Eine junge Frau nimmt zum Bezahlen Geld aus ihrer Geldbörse
ORF.at/Dominique Hammer
WIFO/IHS-Prognose

Wirtschaft rutscht in Rezession

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und das Institut für Höhere Studien (IHS) haben ihre Konjunkturprognose gegenüber der Juni-Schätzung deutlich nach unten korrigiert und rechnen heuer mit einer „milden Rezession“. Für 2024 wird mit einem Aufschwung und sinkender Inflation gerechnet. Die Fachleute sprechen sich gegen ein umfassendes Konjunkturpaket aus – der Fokus müsse auf die Bauwirtschaft gelegt werden.

Erwartet wird für 2023 ein Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,8 (WIFO) bzw. 0,4 (IHS) Prozent, bei der Sommerprognose war noch ein Wirtschaftswachstum von 0,3 bzw. 0,5 Prozent prognostiziert worden. Außerdem hoben IHS und WIFO die Inflationsprognose für heuer leicht auf 7,8 (IHS) bzw. 7,7 (WIFO) Prozent an.

„Konjunkturell ist das Jahr 2023 zum Vergessen“, sagte WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr bei der Präsentation der Konjunkturprognose am Freitag in Wien. „Die gute Nachricht ist, dass die Rezession in ihren letzten Zügen liegt.“ Die Frühindikatoren würden „zaghaft auf eine Trendumkehr“ hinweisen, so Felbermayr. Deutlichen Handlungsbedarf sieht der WIFO-Chef bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen.

WIFO-Chef Felbermayr: "2023 zum Vergessen“

Für WIFO-Chef Gabriel Felbermayr ist das Jahr 2023 konjunkturell „zum Vergessen“. Österreich steuert laut der aktuellen Konjunkturprognose auf eine milde Rezession zu. Die gute Nachricht sei aber, dass „die Rezession in ihren letzten Zügen liegt“, so Felbermayr während der Präsentation in Wien.

„Wirtschaftslage kein Anlass für Konjunkturprogramm“

Für den seit Juli amtierenden IHS-Chef Holger Bonin hat Österreichs Wirtschaft „das Schlimmste schon hinter sich“. Im nächsten Jahr gehe „es schon wieder konjunkturell aufwärts“. Für den heuer schrumpfenden und 2024 stagnierenden Industriesektor sehen die Ökonomen keinen Bedarf für ein Konjunkturprogramm.

Die Wirtschaftslage gebe der Politik definitiv „keinen Anlass für ein allgemeines Konjunkturprogramm“, sagte Bonin. Die Regierung solle sich auf „strukturelle Reformen konzentrieren“, so der IHS-Chef. Felbermayr warnte davor, „noch ein paar Milliarden Schulden zu machen“. Der öffentliche Schuldendienst werde durch den starken Anstieg der Zinsen teurer.

IHS-Chef: 2024 geht es „wieder konjunkturell aufwärts“

Die Konjunkturprognose des Instituts für Höhere Studien (IHS) deckt sich laut Chef Holger Bonin weitgehend mit jener des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). Jedoch habe Österreich „das Schlimmste bereits hinter sich“, und bereits im kommenden Jahr gehe es „wieder konjunkturell aufwärts“, so Bonin weiter während der Pressekonferenz in Wien.

Fachleute sehen Unterstützungsbedarf für Bauwirtschaft

Bonin und Felbermayr sehen aber Unterstützungsbedarf für die Bauwirtschaft. Sie erwarten heuer und im kommenden Jahr einen Einbruch der Bauinvestitionen, vor allem im Hochbau. Wenn es kein Programm der öffentlichen Hand für den Bausektor gebe, werde ein Teil der Beschäftigten abgebaut, dann in andere Sektoren abwandern und im Aufschwung sowie für die „Ökologisierung der Wohnimmobilien“ nicht mehr zur Verfügung stehen, warnte Felbermayr.

Stefan Schiman-Vukan (Prognoseverantwortlicher WIFO), der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes Wifo Gabriel Felbermayr, IHS-Chef Holger Bonin  und Helmut Hofer (Prognoseverantwortlicher IHS)
APA/Helmut Fohringer
WIFO-Direktor Felbermayr (2. v. l.) und IHS-Chef Bonin (3. v. l.)

Starke Zinssteigerungen, gedämpfte Kaufkraft und hohe Energiepreise sowie eine schwache internationale Konjunktur belasten die heimische Wirtschaftsentwicklung im laufenden Jahr. Für 2024 erwarten WIFO und IHS aufgrund kräftiger Reallohnzuwächse und einer Belebung der Weltwirtschaft hierzulande ein reales Wirtschaftswachstum von 1,2 (WIFO) bzw. 0,9 Prozent (IHS). Im kommenden Jahr sollte die Inflationsrate laut aktueller Herbstprognose auf 4,0 bzw. 4,2 Prozent sinken.

Achterbahnfahrt in vergangenen Jahren

Österreichs Wirtschaft erlebte in den vergangenen Jahren eine Achterbahnfahrt: Nach dem pandemiebedingten Einbruch des realen Wirtschaftswachstums im Jahr 2020 von 6,6 Prozent ging es 2021 mit plus 4,2 Prozent und 2022 mit plus 4,8 Prozent wieder steil nach oben. Im zweiten Halbjahr 2022 setzte dann ein internationaler Konjunktureinbruch ein, der auch Österreichs Volkswirtschaft erfasste.

Trotz der konjunkturellen Schwächephase erweist sich der Arbeitsmarkt als robust. Die Zahl der unselbstständig aktiv Beschäftigten soll sich laut WIFO/IHS-Prognose heuer um 1,0 (WIFO) bzw. 1,1 (IHS) Prozent und im kommenden Jahr um 0,5 Prozent erhöhen. Die Arbeitslosenrate soll von 6,3 Prozent (2022) auf 6,5 Prozent (2023) und dann auf 6,6 bzw. 6,8 Prozent (2024) steigen.

Staatshaushalt belastet

Die hohe Inflation lässt auch die Steuereinnahmen sprudeln. Gleichzeitig belasten inflationsbedingt steigende Ausgaben der öffentlichen Hand für Vorleistungen, Löhne und Gehälter, Pensionen, indexierte Sozialleistungen und Zinsen den Staatshaushalt. Auch die Abgeltung der kalten Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer sowie die Tarifsenkung bei der Körperschaftssteuer führen zu weniger Einnahmen.

Das WIFO rechnet für heuer mit einem staatlichen Finanzierungssaldo in Prozent des BIP von minus 2,4 Prozent, das IHS mit einem Budgetdefizit von 3,0 Prozent. Für 2024 prognostizieren die Institute ein niedrigeres Budgetdefizit laut Maastricht-Definition von minus 1,6 bzw. minus 1,9 Prozent.

Kocher: „Kurze Phase des Negativwachstums“

Die schlechten Nachrichten von WIFO und IHS haben zu zahlreichen wie erwartbaren Reaktionen geführt. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) verwies darauf, dass Österreich als stark exportabhängiges Land eng mit der Entwicklung der Weltwirtschaft verbunden sei.

„Die revidierten Wirtschaftsprognosen zeigen nun eine kurze Phase des Negativwachstums für Österreich, bevor die österreichische Wirtschaft gegebenenfalls noch ab dem vierten Quartal dieses Jahres und vor allem im Jahr 2024 wieder Fahrt aufnehmen sollte“, so Kocher in einer ersten Reaktion. Er sprach von einer „vorübergehenden Konjunkturdelle“, sieht aber „keinen Grund zur Verunsicherung“. „Die österreichische Wirtschaft steht auf einem soliden Fundament“, so der Minister.

Krainer: „Bankrotterklärung der ÖVP“

SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer sieht in den Konjunkturzahlen „eine Bankrotterklärung der ehemaligen Wirtschaftspartei ÖVP“. „Wir haben einen Kanzler, der gegen höhere Löhne statt höhere Preise kämpft“, sagte er vor Journalisten. Österreich brauche einen „echten Mietpreisdeckel statt einen Schmähpreisdeckel“. Es brauche ein Konjunkturprogramm für den Bau und eine Besteuerung der Übergewinne der Banken.

Kickl: Regierung hat „unseren Wohlstand vernichtet“

Für FPÖ-Chef Herbert Kickl hat die Bundesregierung „unseren Wohlstand vernichtet“. „Die Menschen leiden unter einer Rekordteuerung, und Schwarz-Grün macht keine Anstalten, an die Ursachen dieser Entwicklung zu gehen, die hauptsächlich im Wirtschaftskrieg mit Russland zu suchen sind“, betonte Kickl. Er bezeichnete die Regierung als „Totengräber von Österreichs Wirtschaft“.

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger sagte in einer Pressekonferenz, es bedürfe kreativer Lösungen für die Lohnabschlüsse im Herbst – und einer Senkung der Lohnnebenkosten.

WKO: „Politisches Taktieren muss vorbei sein“

WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf forderte Investitionsanreize sowie Entlastungsschritte für die Betriebe und eine rasche Umsetzung des bereits im Dezember 2022 angekündigten Energiekostenzuschusses 2. „Die Regierung darf jetzt keine Zeit mehr verlieren, die Zeit des politischen Taktierens muss jetzt endlich vorbei sein“, meinte er.

Unterstützung erhielt er von der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV): „So viele Unternehmen warten auf den Energiekostenzuschuss 2 als wichtigsten Beitrag der Regierung, um die Inflationsspirale zu stoppen. Aber er kommt nicht.“ Das von der Industriellenvereinigung (IV) unterstützte Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria sprach von einem „besorgniserregenden Blick auf die österreichische Wirtschaft“.

Gewerkschaften sehen sich in Lohnforderung bestätigt

Für die Gewerkschaften PRO-GE und GPA, die sich gerade in den Metaller-KV-Verhandlungen befinden, ist die Prognose eine Bestätigung ihrer Lohnforderung von 11,6 Prozent mehr. „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich mit ihrem Lohn und Gehalt um zehn Prozent weniger leisten. Durch die Teuerung arbeiten sie mittlerweile zwei Tage pro Monat gratis. Darum ist es wichtig, dass die bereits aufgelaufene Inflation im Nachhinein durch KV-Verhandlungen abgegolten wird“, so die Arbeitnehmervertreter.

Und ÖGB-Chef Wolfgang Katzian stellte fest: „Dringend notwendig sind also keine Zurufe an Gewerkschaften zur Lohnzurückhaltung, sondern Schritte, um die Wirtschaft zu beleben und die Inflation endlich zu dämpfen.“

Österreich wieder in einem Wirtschaftsabschwung

Am Freitag legten die Wirtschaftsforscher von WIFO und IHS ihre neuesten Zahlen und Einschätzungen zur heimischen Wirtschaft vor und kaum jemand zweifelt daran, dass sie Österreich wieder in einem Wirtschaftsabschwung sehen. Doch nicht nur Österreich schwächelt, auch Deutschland und China kämpfen mit Problemen.

Knill: „Es gibt nichts mehr zu verteilen“

Die Industriellenvereinigung sieht das naturgemäß anders und warnte vor einer „drohenden unverhältnismäßigen Lohnrunde“. Unterstützung bekommt sie von Christian Knill, Obmann des Fachverbandes Metalltechnische Industrie: „Die Produktivität in der Industrie liegt bei minus 2,7 Prozent, das ist der schlechteste Wert seit Jahren und bedeutet übersetzt: Es gibt nichts mehr zu verteilen.“