gilt für das Gebiet die Alarmstufe Gelb, die zur Vorsicht aufruft. „Die Angst unter der Bevölkerung ist enorm. Sie fürchtet sich vor den Erdbeben, doch viele Einwohner glauben, dass eine Eruption des Vulkans unmöglich ist, und schalten diesen Gedanken einfach aus“, sagte Giuseppe Di Natale, der seit 40 Jahren zu Vulkanen und dem „Bradisismo“ (Heben und Senken der Erde) in diesem vulkanischen Gebiet forscht.

Tausende kleinere Erdbeben

In den letzten Monaten wurden in dem Gebiet Tausende kleinere Erdbeben registriert, durchschnittlich etwa 40 pro Tag. Die meisten von ihnen sind zwar kaum spürbare Erschütterungen, die nur Seismografen aufzeichnen, doch es sind auch Stöße dabei, die manchmal Putz von den Wänden fallen und die Menschen aufschrecken lassen.

„In den Phlegräischen Feldern war die Seismizität noch nie so hoch, während das eigentliche Problem darin besteht, dass die aktuellen Erschütterungen möglicherweise bereits die Vorboten der Eruption sind, bei der es sich um eine Supereruption handeln könnte“, sagte der Vulkanologe Giuseppe Mastrolorenzo.

Gasaustritte in der Solfatara
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Unter zahlreichen Warmwasserquellen und Gasaustritten schlummert ein Supervulkan

Boden bewegt sich auf und ab

„Die zunehmende Hebung des Bodens zeigt einen immer höheren internen Druck unter der Erde an, der auch zu immer stärkeren und häufigeren Erdbeben führt. Es ist klar, dass dieser Druck, sollte er weiter steigen, früher oder später nicht mehr von den Gesteinen an der Oberfläche getragen werden kann, sodass es zu einer Eruption kommen wird. Derzeit kennen wir leider die Widerstandsgrenze der Gesteine in den ersten drei Kilometer Tiefe nicht, sodass wir keine Ahnung haben, wie hoch die Gefahr einer Eruption sein könnte“, sagte Di Natale.

Die Forschung führt das Auf und Ab der Phlegräischen Felder auf unterirdische Magmabewegungen zurück. Steigt Magma aus den tieferen Schichten des Erdinneren unter Pozzuoli, 15 Kilometer von Neapel entfernt, auf, beginnt sich das ganze Gebiet zu heben. Sobald das Magma wieder sinkt, geht die Ausbeulung an der Erdoberfläche zurück – und auch die Phlegräischen Felder sinken wieder.

1983 war die Aufregung in Pozzuoli groß, als sich die Erde dort wieder einmal um mehr als einen Meter hob. Der neue Zustand hielt mehrere Monate an. Er war von Erdbeben begleitet, die zu erheblichen Schäden im Mauerwerk der alten Wohnhäuser im Hafenviertel führten. Mehr als 30.000 Menschen mussten damals für mehrere Wochen ihre Wohnungen verlassen, bis sich die Erde wieder beruhigt hatte.

Historische Küstenstadt Pozzuoli
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Eine Eruption hätte weitreichende Folgen für das Gebiet bei Neapel

„Extrem gefährlicher Zustand“

„Heute ist der Bodenspiegel so hoch wie nie zuvor in den letzten Jahrhunderten. Das bedeutet, dass der Innendruck so stark ist wie seit dem letzten Vulkanausbruch des Jahres 1538 nicht mehr“, warnte Di Natale. Experten schließen nicht aus, dass die neuerliche Hebung bis an einen Punkt führt, an dem die Gesteinsschichten den blähenden Kräften nicht mehr standhalten können, wie eine neue Studie im Juni bestätigte.

Der Vulkan befinde sich in einem „extrem gefährlichen“ Zustand, sagte etwa der Studienmitautor Stefano Carlino. Wichtig sei, dass man auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Wie verheerend genau die Auswirkungen eines Ausbruchs heute sein könnten, ist vollkommen unklar. Eine Simulation des INGV aus dem Jahr 2011 zeigt, welche Wucht vom Supervulkan ausgehen könnte.

Veraltete Evakuierungspläne

So arbeitet der Zivilschutz an einem großen Evakuierungsplan für die dicht besiedelte Region. Das ist auch dringend nötig, denn Evakuierungstests wurden seit Jahren nicht mehr wiederholt. Auch eine Karte mit Gebäuden, die einem Erdbebenrisiko ausgesetzt sind, fehlen, berichtete die italienische Zeitung „La Repubblica“. Im extremsten Fall sollen 1,3 Millionen Menschen im gesamten Raum Neapel innerhalb von 72 Stunden in Sicherheit gebracht werden.

Die Evakuierung würde vom Heer und dem Zivilschutz koordiniert werden. In drei Tagen sollte eine ganze Region per Bahn, Bus und Autos die Gegend verlassen. Eine Eruption hätte aber auch Folgen, die weit über das unmittelbare Einzugsgebiet hinausgehen. Bei dem Ausbruch vor rund 39.000 Jahren wurde eine derart große Menge an Asche in die Atmosphäre geschleudert, dass sie das Klima weltweit beeinflusste.

INGV-Direktorin Francesca Bianco indes war um Beruhigung bemüht: „Keine der Daten deutet darauf hin, dass es sich um den Vorläufer eines bevorstehenden Ausbruchs handelt.“ In den letzten zehn Jahren seien mehrere Maßnahmen zur Verstärkung der Überwachungsaktivitäten durchgeführt worden, die eine Erkennung von Erdbeben in Echtzeit ermöglichen. Die Phlegräischen Felder und der Vesuv seien so zu „den am besten überwachten Vulkanen der Welt“ geworden.