Lagerhalle von Cainiao, der Logistiksparte von Alibaba in Lüttich
IMAGO/Xinhua/Zheng Huansong
Spionageverdacht

Belgischer Geheimdienst überwacht Alibaba

Um die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU steht es derzeit nicht zum Besten, das zeigt auch ein aktueller Bericht der „Financial Times“ („FT“). Aus Sorge vor möglicher Spionage, heißt es darin, überwachen belgische Sicherheitsbehörden das wichtigste Logistikzentrum des chinesischen Onlineriesen Alibaba in Europa auf dem Frachtflughafen in Lüttich. Das wechselseitige Misstrauen wächst.

Der belgische Nachrichtendienst VSSE bestätigte am Donnerstag in einer Erklärung den „FT“-Bericht: Man arbeite daran, „mögliche Spionage- und/oder Einmischungsaktivitäten chinesischer Unternehmen, einschließlich Alibaba, aufzudecken und zu bekämpfen“. Nachdem chinesische Unternehmen verpflichtet seien, ihre Daten mit Behörden und Nachrichtendiensten in Peking zu teilen, stehe die Präsenz von Alibaba auf dem Flughafen Lüttich unter Beobachtung. „China hat die Absicht und die Fähigkeit, diese Daten für nicht kommerzielle Zwecke zu nutzen“, hieß es vom VSSE.

Alibaba, das jegliches Fehlverhalten bestreitet, unterzeichnete 2018 eine Vereinbarung mit Belgien zur Eröffnung des Drehkreuzes in Lüttich, dem fünftgrößten Frachtflughafen Europas, und investierte 100 Millionen Euro in die kränkelnde Wirtschaft der französischsprachigen Region Wallonien. Der Standort ist das einzige europäische Logistikzentrum, das von Alibabas Logistiktochter Cainiao betrieben wird. Dort werden hauptsächlich Waren umgeschlagen, die über die Shoppingplattform AliExpress direkt an europäische Verbraucher und Verbraucherinnen verkauft werden.

Risiko durch Software

Nach Informationen der „FT“ gehen die belgischen Sicherheitsbehörden davon aus, dass von der Software von Cainiao ein mögliches Spionagerisiko ausgeht. Sie soll Logistikabläufe verbessern und ist Teil von Alibabas elektronischer Welthandelsplattform (eWTP). Offenbar sei Cainiao so in der Lage, auf Daten über Händler, Produkte, Transportdetails und -ströme zuzugreifen, sagte eine Person, die mit den IT-Systemen des Unternehmens vertraut ist, der britischen Zeitung.

Jonathan Holslag, Professor für internationale Politik an der Vrije Universiteit Brussel, sagte gegenüber der „FT“, es bestehe auch das Risiko, dass Cainiao auf Informationen über die Endverbraucher zugreifen könne. „Das Wissen über wichtige Veränderungen in den Verbrauchsmustern und das Wissen über die Logistikkette“ sei wertvoll in Chinas Streben nach Handelsdominanz.

Arbeiter in einer Lagerhalle von Cainiao, der Logistiksparte von Alibaba in Lüttich
IMAGO/Belga/Eric Lalmand
Alibabas Logistiktochter steht im Verdacht, auf Daten über Händler, Produkte, Transportdetails und Warenströme zuzugreifen

„Zeit der Naivität“ vorbei

Bereits vor dem Bau des Drehkreuzes wurden Bedenken wegen möglicher Spionage am Standort geäußert, unter anderem im belgischen Parlament. Damals wies China „Unterstellungen" über „sogenannte Sicherheitsrisiken chinesischer Unternehmen" entschieden zurück. Der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne sagte nun der „FT“, die frühen Verhandlungen mit Alibaba würden „aus einem früheren Jahrhundert“ stammen, „die Zeit der Naivität sei vorbei“.

Die Spionagewarnungen und die sich häufenden Fälle von Zollbetrug, in die chinesische Unternehmen auf dem Flughafen Lüttich verwickelt sind, stellen eine ernsthafte Herausforderung für die belgische Regierung dar, die Alibaba ursprünglich umworben hatte. Sowohl der ehemalige Premierminister Charles Michel, jetzt Präsident des Europäischen Rates, als auch der belgische König Philippe trafen sich mit dem ehemaligen Alibaba-Chef Jack Ma.

Enormes Handelsdefizit

Die belgischen Behörden hatten gehofft, dass der von Alibaba ermöglichte Handel dazu beitragen würde, die Handelslücke mit China zu schließen und die Wirtschaft anzukurbeln. Doch das belgische Handelsdefizit hat sich nach Angaben der belgischen Nationalbank von 3,7 Mrd. Euro im Jahr 2021 auf 9,1 Mrd. Euro im Jahr 2022 ausgeweitet, schrieb die „FT“. Ein Problem, das die gesamte EU betrifft: Handelskommissar Valdis Dombrovskis bezeichnete die Handelsbilanz bei einem China-Besuch vor zwei Wochen als „sehr unausgewogen“. Das Handelsdefizit der EU betrage derzeit fast 400 Mrd. Euro pro Jahr.

Generell sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Töne zwischen der EU und China rauer, die weltanschaulichen und geopolitischen Differenzen offenkundig geworden. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von China und chinesische Investitionen in Europa werden zunehmend kritisch gesehen. Nach dem Willen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollen strategische Abhängigkeiten europaweit reduziert werden – “De-Risking“ nannte sie die Strategie.

Sorge vor Zollkrieg

Jüngster Höhepunkt in dem Handelsdisput sind die von der EU angedrohten Strafzölle auf Elektroautos aus China. Es gebe belastbare Hinweise, dass China handelsverzerrende Staatshilfen zahle und dass davon eine Gefahr für die europäische Industrie ausgehe, argumentierte Dombrovskis. Peking warnte daraufhin vor „negativen Folgen für die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU“. Das chinesische Handelsministerium warf Brüssel „blanken Protektionismus“ vor, der die globalen Lieferketten empfindlich treffen werde. In der Wirtschaft wächst die Sorge vor einem Zollkrieg zwischen den beiden Handelsmächten.