Tamim bin Hamad Al Thani, Emir von Katar
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Hamas vs. Israel

Katars Rolle im neuen Nahost-Krieg

Während der Krieg zwischen Israel und der Hamas in vollem Gange ist, laufen im Hintergrund international intensive diplomatische Bemühungen: einerseits, um eine weitere Eskalation zu vermeiden, und andererseits, um die israelischen Geiseln freizubekommen. Eine zentrale Rolle spielt dabei Katar.

Noch ist unklar, wie Israel nach dem folgenschweren Überfall gegen die Hamas im Gazastreifen vorgehen wird. Dass erstmals seit 50 Jahren der Kriegszustand ausgerufen wurde, deutet aber jedenfalls auf einen massiven Gegenschlag hin, bis hin zu einer Bodenoffensive. Gleichzeitig befinden sich Dutzende, vielleicht weit mehr als 100 Israelis – Frauen, Kinder, Alte und Soldaten – in Gaza in Geiselhaft der Terrororganisation.

Mittlerweile wurde aus inoffiziellen Quellen bekannt, dass Katar mit den USA über die Freilassung israelischer Geiseln verhandelt. Sollte es zu einem Deal kommen, würde dabei sehr wahrscheinlich nur ein Teil der Geiseln, etwa Frauen und Kinder, freikommen. Im Gegenzug könnten Dutzende in israelischer Haft befindliche Frauen und Minderjährige freigelassen werden. Für die Freilassung des von der Hamas 2006 entführten Soldaten Gilad Schalit musste Israel 2011 1.027 palästinensische Häftlinge freilassen, die für den Tod von 200 Menschen mitverantwortlich waren.

Allerdings: Ein Vertreter des Hamas-Politbüros schloss einen Gefangenenaustausch mit Israel vorerst aus, solange der Militäreinsatz andauere. Die Essedin-al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, drohte gar mit der Tötung gefangengenommener israelischer Zivilisten, sollte Israel ohne Vorwarnung die Häuser von Zivilistinnen und Zivilisten im Gazastreifen bombardieren.

Sicherer Hafen und Milliarden für Hamas

Dass Katar im Auftrag der Hamas verhandeln könnte, wäre alles andere als ein Zufall: Das kleine Ölscheichtum, das erst im Vorjahr dank einer umstrittenen Entscheidung der FIFA die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer austrug, ist neben dem Iran seit vielen Jahren der zentrale Verbündete der Terrororganisation. Als wegen des Bürgerkriegs in Syrien die Auslandsführung der Hamas eine neue „Heimat“ suchte, nahm Katar unter anderem die Hamas-Führer Chaled Maschaal (Chef des politischen Arms) und Salah al-Aruri (er baute die Kassam-Brigaden in der Westbank auf) auf. Diese feierten, wie auf im Netz kursierenden Videos zu sehen, in Doha den Terrorüberfall auf Israel am Samstag.

Und Katar ist auch der mit Abstand wichtigste Geldgeber für die Hamas und hält deren Herrschaft im Gazastreifen seit Jahren de facto am Leben. Seit 2014 wurden mehrere Milliarden Dollar nach Gaza überwiesen – für den Bau und Erhalt der Infrastruktur und für Gehälter.

Überproportionale Ambitionen

Katar hat unter seinem derzeitigen Herrscher, Tamim bin Hamad Al Thani, im Verhältnis zu seiner Größe überproportionale außenpolitische Ambitionen entwickelt. Die Hebel dafür sind Geld und der TV-Sender al-Jazeera. Mit der mit den arabischen Revolutionen sympathisierenden Berichterstattung ging Katar bewusst auf Konfrontationskurs mit den großen arabischen Staaten, insbesondere Ägypten und Saudi-Arabien, alles durchwegs Autokratien und damit gegen jede Demokratiebewegung. Und zu letzterem sind die Beziehungen bis heute angespannt.

Jojo-Beziehung mit Israel

In einer inhaltlich flexiblen Agenda, die Konflikte mit arabischen Nachbarn bewusst in Kauf nimmt, sieht Katar die Chance, an Gewicht zu gewinnen, und versucht, auch als Vermittler eine Alternative zu den „Platzhirschen“ Ägypten und Saudi-Arabien zu sein. Es beteiligt sich an vielen regionalen Konflikten mit Finanzierungshilfen – vom Libanon über den Sturz von Muammar Gaddafi in Libyen bis zum Widerstand gegen Syriens Baschar al-Assad, und es unterstützte auch die ägyptischen Muslimbrüder.

In dieses Muster passt auch eine Art rein interessegeleiteter Jojo-Beziehung mit Israel. Zwar fordert Doha seit jeher den vollständigen Abzug aus den besetzten Gebieten, aber es ließ nach den Oslo-Abkommen, die 1993 abgeschlossen wurden, als einziger Golfstaat eine offizielle Handelsvertretung zu. Nach Ausbruch der Zweiten Intifada schloss Doha die Handelsvertretung. Hinter den Kulissen gab es aber weiter teils auch hochrangige Treffen, und die Vertretung wurde 2005 wieder eröffnet.

Regionale Rolle und „kleineres Übel“

Nach der israelischen Militäraktion „Operation starker Fels“ 2014, die eine Reaktion auf anhaltenden Raketenbeschuss durch Hamas und Islamischer Dschihad war, kamen sowohl Israel als auch Katar zum Schluss, dass ein Wiederaufbau im Gazastreifen nötig ist, da sonst noch größere und anhaltende Not und Unruhen drohten. Katar finanzierte den Wiederaufbau entscheidend mit.

Das stärkte Katars Rolle, umso mehr, als sich die mit internen Problemen beschäftigten Regionalmächte Saudi-Arabien und Ägypten nicht involvierten. Für Israel war Doha in der Vergangenheit immer wieder wichtig, um eine Eskalation der Gewalt mit den Terrororganisationen im Gazastreifen zu verhindern. Aus israelischer Sicht war Katar auch das „kleinere Übel“: Ohne Dohas Präsenz in Gaza wäre die Hamas wohl noch stärker in den Einflussbereich des Iran gelangt, als es das ideologisch (beide wollen die Zerstörung Israels, Anm.) und durch Waffenlieferungen ohnehin schon war und ist.

Deal wenige Tage vor Angriff

Wenige Tage vor Beginn des jüngsten Großangriffs der Hamas hatte Katar erneut erfolgreich vermittelt. Dabei wurden Erleichterungen für Tausende palästinensische Gastarbeiter in Israel vereinbart. Gleichzeitig befanden sich die Vorbereitungen für den Angriff im Gazastreifen voll im Gang.

Sowohl Israel als auch die USA müssen sich jetzt fragen, ob – und wenn ja, seit wann und wie viel – Katar von den Hamas-Plänen wusste. Wenn die Terrororganisation Katar darüber völlig im Dunkeln ließ, wäre das ein schwerer Affront gegenüber dem wichtigsten Unterstützer. Auch die Tatsache, dass die Hamas fürs Erste eine von den USA angestrebte Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien verhindert hat, was wiederum in Dohas Interesse ist, ändert daran nichts.

Sollte Katar von den Plänen gewusst haben, könnte das zu Verwerfungen mit den USA führen, was Doha schwer treffen würde. Denn die US-Militärpräsenz in Katar ist eine Grundbedingung für die regionalen Ambitionen des kleinen Golfstaats. Und es könnte rasch passieren, dass Ägypten und auch Saudi-Arabien Katar dann wieder deutlich kleiner aussehen lassen.