In Israel wurden Eltern bereits vor befürchteten Hamas-Videos der in den Gazastreifen entführten Geiseln gewarnt. „Schützen Sie Minderjährige vor dem Kontakt mit diesen verstörenden Inhalten. Die Bilder und Videos sind sehr anschaulich und könnten erheblichen seelischen Schaden anrichten“, schrieb die israelische Regierung in einer dringenden Mitteilung.
Unter keinen Umständen dürfe man diese Bilder oder Videos teilen. „Das trägt zur psychologischen Kriegsführung gegen den Staat Israel und seine Bürger bei.“ Zuvor hatte der US-Sender CNN auf die Elternvereinigung einer Schule in Tel Aviv verwiesen. Diese habe die Eltern etwa aufgefordert, soziale Netzwerke von den Handys ihrer Kinder zu entfernen, damit diese nicht sehen, wie die Geiseln „um ihr Leben betteln“.
TikTok und Twitter im Visier
In der Mitteilung wurde insbesondere auf TikTok verwiesen. „Wir können nicht zulassen, dass unsere Kinder so etwas sehen. Es ist auch schwierig, ja sogar unmöglich, all diese Inhalte in den sozialen Netzwerken einzudämmen. Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis und Ihre Kooperation“, hieß es weiter.
Auch Twitter (X) sah sich wenige Tage nach Beginn des Krieges Vorwürfen der Darstellung von Gewalt ausgesetzt. EU-Kommissar Thierry Breton erinnerte den Chef der Plattform, Elon Musk, am Dienstag an die Verpflichtung, gewalttätige und terroristische Inhalte zu löschen. Musk gab sich zunächst unwissend. Auf dem offiziellen Twitter-Profil hieß es, man sei bereits gegen „Zehntausende“ Beiträge mit Darstellung von Gewalt vorgegangen.
„Kriegsführung passiert auch in sozialen Netzwerken“
„Kriegsführung passiert heute nicht mehr nur vor Ort, sondern auch in sozialen Netzwerken. Dem können wir uns nur schwer entziehen“, sagt Barbara Buchegger von SaferInternet gegenüber ORF.at. Obwohl Plattformen wie Meta in den letzten Jahren durchaus strengere Regeln aufgestellt hätten und problematische Inhalte auch vehementer löschen würden, könne es leicht passieren, dass bei einer hohen Zahl an kursierenden Videos gewaltvolle Darstellungen in die Timeline von Social-Media-Apps wie TikTok gespült werden.
„Aktuell kursieren ganz viele Videos oder auch Fotos von den ermordeten Jugendlichen, die auf dem Musikfestival waren, online“, so die Beobachtung Bucheggers. Das betreffe nicht nur TikTok, sondern auch Instagram-Reels und YouTube-Shorts. „Und da sind einfach wirklich absolut grauenhafte Bilder dabei, die einem nie aus dem Kopf gehen, wenn man sie gesehen hat.“ Gerade für Jugendliche sei die Betroffenheit oft hoch, da aufgrund des Alters eine hohe Identifikation bestehe. Derartige Videos sollten in jedem Fall gemeldet werden. Man könne auch gegensteuern, indem man gezielt auf Plattformen nach anderen Inhalten suche.
Triggerwarnungen oft nicht ausreichend
Besonders gewaltvolle Videos werden zwar in der Regel gelöscht, auf TikTok zirkulieren aber auch etwa Erfahrungsberichte zum Krieg, die auf eine andere Art belastend sein können. Dass soziale Netzwerke in derartigen Fällen zunehmend auch auf Triggerwarnungen setzen, sei für Kinder und Teenager nicht immer ausreichend, so die Einschätzung der Pädagogin.
„Jugendliche bestehen zwar in Diskussionen oft darauf, dass es solche Triggerwarnungen gibt, weil sie sagen: Dann kann ich selber entscheiden, ob ich mich dem aussetze oder nicht, und werde nicht eiskalt hineingeschmissen.“ Auf der anderen Seite würden andere gerade dann auf den Beitrag klicken.
Temporäre Pause bei persönlicher Betroffenheit sinnvoll
Ob ein generelles TikTok-Verbot, wie es in Israel angedacht wird, auch für Kinder in Österreich sinnvoll sei, bewertet Buchegger aber ambivalent. Es hänge stark davon ab, ob das eigene Kind auch persönlich von dem Krieg in Israel betroffen sei und ob ein Naheverhältnis zu Personen an Ort und Stelle bestehe. Sollte das der Fall sein, könnte eine temporäre Pause auf TikTok, YouTube oder Instagram durchaus sinnvoll sein, rät Buchegger. In jedem Fall sei es wichtig, mit dem eigenen Kind das Gespräch zu suchen und potenziell verstörende Inhalte zu besprechen.
„Ich habe einen Teil dieser Inhalte gesehen, und mein Eindruck ist, dass einem diese Bilder wirklich sehr nahegehen können.“ Darum sei es besonders wichtig, den Kindern „Möglichkeit zum Reden zu geben, Raum und Zeit und einen sicheren Ort anzubieten und Möglichkeiten der Entlastung zu geben“.
Das könne je nach Alter und Entwicklungsstand in Form eines unvoreingenommenen Gesprächs passieren, aber auch in Form von Zeichnen oder Basteln. Nach 9/11 habe man etwa oft erlebt, dass Kinder Hochhäuser und Flugzeuge mit Legofiguren nachgebaut und verstörende Bilder so verarbeitet hätten. „Auch das sind Wege der Angstbewältigung.“
Warnung vor Verbreitung von Propaganda
Entscheidend sei in jedem Fall, mit den Kindern auch darüber zu sprechen, weshalb es wichtig sei, derartige Inhalte nicht zu verbreiten. Ab dem Zeitpunkt, an dem man sich ein oder zwei solcher Videos ansehe, würden einem vom Algorithmus mehr und immer extremere Inhalte angezeigt werden, so Buchegger.
Wenn man mit diesen interagiert, trägt man zudem dazu bei, dass sie weiterverbreitet werden. „Und das ist Teil der Propaganda – dass Videos überall kursieren und der Terror damit nicht nur vor Ort, sondern auch in den sozialen Netzwerken weitergeht.“