Politiker Othmar Karas
APA/Eva Manhart
Abrechnung mit ÖVP

Karas tritt nicht mehr bei EU-Wahl an

Die Differenzen zwischen der ÖVP und dem langjährigen EU-Abgeordneten und ersten Vizepräsidenten im EU-Parlament, Othmar Karas, halten schon länger an. Karas zog nun die Konsequenzen und kündigte am Donnerstag in einer persönlichen Erklärung seinen Rückzug aus dem EU-Parlament an. Er könne den Weg der ÖVP nicht mehr mitgehen, wolle aber politisch aktiv bleiben. Die ÖVP nahm seine Entscheidung „zur Kenntnis“.

Nach 25 Jahren werde er nicht mehr für ein Mandat im EU-Parlament kandidieren, teilte Karas mit. Das sei keine einfache Entscheidung und sie schmerze. Sie basiere aber nicht auf einem Einzelereignis, sondern aus der Entwicklung der vergangenen Monate: „Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich einst mitgestaltet habe. Sie ist nicht mehr die Kraft der Mitte.“

Seine Erklärung war auch eine Abrechnung mit der ÖVP, bei der er weiterhin Mitglied bleiben möchte. Mit dem Grundsatzprogramm identifiziere er sich weiterhin. Problematisch sei die Politik. Zu den größten Spannungen mit seiner Partei habe etwa das Thema Asyl und Migration geführt. Ein inhaltlicher Konsens sei an der Sprache und am Willen, gemeinsam an einer europäischen Lösung zu arbeiten, gescheitert.

Karas: ÖVP „nicht mehr die Partei der Mitte“

Der langjährige ÖVP-Europaabgeordnete und Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, wird nicht für die kommende EU-Wahl kandidieren. Als Grund gab er Diskrepanzen mit seiner eigenen Partei und den mangelnden Respekt ihm gegenüber an. „Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich mitgestaltet habe, sie ist nicht mehr die Partei der Mitte“, so Karas in seiner emotionalen Rede vor Medienvertretern in Wien.

„Am Ende bleibt nur mehr Unsinn“

„Mir geht es unheimlich auf die Nerven, von manchen als Linker tituliert zu werden, wenn ich dafür einstehe, dass Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken“, zeigte sich Karas empört. Auch die „sinnlose Emotionalisierung und Polarisierung“ müsse ein Ende haben. Man nenne das heutzutage „SNU – strategisch notwendigen Unsinn, am Ende bleibt nur mehr der Unsinn über“, erinnerte der 65-Jährige in diesem Zusammenhang an die Bargelddebatte aus dem Sommer. Dieses Thema werde seit Jahren missbraucht, um Unsicherheit zu schüren. Karas: „Das stärkt aber nur jene, die keine Lösungen wollen – die FPÖ.“

Zahlreiche Persönlichkeiten, Landeshauptleute und Bürgermeister wehrten sich gegen solche Scheindebatten. Dieses Auftreten hätte er sich auch bei anderen Themen gewünscht. „Da stand ich in meiner Partei oft alleine da.“ Es brauche den Mut, öffentlich für Ideale einzustehen. „Von Zustimmung hinter vorgehaltener Hand hat niemand etwas.“

„Neuer Stil nicht akzeptabel“

Bis zum letzten personellen Wechsel habe es in der ÖVP mit ihm auch bei inhaltlichen Differenzen immer eine Gesprächsbasis gegeben. Das habe sich in den vergangenen Monaten geändert, da sei eine neue Seite hinzugekommen. Karas: „Der Stil ist für mich nicht mehr akzeptabel. Das ist menschlich enttäuschend und für eine staatstragende Partei, was der Anspruch der ÖVP sein sollte, unwürdig.“

Karas zu Gast in der ZIB2

Othmar Karas, ÖVP-Europaabgeordneter und erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, hat am Donnerstag bekanntgegeben, bei der kommenden Wahl zum EU-Parlament nächstes Jahr nicht mehr antreten zu wollen. Dazu ist Karas zu Gast in der ZIB2.

In diesem Zusammenhang kritisierte Karas eine Aussendung von ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, der ihn als „Saboteur“ bezeichnet habe, weil er gefordert habe, dass es für illegale Pushbacks Konsequenzen geben müsse. Es sei auch kritisiert worden, dass Karas die „Normalitätsdebatte“ nicht applaudierend unterstützte. Der Stil widerspreche seinem persönlichen Selbstverständnis, denn er fühle sich dem Land und nicht nur einer einzelnen Partei verpflichtet.

Karas kritisierte die Anbiederung der etablierten Parteien an die politischen Ränder. Die politisch Handelnden hätten „jegliche Glaubwürdigkeit verloren“ und mit ihrer Politik einen „nachhaltigen Schaden“ verursacht.

Keine eigene Liste

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte im August mitgeteilt, dass Karas’ „Verhalten“ mit Blick auf eine mögliche Wahlauseinandersetzung bei der EU-Wahl bewertet werde. Schon länger war über eine eigene Liste von Karas spekuliert worden. Darauf will Karas nun offenbar verzichten. Er will aber politisch aktiv bleiben. Ob er ein Antreten bei der kommenden Nationalratswahl oder bei der nächsten Bundespräsidentenwahl überlegt, ließ er offen.

Othmar Karas

Der Politiker ist seit 1999 für die ÖVP im EU-Parlament. Von 2006 bis 2009 und 2011 bis 2019 leitete er die ÖVP-Delegation. 2012 bis 2014 und seit 2019 ist er der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments.

All jenen, die sich „über meine Entscheidung freuen“, richtete er aber aus, dass er ein Kämpfer bleiben werde. 40 Jahre in der Politik erreiche man nur mit einem eigenen klaren Kurs und einem fundierten Wertefundament. Sein Wunsch: „Dass wir alle ein neues Verständnis von Politik entwickeln.“ Die Verantwortung müsse über Parteitaktik gestellt werden. Karas: „Wir handeln nicht für die unmittelbare Belohnung, sondern für das Wohl zukünftiger Generationen.“

Zudem brauche Österreich einen Neustart in der Europapolitik und eine klare Vision für die Rolle Europas in der Welt. Österreich sei vom Motor der Veränderung „zum Bremser“ geworden. Als Beispiele dafür führte er das Schengen-Veto gegen Rumänien und Bulgarien, das Verhalten der SPÖ bei der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat und die „unverschämte antieuropäische Politik der FPÖ“ an.

„Respekt“ von NEOS

Mit „großem Respekt“ nahm NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger Karas’ Entscheidung zur Kenntnis. Mit seinem Ausscheiden verliere die ÖVP ihren letzten aufrechten Europäer. Meinl-Reisinger: „Seinen Befund hinsichtlich der Entwicklung der ÖVP teilen wir seit Langem.“

Die „inhaltliche Abgrenzung von Teilen seiner Fraktion“ habe sich seit Langem abgezeichnet, konstatierte Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen im EU-Parlament. Sie kenne Karas als „glaubwürdigen Proeuropäer“.

Bedauern bei SPÖ

Aus der SPÖ meldete sich als erster EU-Abgeordneter Günther Sidl zu Wort. Er bedauerte den Rückzug seines Kollegen. Karas habe immer versucht, auf positive Lösungen hinzuarbeiten und Europa weiterzubringen. Dass Karas mit seiner Haltung nicht mehr zur ÖVP passe, sei seit Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) immer deutlicher geworden. Das EU-Parlament verliere mit dem Rückzug von Karas einen „überzeugten Europäer und Demokraten mit klarer Haltung“, so SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder und EU-Vizepräsidentin Evelyn Regner.

SPÖ-Chef Andreas Babler bezeichnete Karas als einen der „letzten christlich-sozialen ÖVP-Granden, der Anstand und Respekt vor Menschen groß geschrieben“ habe. Er lud alle Christlich-Sozialen in Österreich ein, „ein Stück des Weges gemeinsam mit der Sozialdemokratie zu gehen“.

Die FPÖ ortete die „nächste Runde im Zerfallsprozess der ÖVP“. Im Hinblick auf die EU-Wahl befinde sich die ÖVP nun in einem „Zustand der politischen Schizophrenie“, meinte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz.

Plakolm schließt Spitzenkandidatur nicht aus

Mit einer Aussendung von Generalsekretär Stocker nahm die ÖVP die Entscheidung von Karas „zur Kenntnis“. Karas habe viele Jahre die Politik der EU in Brüssel und Straßburg mitgestaltet. Er wünsche ihm für seine persönliche Zukunft alles Gute, so Stocker: „Es ist aber nichts Neues, dass sich die Positionen der Volkspartei sowie jenen von Othmar Karas insbesondere in den vergangenen Jahren immer weiter voneinander entfernt haben.“

Der Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich, Matthias Zauner, bekräftigte, dass die ÖVP eine Partei der Mitte sei und bleibe: „Unsere Aufgabe als Volkspartei ist es, auf allen politischen Ebenen für die in der Bevölkerung mehrheitsfähigen Standpunkte der Mitte einzutreten.“ Es sei „leider zur Kenntnis zu nehmen“, dass dieser konsensorientierte Weg nicht von allen mitgetragen werde.

Auch Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm meldete sich zu Wort. Sie wollte ein Antreten als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der EU-Wahl auf Nachfrage nicht ausschließen. „Das habe nicht ich zu bestimmen, das entscheiden die Gremien der Volkspartei.“ Für die Entscheidung der Parteigremien über die Frage, wer für die Partei ins Rennen geht, sei „noch viel Zeit“.