Kevin McCarthy
AP/J. Scott Applewhite
Nach historischer Absetzung McCarthys

Chaos in US-Repräsentantenhaus

Radikale Republikaner haben den Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, in einem historischen Schritt aus dem Amt getrieben und das Parlament so ins Chaos gestürzt. Eine Mehrheit der Kongresskammer stimmte am Dienstag dafür, McCarthy abzusetzen. Das Drama bringt das US-Parlament vorerst zum Stillstand, dürfte für weiteres Chaos bei den Republikanern sorgen und hat Folgen weit über die USA hinaus.

McCarthy gab nach seiner dramatischen Abwahl eine Pressekonferenz. In einem teils emotionalen, teils angriffslustigen Auftritt teilte der 58-Jährige gegen seine Gegner aus, insbesondere gegen den republikanischen Hardliner Matt Gaetz. Diesem sei es nie um Inhalte gegangen, sondern allein um Persönliches – und darum, Medienaufmerksamkeit zu bekommen. Nichts von dem, was Gaetz sage, sei wahr.

McCarthy beklagte sich bitterlich, dass ein Vorsitzender die überwältigende Mehrheit seiner Fraktion hinter sich habe und trotzdem von acht Abgeordneten gemeinsam mit der anderen Partei aus dem Amt entfernt werde. Das Parlament als Institution habe versagt. Mit einem bemühten Lächeln auf dem Gesicht verkündete er, er sei mit sich im Reinen und würde im Rückblick rein gar nichts anders machen: „Ich habe Geschichte geschrieben, oder?“

Emotionale Rede von McCarthy

Nach seiner historischen Absetzung als Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses hat Kevin McCarthy in einer emotionalen Rede Stellung genommen. Er bereue keineswegs, Kompromisse mit den Demokraten eingegangen zu sein, um eine Stilllegung des Haushaltsbudgets abzuwenden. Über den republikanischen Hardliner Matt Gaetz, der den Aufstand gegen ihn angeführt hatte, meinte er, dass es diesem nie um Inhalte, sondern stets nur um Medienaufmerksamkeit gegangen sei.

Abstimmung zeigt Polarisierung im Kongress

216 Abgeordnete stimmten für die Amtsenthebung, 210 – alles Republikaner – dagegen. Alle anwesenden Demokraten stimmten geschlossen mit acht revoltierenden Republikanern gegen McCarthy. Unterstützer McCarthys versuchten am Dienstag zunächst, den Antrag mit einem Gegenantrag abzuschmettern und eine Abstimmung über eine mögliche Absetzung des Vorsitzenden zu verhindern. Die nötige Mehrheit dafür kam aber nicht zustande.

Das Votum spiegle die tiefe Polarisierung im Kongress wider und werfe die Frage auf, wer überhaupt die Unterstützung aufbringen könnte, um die zunehmend widerspenstige republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus zu führen, schrieb die „New York Times“ („NYT“). Die Vorsitzwahl drohe jedenfalls chaotisch zu werden.

Völlig unklare Nachfolge

Wer nachrücken könnte, ist völlig unklar. McCarthy jedenfalls will nicht nochmals antreten, machte er nach dem Votum klar. Auch Gaetz versicherte, er habe keine Ambitionen, selbst zu kandidieren – er wäre auch nicht mehrheitsfähig. In einer zersplitterten Fraktion ist generell unklar, wer genug Parteikollegen hinter sich vereinen kann.

Mehrere Namen gehen um, darunter die bisherige republikanische Nummer zwei in der Kammer, Steve Scalise. Klar ist vorerst nur, dass eine Woche lang gar nichts passiert: So viel Zeit wollen sich die Republikaner nehmen, um sich zu sortieren und Personalien auszuloten. Frühestens Mitte kommender Woche könnte es eine Wahl geben. Wie viele Wahlgänge nötig sein werden, ist offen.

Matt Gaetz vor Reportern
AP/Bill Clark
Der republikanische Hardliner Gaetz hatte die Revolte gegen McCarthy angeführt

Gesetzgeberische Arbeit liegt auf Eis

Alle gesetzgeberische Arbeit liegt vorerst auf Eis, und das in Zeiten, in denen der Kongress unter anderem die Verabschiedung eines Bundeshaushalts vor sich hat. Ein beschlossener Übergangshaushalt läuft Mitte November aus. Ist bis dahin kein neues Budget verabschiedet, steuern die USA einmal mehr auf einen Stillstand der Regierungsgeschäfte zu.

Das Parlament muss auch über neue Hilfen für die Ukraine entscheiden. Im Übergangshaushalt sind keine weiteren Hilfen für das von Russland angegriffene Land vorgesehen. Das heißt nicht, dass die USA Kiew von jetzt an nicht mehr unterstützen. Allerdings geht das bisher genehmigte Geld zur Neige, neue Mittel müssen genehmigt werden. Die internen Kämpfe der Republikaner haben daher auch internationale Auswirkungen.

Noch dazu ist ein verfassungsrechtlich wichtiger Posten unbesetzt. Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses kommt in der staatlichen Rangfolge an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize. Der Republikaner Patrick McHenry übernimmt zwar als Interimsvorsitzender formale Aufgaben, füllt die Rolle aber nicht politisch aus. Der Schritt dürfte auch die Republikaner im Repräsentantenhaus weiter ins Chaos stürzen, meinte der US-Sender CNN.

Kapitol in Washington
AP/Mark Schiefelbein
Das historische Votum führt vorerst zu Stillstand im US-Repräsentantenhaus

Noch nie da gewesen

Der radikale republikanische Abgeordnete Gaetz hatte den Aufstand gegen seinen Parteikollegen McCarthy angeführt. Er brachte am Montagabend einen Antrag auf dessen Entfernung aus dem Amt ins Parlament ein. Unterstützer McCarthys versuchten am Dienstag zunächst, den Antrag mit einem Gegenantrag abzuschmettern und eine Abstimmung über eine mögliche Absetzung des Vorsitzenden zu verhindern. Die nötige Mehrheit dafür kam aber nicht zustande.

Das US-Repräsentantenhaus stand zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren vor einer Abstimmung über eine mögliche Absetzung seines Vorsitzenden. Es war das erste derartige Votum im Plenum der Kammer seit 1910. Ein Antrag auf Absetzung des Vorsitzenden ist extrem rar im US-Repräsentantenhaus. In der Geschichte der Kongresskammer wurden bisher nur dreimal solche Anträge vorgebracht. Und nur einmal kam es bisher zu einer Abstimmung im Plenum der Kammer darüber. Noch nie zuvor aber hatte ein Vorsitzender sein Amt auf diesem Weg verloren.

Inka Pieh (ORF) zur McCarthy-Absetzung

Inka Pieh (ORF) spricht über die Absetzung von Kevin McCarthy in den USA. Das US-Repräsentantenhaus stimmte in einer namentlichen Abstimmung für die Absetzung des Vorsitzenden.

Bumerang kommt zurück

Die Absetzung McCarthys war von diesem zu einem nicht geringen Anteil selbst verschuldet. Er hatte bereits bei der Wahl zum „Speaker“ mit einer Revolte des Rechtsaußen-Flügels seiner Fraktion zu kämpfen, allen voran Gaetz. Es waren historisch bisher einmalige 15 Wahlgänge nötig, damit McCarthy schließlich gewählt wurde. Er versprach Gaetz und anderen dafür im Gegenzug ein erleichtertes Prozedere, um die Absetzung des Vorsitzenden zu beantragen. Dieses Zugeständnis kam nun als Bumerang zu McCarthy zurück.

Gaetz wirft McCarthy unter anderem vor, er mache gemeinsame Sache mit dem demokratischen Präsidenten Joe Biden, statt für die republikanische Fraktion zu arbeiten. Anlass ist der Haushaltsstreit in den USA. Der Hardliner Gaetz stört sich unter anderem daran, dass McCarthy am Wochenende mit den Stimmen von Demokraten einen drohenden Stillstand der Regierung im letzten Moment abgewendet hatte. Er wirft seinem Parteikollegen aber auch Verstöße gegen Absprachen vor. Gaetz sagte in der Debatte, McCarthy sei nicht zu trauen.