„Systemrelevant“: Comeback der großen Themenschau in Wien

Gibt es noch Themenausstellungen, die nicht unter Oberbegriffen wie „Von Monet bis Picasso“ organisiert sind? Ja, sagt das neu aufgestellte Künstlerhaus mit Kurator Günther Oberhollenzer. Seine Themenschau „Systemrelevant“ erweist sich seit der Eröffnung als Publikumsmagnet. Dabei geht es nicht um eine Best-of-Schau der großen Namen, sondern darum, die Ansätze der jüngeren, gerade auch in Österreich tätigen Kunst, zu präsentieren, die auf das Pandemie-Totschlagargument „systemrelevant“ reagieren. Und es zeigt sich: Die Kunst lässt sich nicht so leicht zur Gefolgschaft verpflichten, wenn das Wichtige vom Unwichtigen geschieden wird.

„Systemrelevant“ sitzt dem Publikum als Begriff der Pandemie im Nacken. Doch mit der Kunst bietet sich auch ein Ventil zur Erlösung vom Druck der Pandemie an. Genau das scheint diese Schau zeigen zu wollen, die eben nicht eine Post-Covid-Bestandsaufnahme sein möchte, wie Oberhollenzer gegenüber ORF.at verrät. „Eher“, so sagt er, „kann man unter diesem Oberbegriff konkrete Positionen und Reaktionen der jüngeren Zeit abfragen.“ Denn alle Künstlerinnen und Künstler haben extra für diese Schau Werke geschaffen, die sich mit der Frage, was in einem System tatsächlich entscheidend ist, auseinandersetzen.

Soundinstallation und Blick in die anderen Ausstellungsräume
Michael Nagl / Künstlerhaus
Christiane Pescheks „Neototem“ als Befragung zum Tribalismus der Gegenwart

Das System und der Staat

Die Kunst, so sagt die Schau in einem Durchgang eindrücklich gestalteter Räume, gibt der Systemrelevanz ein breiteres Bild, als es uns die Steuerung des Staates in der Pandemie zeigen konnte. Systemrelevant, so darf man interpretieren, sind nicht zuletzt auch Widerständigkeiten und Befragungen des Systems.

Für die in der Ausstellung gezeigte iranische Künstlerin Soli Kiani ist der Begriff „systemrelevant“ stark negativ aufgeladen, führe er doch in ihrer Heimat zu Unterdrückung und Ausgrenzung. Wie sehr der Begriff jede Freiheitsregung abschneidet, wird in ihren Arbeiten deutlich, in denen über Bilder gespannte oder geflochtene Seile eine entscheidende Rolle spielen: Mit den Seilen des Systems werden die Gegner der Ordnung hingerichtet. Das verstehe im Iran jeder, der diese Seile sähe, so der Kurator der Ausstellung.

Systemerhalter sind in der Schau ebenso zu sehen wie Ansätze, die Systeme unterlaufen, ja unterminieren. Der Aspekt der Systemrelevanz scheidet ja das scheinbar Wichtige vom Unwesentlichen. Für die Kunst käme hier aber die Rolle der Befragung von Deutungsmächten ins Spiel, meint Kurator Oberhollenzer.

Ansicht der Schau „Systemrelevant“
Michael Nagl / Künstlerhaus
Eingang zur Schau: Peter Senoners Cyborg trifft auf 111 Frauenporträts von Zrinka Budimlija

Der Cyborg trifft das klassische Porträt

Viele der Positionen kommen von Künstlerinnen und Künstlern, die in Österreich tätig sind. Aber nicht nur. Die Schau zeigt Arbeiten, die auf der letzten documenta ebenso zu erleben waren wie sehr frische Werke, die quasi von der Akademie in den öffentlichen Raum der Auseinandersetzung gebracht werden.

Über dem Eingang zur Schau thront die schon im Stiegenhaus sichtbare Arbeit „Monomon“ des Südtirolers Peter Senoner, der sich fragt, ob nur noch der Cyborg die Antwort auf die Anforderungen der Gegenwart sein kann. Seine in der Schau ebenfalls gezeigten, in einem Extrem-Labor in Bozen geschaffenen Arbeiten auf großen Holzbildstöcken zeigen wiederum: Selbst auf empfundenen 5.000 Höhenmetern greift der Mensch auf grundsätzliche Ausdrucksformen zurück.

Soli Kianis Arbeit „New Persian Carpet“
Michael Nagl / Künstlerhaus
Soli Kianis Arbeit „New Persian Carpet“

Wer zwingt wen in welches Kunstfeld?

Überhaupt ist die Schau, neben allen Installationen, ein Festspiel der analogen Kunst für die Beantwortung der Gegenwartsfragen. Bestes Beispiel: Zirinka Budimlijas „111 Frauenporträts“, eine Serie an sehr direkt gehaltenen, gemalten Frauenporträts, die durch die hier angewandte Malerei auch ausdrücken, dass sich Frauen nicht vom dominanten Männerdiskurs in das Feld alternativer Kunstanwendungen drängen lassen wollen.

Bedenkt man, dass einen Stock tiefer das Fest der großen Namen gefeiert wird, darf man sich freuen, dass mit der Bespielung des Künstlerhauses für die Zukunft tatsächlich ein Wechselspiel gefunden und der Kunst die Rolle eines Seismografen für die Zukunftsentwicklung zuerkannt wird. Die gefundenen Positionen sind eben nicht der Trotz der Straße, sondern die Eröffnung eines Möglichkeitsraums.