Schlauchboot mit Mitarbeitern einer NGO neben einem Boot mit Migranten
Reuters/Darrin Zammit Lupi
Asylkompromiss

EU-Staaten einig bei Krisenverordnung

Im Streit um die europäische Asylreform haben sich die 27 EU-Staaten auf einen Kompromiss geeinigt. Es sei eine gemeinsame Positionierung zu den Vorschlägen der EU-Kommission für eine Asylkrisenverordnung vereinbart worden, teilte die spanische EU-Ratspräsidentschaft am Mittwoch auf Twitter (X) mit. Mehrere Diplomaten bestätigten die Einigung. Die Krisenverordnung sieht deutlich verschärfte Maßnahmen vor, wenn – wie es heißt – durch Flüchtlinge eine Überlastung der Asylsysteme droht.

Die Krisenverordnung sieht für den Fall einer „massiven“ Ankunft von Flüchtlingen die Einführung einer Ausnahmeregelung vor, die Asylsuchenden weniger Schutz bietet als normale Verfahren. Dabei kann die mögliche Dauer der Festhaltung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen auf bis zu 40 Wochen verlängert werden.

Zudem werden schnellere und einfachere Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen für eine größere Zahl von Flüchtlingen ermöglicht. Damit können diese leichter zurückgeschickt werden. Betroffen sind Flüchtlinge aus Ländern, deren Anerkennungsquote – also die Quote positiv beschiedener Asylanträge – unter 75 Prozent liegt.

Des Weiteren ist eine schnelle Auslösung von Solidaritätsmechanismen gegenüber dem Mitgliedsstaat vorgesehen, der mit der Ankunft der Flüchtlinge konfrontiert ist. Das gilt insbesondere in Form von finanzieller Hilfe oder einer Verlegung von Asylwerberinnen und Asylwerbern.

Streit zwischen Deutschland und Italien

Streit gab es zuletzt noch zwischen Deutschland und Italien um die Rolle privater Seenotrettungsorganisationen. Mit dem Kompromiss hat sich nun Italien weitgehend durchgesetzt: Auf Drängen der rechten Regierung in Rom wurde nach Diplomatenangaben ein Absatz aus dem Gesetzestext genommen, der sich auf die Einsätze der Seenotretterinnen und -retter bezog.

Er besagte, dass die Folgen dieser Rettungseinsätze nicht für die Feststellung des Krisenfalls herhalten dürften. Der Absatz steht jetzt nur noch als Zusatzklausel in dem Entwurf. Deutschland hatte die Krisenverordnung wegen humanitärer Bedenken lange blockiert, Ende September dann aber bereits einem ersten Kompromiss zugestimmt.

Schaidreiter (ORF) zur Asylreform

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter spricht unter anderem darüber, ob die beschlossene Asylreform tatsächlich etwas an den Flüchtlingsbewegungen in Europa ändern könnte.

Einigung mit EU-Parlament ausstehend

Nach der Einigung auf Ebene der Regierungen der EU-Staaten soll jetzt schnellstmöglich auch mit dem Europaparlament eine Verständigung über das Reformprojekt erzielt werden. Dabei drängt die Zeit angesichts der baldigen Europawahl im Juni 2024. Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden und sich lange verzögern.

Plenum des Europäisches Parlaments in Straßburg
IMAGO/CTK Photo/Katerina Sulova
Nach der Einigung der EU-Staaten ist nun das Europäische Parlament am Zug

Im Fall der geplanten Reform des Asylsystems wäre das ein besonders großer Rückschlag. An dem Projekt wird bereits seit Jahren gearbeitet. Vor allem rechte Parteien wie die AfD werfen der EU seit Langem Versagen im Kampf gegen illegale Migration vor.

Asylprüfung innerhalb von zwölf Wochen

Grundsätzlich sehen die Pläne für die EU-Asylreform unter anderem einen deutlich härteren Umgang mit Menschen aus Ländern vor, die als relativ „sicher“ gelten. Sie sollen künftig nach einem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen.

Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob die Antragstellerin oder der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll die betreffende Person umgehend zurückgeschickt werden.

Zudem soll dafür gesorgt werden, dass stark belasteten Staaten wie Italien und Griechenland künftig ein Teil der Asylsuchenden abgenommen wird. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.

Karner begrüßt Kompromiss

„Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, um das Große und Ganze in den Vordergrund zu rücken“, begrüßte Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) die Einigung. Österreich hat sich bei der Abstimmung aber zusammen mit der Slowakei und Tschechien enthalten. Das Innenministerium bestätigte der APA entsprechende Medienberichte.

Polen und Ungarn sollen dagegen gestimmt haben. Die Krisenverordnung geht der Regierung in Wien in einzelnen Punkten nicht weit genug. Man begrüßt aber, dass die Hürde für das Auslösen der Krisenverordnung hochgesetzt worden sei und dass man einer Reform des EU-Asylsystems näher gekommen ist.

ÖVP für rasche Verhandlungen

Der österreichische EU-Abgeordnete Lukas Mandl (ÖVP) will sich dementsprechend für einen baldigen Start der Verhandlungen einsetzen, wie er in einer Aussendung sagt. „Länder und Regionen stoßen bereits an ihre Grenzen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt“, pflichtet ihm Angelika Winzig (ÖVP-Delegationsleiterin im EU-Parlament) bei.

„Der Druck des EU-Parlaments hat gewirkt“, freut sich auch die EU-Mandatarin der SPÖ, Theresa Bielowski. Sie zeigt sich aber verwundert darüber, dass Österreich sich enthalten hat, „denn von einer solidarischen europaweiten Verteilung würden besonders Staaten wie Österreich profitieren.“

Kritik von Grünen und FPÖ

Kritisch äußerte sich die grüne Abgeordnete Monika Vana. Eine Reform der EU-Asyl- und -Migrationspolitik sei zwar überfällig. „Leider bedeutet der vorliegende Entwurf des Rats kein Ende des Chaos und Leids an den Außengrenzen, und die Aufgabe der Seenotrettung ist ein Kniefall vor Italiens Postfaschisten.“

Zuvor zeigte sich auch FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky kritisch. „Wer hofft, dass der EU-Migrationspakt tatsächlich etwas an der Massenzuwanderung ändert, wird enttäuscht sein.“ Die viel zitierte europäische Lösung löse gar nichts, sondern sei ein Placebo für die Bürgerinnen und Bürger, das man noch rechtzeitig vor den EU-Wahlen 2024 unter Dach und Fach bringen wolle, so Vilimsky.

EU-Staaten einig bei Krisenverordnung

Im Streit um die europäische Asylreform haben sich die 27 EU-Staaten auf einen Kompromiss geeinigt. Es sei eine gemeinsame Positionierung zu den Vorschlägen der EU-Kommission für eine Asylkrisenverordnung vereinbart worden, teilte die spanische EU-Ratspräsidentschaft am Mittwoch auf Twitter (X) mit. Mehrere Diplomaten bestätigten die Einigung. Die Krisenverordnung sieht deutlich verschärfte Maßnahmen vor, wenn – wie es heißt – durch Flüchtlinge eine Überlastung der Asylsysteme droht.

Auch Amnesty International kritisierte die Entscheidung laut einer Mitteilung: „Dieses Abkommen birgt die Gefahr, dass Menschen an den Grenzen Europas festsitzen, inhaftiert oder mittellos bleiben, und trägt nicht dazu bei, den Schutz von Asylwerbern in der EU zu verbessern.“ Es sei „gefährlich“, Asylsuchenden ihr Recht zu verweigern, und noch dazu eine unverhältnismäßige Reaktion auf Situationen, „mit denen Länder nach den bestehenden Regeln durchaus umgehen könnten“, hieß es weiter.

Von der Leyen sieht echten „Gamechanger“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erfreut über den Kompromiss. Das sei ein echter „Gamechanger“, teilte von der Leyen auf Twitter mit. Sie begrüße die erfolgreiche politische Einigung der EU-Staaten.

Das Treffen am Mittwoch war die letzte Chance, eine Einigung zu erzielen, bevor sich die 27 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU am Donnerstag und Freitag im spanischen Granada treffen, wo sie über die irreguläre Migration angesichts der zunehmenden Ankünfte im Mittelmeer, unter anderem auf der italienischen Insel Lampedusa, beraten wollen.