der norwegische Schriftsteller Jon Fosse
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Norwegischer Autor

Literaturnobelpreis an Jon Fosse

In Stockholm wurde am Donnerstag von der Schwedischen Akademie der Gewinner des diesjährigen Literaturnobelpreises bekanntgegeben. Mit Jon Fosse geht der Preis zum vierten Mal nach Norwegen.

Der 1959 in Haugesund geborene Autor wird laut der Schwedischen Akademie „für seine innovativen Stücke und Prosa“ geehrt, die „dem Unsagbaren eine Stimme geben“. Seit gut zehn Jahren falle sein Name in den Diskussionen zum Nobelpreis, sagte Fosse am Donnerstag dem norwegischen Fernsehsender TV2. „Ich bin an die Spannung gewöhnt, und ich bin es gewohnt, ihn nicht zu bekommen. Es kam also etwas unerwartet für mich“, sagte er.

„Höher als zum Nobelpreis wirst du nicht kommen. Danach geht alles bergab“, sagte er dem Sender lachend. „Ganz Norwegen gratuliert und ist stolz heute!“, schrieb Regierungschef Jonas Gahr Store auf der Online-Plattform X.

Übersetzt in 40 Sprachen

Fosse gilt als außergewöhnlich vielseitiger Autor, seine mehr als 50 Werke wurden bereits in etwa 40 Sprachen übersetzt. Zunächst trat er von seinem Debüt „Rot, schwarz“ (1983) bis zu seinem ersten großen, zweibändigen Roman „Melancholie“ (1995/96, dt. 2001) als Prosaautor in Erscheinung. Danach wandte er sich der Dramatik zu, mit der er international bekannt wurde.

Literaturnobelpreis geht an Jon Fosse

Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an den norwegischen Autor Jon Fosse. Das teilte die Schwedische Akademie in Stockholm mit. Übergeben wird der Preis traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Seine Stücke wie „Der Name“ und „Das Kind“, die um Familienprobleme, Paarbeziehungen und Schwangerschaften kreisen, eroberten um die Jahrtausendwende die deutschsprachigen Bühnen von den Salzburger Festspielen bis zum Schauspielhaus Zürich.

Im Jahr 2000 erhielt Fosse den Nestroy-Theaterpreis als Autor des Jahres und wurde von der Jury als Erneuerer gefeiert: „Er fand einen neuen Ton und brachte eine faszinierende neue Qualität auf das Theater.“ In der darauffolgenden Saison standen gleich drei Fosse-Aufführungen in Linz und Wien auf dem Programm und insgesamt 25 deutschsprachige Neuproduktionen. Seither ist Fosse Stammgast an den heimischen Theatern. Weltweit soll es mittlerweile über tausend verschiedene Inszenierungen gegeben haben.

der norwegische Schriftsteller Jon Fosse
AP/NTB/Håkon Mosvold Larsen
Dramatiker, Romancier, Lyriker und Übersetzer: Der vielfältige Norweger Fosse galt seit Jahren als möglicher Nobelpreisträger

Existenzialistische Tradition

Weitere wiederkehrende Themen in seinen Arbeiten sind Einsamkeit, Sprachlosigkeit, Tod und Scheitern, nicht von ungefähr gilt er als Autor in der direkten Nachfolge der existenzialistischen Texte von Samuel Beckett. Fosse stehe für eine „sehr inwendige Literatur“, sagte ORF-Literaturexpertin Katja Gasser.

Kulturredakteurin Gasser bewertet Fosses Kunst

Katja Gasser von der ORF-Kulturredaktion über Jon Fosses Schreiben.

Einen Teil seiner Zeit verbringt Fosse im niederösterreichischen Hainburg, einen weiteren Wohnort hat er in der norwegischen staatlichen Künstlerresidenz Grotten in Oslo, wo er aufgrund seiner künstlerischen Leistungen lebenslanges Wohnrecht genießt.

Die Wahl Fosses als Literaturnobelpreisträger ist keine große Überraschung, gilt er doch aufgrund seiner vielen Auszeichnungen wie des Europäischen Preises für Literatur und des Literaturpreises des Nordischen Rates schon seit Jahren zum engeren Favoritenkreis.

Als Übersetzer überträgt Fosse neben Beckett auch Franz Kafka, James Joyce, Thomas Bernhard und Georg Trakl in seine Literatursprache Nynorsk („Neunorwegisch“), die weniger verbreitete Standardvariante des Norwegischen, die nur zwischen zehn und 15 Prozent der Muttersprachler bevorzugen. Genauso plötzlich, wie der Wechsel zum Drama kam, fand der sich selbst mit „Schreibzwang“ diagnostizierende Fosse zurück zur Prosa, aber auch Kinderbücher und Lyrikbände finden sich unter seinen Werken.

Siebenteiliger Zyklus als Opus Magnum

Aktuell hat er seine Heptalogie vollendet, einen Romanzyklus, dessen erste Teile „Der andere Name (Teil eins und zwei)“ und „Ich ist ein anderer (Teil drei bis fünf)“ bereits auf Deutsch vorliegen. Die Texte erweisen Fosse als Meister der Wiederholung. Auf den rund 500 Seiten von „Der andere Name“, die um den Maler Asle kreisen, ereignet sich wenig, es finden sich aber deutliche Bezüge zu früheren Werken. So ging es beispielsweise in „Melancholie“ um den geistig umnachteten Maler Lars Hertevig.

Werke des norwegischen Schriftstellers Jon Fosse
APA/AFP/Jonathan Nackstrand
Im Original ist Fosses Heptalogie vollendet, auf Deutsch wartet man noch auf die letzten beiden Teile

Bei diesem Asle handelt es sich um einen Maler, der sich um einen Freund sorgt, der ebenfalls Asle heißt und ebenfalls Maler ist. Der wesentliche Unterschied zwischen den Doppelgängern: Der Protagonist hat dank seiner verstorbenen Frau seine Alkoholkrankheit besiegt, während sein gleichnamiger Freund wegen seiner Alkoholsucht zwei Ehen mit insgesamt drei Kindern in den Sand gesetzt hat und an den Folgen leidet.

„Der andere Name“ besteht dabei aus einem Bewusstseinsstrom Asles, der immer wieder durch die Formeln „denkt Asle“ und „denke ich“ unterbrochen wird. Gerade mit diesem technischen Kniff schafft Fosse Unklarheit über die Einheit der beiden Figuren. Der Bewusstseinsstrom mäandert im ersten Teil – neben Kommentaren zur spärlichen Handlung – hauptsächlich durch Reflexionen über die Malerei Asles und Religion.

Ein typischer Ausschnitt aus dem Textblock liest sich so: „ob man jetzt das Wort Gott verwendet oder vielleicht so klug oder scheu ist angesichts der unbekannten Gottheit, dass man es nicht tut, alles führt zu Gott, so gesehen sind alle Religionen eine, denke ich, und so gesehen fallen auch Religion und Kunst in eins, auch weil sowohl Bibel als auch Liturgie Fiktionen sind und Poesie und Bilder.“

Turbulenzen und Überraschungen in den Vorjahren

In den Jahren zuvor hatte es heftige Turbulenzen um den Preis gegeben: 2019 wurde die Auszeichnung von Peter Handke höchst kontroversiell diskutiert, 2018 setzte das Komitee die Vergabe aus, nachdem es zum großen Skandal um die sexuellen Übergriffe eines Jurymitglieds gekommen war.

Der Preis für 2018 wurde erst 2019 verliehen und Olga Tokarczuk zugesprochen. 2020 ging der Preis unerwarteterweise an die US-amerikanische Lyrikerin Luise Glück, darauf folgte der tansanische Autor Abdulrazak Gurnah. Mit Fosse geht die Auszeichnung zum vierten Mal nach Norwegen, neben Bjornstjerne Bjornson (1903) und Knut Hamsun (1920) erhielt Sigrid Undset 1928 den Literaturnobelpreis.

Der Preis ist heuer mit elf Millionen schwedischen Kronen (950.000 Euro) dotiert, eine Million Kronen mehr als im Vorjahr, als diese prestigeträchtigste Auszeichnung der Literaturwelt an die Französin Annie Ernaux ging. Übergeben wird der Preis traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.