der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
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Europagipfel in Granada

Selenskyj fordert Geschlossenheit

Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa sind am Donnerstag zum Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im spanischen Granada zusammengekommen. Die Geschlossenheit Europas in Hinblick auf die Ukraine sei „die größte Herausforderung“, sagte Selenskyj bei seiner Ankunft. Er forderte einen militärischen „Abwehrschild“ für die Ukraine für den Winter, da er russische Angriffe mit Raketen und iranischen Drohnen erwarte.

Selenskyj bat zudem um „zusätzliche Luftabwehrsysteme für die Ukraine, zusätzliche Artillerie und Granaten, zusätzliche Langstreckenraketen und Drohnen für unsere Soldaten sowie zusätzliche Unterstützungsformate und Sicherheitsgarantien für von Russland bedrohte Nationen“, um Europa vor einer möglichen Aggression Moskaus zu schützen.

Zudem warnte er vor einem Waffenstillstand und einem Einfrieren des Konflikts in seinem Land. Wenn Russland jetzt eine Pause bekomme, dann werde es bereits 2028 sein bisher durch den Krieg verbrauchtes militärisches Potenzial wiedererlangt haben, so der ukrainische Präsident. In seinem Expansionsdrang werde der Angreifer Russland dann „stark genug sein, andere Länder anzugreifen“.

Selenskyj ruft Europa zu Geschlossenheit auf

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die europäischen Länder auf dem Gipfel in Granada zu Geschlossenheit gegenüber Russland aufgerufen. Die größte Herausforderung bestehe darin, die Einigkeit in Europa zu wahren, so Selenskyj vor Medienvertretern.

Selenskyj räumte auch ein, dass die Ukraine-Hilfe der USA in der dortigen Vorwahlzeit schwierig geworden sei. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, es sei „sicherlich keine gute Nachricht“, dass die USA in ihrem Übergangshaushalt keine Hilfe für die Ukraine vorsehen. Er hoffe aber, dass das nicht die definitive Position der Vereinigten Staaten sei. Europa erhöhe die Ukraine-Hilfe, könne aber die USA nicht ersetzen.

Sanchez: Unterstützung bis zum Ende

Der spanische Premierminister und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Pedro Sanchez sagte vor dem Treffen, er sei „stolz, Präsident Selenskyj unter uns zu haben“. Er werde den ukrainischen Präsidenten in Granada auch zu einem bilateralen Gespräch treffen, denn Europa sei „bereit, unsere Freunde in der Ukraine bis zum Ende des Krieges zu unterstützen“.

„Granada ist heute die Hauptstadt Europas und des Friedens.“ Er wies auf die Debatten hin, die Europa nun führen müsse, um die Ukraine weiter zu unterstützen. Dazu zählt die von der EU-Kommission angestrebte Aufstockung des mehrjährigen EU-Haushalts. Österreich ist hier skeptisch.

der spanische Premierminister Pedro Sanchez und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
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Der spanische Premierminister Sanchez empfing in Granada unter anderem den ukrainischen Präsidenten Selenskyj

Regierungskreisen zufolge will Spanien der Ukraine auch Luft- und Drohnenabwehrsysteme zur Verfügung stellen. Diese sollten dem Schutz von Energieinfrastruktur und Häfen dienen, sagte ein Insider. Spanien werde ukrainische Soldaten für den Gebrauch der Systeme ausbilden. Zudem solle die Ukraine mehr Ausrüstung zur Minenräumung erhalten. Auch Deutschland sagte der Ukraine für die Wintermonate ein weiteres Flugabwehrsystem vom Typ Patriot zu.

Von der Leyen kündigt 50-Mrd.-Euro-Paket an

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, die EU arbeite an einem 50-Milliarden-Euro-Unterstützungspaket für die Ukraine. Für das Land seien „Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sehr wichtig“. Sie habe auch Vertrauen auf weitere Unterstützung vonseiten der USA.

Zudem habe man Putins Erpressungsversuche mit Energie zu einer leeren Drohung werden lassen, sagte von der Leyen in ihrer Eröffnungsrede. Europa habe die von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste „massive Krise“ bei der Energieversorgung gemeistert: „Die Energiepreise sind gesunken, und unsere Gasspeicher gut gefüllt“, so die Kommissionspräsidentin.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte ein 50-Milliarden-Euro-Unterstützungspaket für die Ukraine an

Neben der Unterstützung für die Ukraine betonte die Kommissionschefin die Pflicht Europas, die „europäische Sicherheitsarchitektur wiederherzustellen“ und die „Energieversorgungssicherheit sicherzustellen“. „Zum ersten Mal überhaupt produziert die Europäische Union mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Gas“, so von der Leyen.

Bröckelnde Unterstützung für Kiew

Die Gespräche in Granada werden allerdings auch von Anzeichen einer bröckelnden Unterstützung für die Ukraine überschattet. In den USA sind Finanzhilfen für Kiew wegen des internen Haushaltsstreits in der Schwebe. In der EU blockiert das russlandfreundliche Ungarn Hilfen für die Ukraine.

Zudem könnte es nach der Wahl in der Slowakei dazu kommen, dass Sieger Robert Fico einen ähnlichen Kurs einschlägt wie Viktor Orban in Ungarn. Fico hatte vor der Wahl angekündigt, er wolle die bei der Bevölkerung unbeliebte Waffenhilfe beenden und der Ukraine nur noch mit zivilen Gütern helfen, wenn er an die Macht käme.

Auf EPG folgte informeller EU-Gipfel

Rund 45 Staats- und Regierungschefs sowie die Spitzen der EU-Institutionen sind am Donnerstag in Granada. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) musste seine Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Gemeinsame politische Beschlüsse der EPG sind nicht geplant. Diese hatte es auch bei den letzten Treffen in diesem Format nicht gegeben. Ziel sei es aber laut spanischer Ratspräsidentschaft, Europa „widerstandsfähiger, wohlhabender und geostrategischer“ zu machen.

Plenum am Europagipfel
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Rund 45 Staats- und Regierungschefs nahmen am ersten Tag des Europagipfels im spanischen Granada teil

Am Freitag folgte in Granada dann ein informeller Europäischer Rat, bei dem nach Angaben des spanischen EU-Ratsvorsitzes die Erweiterung der Union, die Migrationskrise und die Säulen der künftigen strategischen Agenda 2024-–2029 auf der Agenda standen. Nehammer werde dabei vom niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte vertreten werden, hieß es aus dem Bundeskanzleramt. Da es sich um ein informelles Treffen handle, würden allerdings keine Abstimmungen stattfinden.

EU-Korrespondent Benedict Feichtner (ORF) zum Europagipfel

Benedikt Feichtner (ORF) berichtet vom Europagipfel in Granada. Eingeladen sind die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten und von 20 weiteren Ländern. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nimmt auf dem Gipfeltreffen teil.

Gipfelformat von Macron initiiert

Das Format der EPG geht auf eine Idee von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zurück. Der Gründungsgipfel fand vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine im Oktober 2022 in Prag mit damals 44 Staaten statt. Aus Sicht der EU soll der Gipfel erneut ein klares Zeichen an Kreml-Chef Wladimir Putin senden, dass sein Land in Europa mittlerweile nahezu vollständig isoliert ist.

Abgesehen von einigen Klein- und Stadtstaaten sind Russland und Belarus als einzige auf dem europäischen Kontinent liegende Staaten nicht eingeladen. Das zweite Treffen fand im Juni 2023 auf Schloss Mimi, einem Weingut in der Republik Moldawien nahe der ukrainischen Grenze, statt. Moldawien ist selbst Übergriffen aus Russland ausgesetzt. Auch an diesem Treffen hatte Selenykyj persönlich teilgenommen. Es ist geplant, jedes Jahr zwei Gipfeltreffen abzuhalten.

Treffen der EU-Spitzenpolitiker in der Republik Moldau
Reuters/Ukrainian Presidential Press Service
Das zweite und letzte Treffen der EPG fand im Juni in Moldawien auf einem Weingut nahe der ukrainischen Grenze statt

Im Unterschied zum Europarat mit seinen 46 festen Mitgliedern versteht sich die EPG als informelle Plattform für geostrategische Fragen, Digitalisierung, Energie und Klima. Eine große Rolle spielen Gespräche im kleinen Kreis am Rande des Gipfels. Der nächste EPG-Gipfel soll nächstes Jahr in Großbritannien stattfinden.