Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi
Reuters/Mohammadi Family Archive Photos
Im Iran in Haft

Friedensnobelpreis an Narges Mohammadi

Der Friedensnobelpreis 2023 geht an die inhaftierte iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi. Das gab das Nobelkomitee am Freitag in Oslo bekannt. Mohammadi werde für „ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran und ihren Kampf für Menschenrechte und Freiheit für alle“ geehrt, sagte die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen. Die Regierung in Teheran verurteilte die Entscheidung.

Mohammadi ist eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen und wurde seit 1998 bereits 13-mal inhaftiert. Aktuell verbüßt die 51-Jährige eine langjährige Haftstrafe im berüchtigten Ewin-Gefängnis in Teheran. Ende 2022, während der landesweiten Aufstände gegen den Machtapparat, brachte Mohammadi einen Bericht ans Licht, der mutmaßliche Folter und sexuelle Gewalt an Dutzenden Frauen im Hochsicherheitsgefängnis aufdeckte.

Seit November 2021 sitzt sie wegen „Propaganda gegen den Staat“ in Haft. Insgesamt wurde sie zu 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben verurteilt. Das Nobelkomitee verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Iran Mohammadi freilassen werde. „Je mehr von uns sie einsperren, desto stärker werden wir“, sagte Mohammadi vor wenigen Monaten in einem ungewöhnlichen Interview mit der „New York Times“ („NYT“). Immer wieder schafft es die Iranerin, internationalen Medien aus der Haft heraus Interviews zu geben und Briefe zu veröffentlichen.

Aktivistin, Physikerin, Mutter

Mohammadis Familie sprach von einem „historischen Moment für den Kampf des Iran für Freiheit“. Die Ehre gebühre allen Iranerinnen und Iranern, „insbesondere den mutigen Frauen und Mädchen“, welche die Welt „mit ihrem Mut im Kampf für Freiheit und Gleichheit inspiriert haben“, erklärte die Familie auf Instagram.

Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi
AP/Vahid Salemi
Mohammadi deckte die mutmaßliche Folter an Dutzenden Frauen in einem Hochsicherheitsgefängnis im Iran auf

Mohammadi stammt aus der zentralen iranischen Provinz Sandschan, wo sie in einer Familie der Mittelschicht aufwuchs. Bereits in ihrer Kindheit wurde Mohammadi politisch geprägt, als Verwandte nach der Islamischen Revolution von 1979 verhaftet wurden. Die Hinrichtung ihres Onkels, die Schreie und Trauer ihrer Mutter seien eine prägende Erfahrung gewesen, schrieb die „NYT“, die auch Mohammadis Aktivismus ins Rollen gebracht hatte. Mohammadi hat zwei Kinder, Zwillinge, und einen Ehemann, die nach Frankreich ausgewandert sind.

In ihrem Engagement als Menschenrechtsverteidigerin setzte sich die studierte Physikerin energisch für die Abschaffung der Todesstrafe im Iran ein und prangerte in der Vergangenheit zahlreiche Urteile als politisch motiviert an. Sie ist zudem Vizevorsitzende der NGO Defenders of Human Rights Center (DHRC) im Iran, das von der Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi mitgegründet wurde. Die iranischen Behörden haben der Organisation längst die Arbeit untersagt und werfen ihr vor, Propaganda zu betreiben.

Teheran: „Politisch motiviert“

Die iranische Regierung verurteilte die Entscheidung. „Wir betrachten und verurteilen dieses Vorgehen als ein parteiisches und politisch motiviertes Vorgehen“, sagte Außenamtssprecher Nasser Kanaani laut einer Mitteilung am Freitagabend. Die Vergabe sei im Einklang mit „anti-iranischer“ Politik einiger europäischer Länder, einschließlich Norwegens, fügte er hinzu.

„Inspiration für die Welt“

Die Vereinten Nationen erklärten, die Verleihung des Preises an Mohammadi richte den Blick auf den Mut iranischer Frauen. „Frauen im Iran sind eine Inspiration für die Welt“, sagte Liz Throssell, Sprecherin des UNO-Büros für Menschenrechte, am Freitag in Genf. „Wir haben ihren Mut und ihre Entschlossenheit angesichts von Repressalien, Einschüchterung und Gewalt gesehen.“

Eine UNO-Sprecherin in Genf erinnerte zudem daran, dass UNO-Generalsekretär Antonio Guterres stets den Respekt für Frauenrechte einfordere. „Er hat die Menschenrechte von Frauen und Mädchen im Iran stets verteidigt“, sagte Alessandra Vellucci.

EU-Ratspräsident Charles Michel würdigte die neue Friedensnobelpreisträgerin auf Twitter (X): „Die Nobelpreisträgerin Narges Mohammadi ist ein Leuchtfeuer der Hoffnung für unterdrückte Frauen überall. Ihr Kampf für Menschenrechte und Freiheit inspiriert uns alle. Sie erinnert uns daran, dass nur dort, wo Frauen sicher sind, auch alle anderen sicher sind“, schrieb er.

Außenministerium: „Wichtiges Zeichen“

In Österreich begrüßte das Außenministerium die Auszeichnung für Mohammadi: „Dies ist ein wichtiges Zeichen der Unterstützung für sie und die vielen anderen, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen im Iran und für die Förderung von Menschenrechten & Freiheit für alle einsetzen“, twitterte das Ministerium.

Auch die Vizeklubobfrau und Frauensprecherin der Grünen, Meri Disoski, freute sich über die Auszeichnung. „Ein wichtiges, bestärkendes Zeichen für alle Frauen in Iran – und darüber hinaus –, ihren Kampf gegen das frauenfeindliche Regime aufrechtzuerhalten“, schrieb sie auf Twitter. Auch die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, begrüßte die Auszeichnung: „Das ist angesichts der anhaltenden Repression im Land ein sehr wichtiges Zeichen.“

Friedensnobelpreis geht an Narges Mohammadi

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an die inhaftierte iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi. Sie wird „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Einsatz für Menschenrechte und Freiheit für alle“ ausgezeichnet, wie das Nobelkomitee in Oslo mitteilte.

SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner schrieb in einer Aussendung: „Es ist eine würdige Anerkennung und Unterstützung für die iranische Menschen- und Frauenrechtsaktivistin Narges Mohammadi und ihren Kampf für eine feministische Revolution im Iran.“

Gratulation und Respekt von vielen Seiten

Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty Austria, zeigte sich begeistert. „OMG (O mein Gott!, Anm.) OMG OMG Die iranische Frauen- und Menschenrechtlerin Narges Mohammadi gewinnt den Friedensnobelpreis 2023 für ihren Einsatz für die mutigen Frauen im Iran! Was für ein Festtag“, twitterte sie.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz twitterte: „Mein Respekt gilt der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin – für ihren Mut und ihren Kampf für die Rechte der iranischen Frauen.“ Die deutsche Außenministerine Annalena Baerbock betonte ihrerseits: „Der Friedensnobelpreis an Narges Mohammadi und damit die Frauen des Iran zeigt die Kraft von Frauen für Freiheit. Mohammadis furchtlose Stimme lässt sich nicht wegsperren, die Zukunft des Iran sind seine Frauen.“

Demonstranten In Teheran im September 2022
APA/AFP
Letztes Jahr kam es im Iran zu monatelangen Protesten, nachdem Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war

Die Auszeichnung stieß auch beim renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI auf Zustimmung. „Narges Mohammadi ist eine herausragende Person, mutig bis hin zum Heldentum und seit mehr als 25 Jahren eine führende Persönlichkeit in der iranischen Bewegung für Menschenrechte und Geschlechtergleichstellung“, sagte SIPRI-Direktor Dan Smith am Freitag der dpa. Es stehe außer Zweifel, dass Mohammadi eine außergewöhnliche Persönlichkeit sei.

Interessant sei, dass das norwegische Nobelkomitee den Friedensnobelpreis zum dritten Mal in Folge für den Kampf für Menschenrechte vergebe, merkte Smith an. „Menschenrechte sind eindeutig ein wichtiger Teil einer friedlichen Gesellschaft und ein wichtiger Teil des Friedens“, sagte der Friedensforscher. „Es ist ein Teil der Ökologie des Friedens. Und ich finde es interessant und bemerkenswert, dass sich das Komitee erneut dafür entschieden hat, diesen Aspekt des Friedens hervorzuheben.“

Proteste gegen Unterdrückung von Frauen im Iran

Im vergangenen Jahr war es im Iran zu monatelangen landesweiten Protesten gekommen, nachdem die Kurdin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war. Die Religionspolizei hatte ihr vorgeworfen, die Kleiderordnung nicht befolgt zu haben. Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen. In der Zwischenzeit sind die Bekleidungsgesetze für Frauen weiter verschärft worden.

Seit Sonntag liegt nach Angaben einer Menschenrechtsgruppe die 16-jährige Armita Geravand nach einem Zwischenfall mit Sicherheitsleuten in der U-Bahn in einem Krankenhaus im Koma. Auch ihr werde vorgeworfen, gegen die Regeln zur Verschleierung verstoßen zu haben, erklärte die kurdische Menschenrechtsgruppe Hengaw. Die Behörden wiesen einen Zusammenhang zurück.

Während der Demonstrationen war Mohammadi eine wichtige Stimme der Bewegung, die mit dem Protestslogan „Frau, Leben, Freiheit“ auf die Straße gegangen war – so lautet auch der Titel ihres Buches. Aus der Haft heraus kritisierte Mohammadi das gewaltsame Vorgehen des Sicherheitsapparats gegen die Aufstände, die vor allem von der jungen iranischen Generation getragen wurden.

Weltweit wichtigster politischer Preis

Angesichts einer angespannten Weltlage mit Ukraine-Krieg, Klimakrise sowie weiteren Krisen und Konflikten in verschiedenen Erdteilen waren in diesem Jahr 259 Persönlichkeiten und 92 Organisationen für den Friedensnobelpreis im Rennen gewesen. Die Gesamtzahl von 351 Kandidatinnen und Kandidaten war damit die zweithöchste aller Zeiten. Wer unter den Nominierten ist, wird von den Nobelinstitutionen traditionell 50 Jahre lang geheim gehalten.

Der Friedensnobelpreis gilt als wichtigster politischer Preis der Welt. Seit der ersten Vergabe 1901 haben ihn nunmehr über 140 Personen und Organisationen erhalten. Im vergangenen Jahr waren der inhaftierte belarussische Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki sowie die Menschenrechtsorganisationen Memorial aus Russland und Center for Civil Liberties aus der Ukraine ausgezeichnet worden. Sie wurden damit unter anderem für ihren Einsatz für die Zivilgesellschaften in ihren Heimatländern, das Recht auf Machtkritik und den Schutz der Grundrechte der Bürger geehrt.

Mohammadi ist die 19. Frau, die den Friedensnobelpreis erhält. Mit der Verleihung steht sie nun in einer Reihe mit Bertha von Suttner (1905), Mutter Teresa (1979), Aung San Suu Kyi (1991), Malala Yousafzai (2014) und Maria Ressa (2021). Auch Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (1999) und die Europäische Union (2012) wurden bereits ausgezeichnet.

950.000 Euro pro Kategorie

Die Nobelpreise gehen auf das Testament des schwedischen Dynamiterfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833–1896) zurück. Der Friedensnobelpreis ist dabei der einzige, der nicht in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo vergeben wird.

In Stockholm waren von Montag bis Donnerstag bereits die Preisträgerinnen und Preisträger in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie und Literatur verkündet worden. Zum Abschluss der diesjährigen Preisbekanntgaben folgt am Montag noch der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Alle Auszeichnungen sind in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) pro Kategorie und damit mit einer Million Kronen mehr als in den Vorjahren dotiert. Feierlich überreicht werden sie dann traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel. An wen der seit 1901 vergebene Preis geht, entscheiden die fünf Mitglieder des norwegischen Nobelpreiskomitees, die vom norwegischen Parlament ernannt werden.