Pro-palästinensische Demonstranten und Polizisten geraten in Berlin aneinander
Reuters/Fabrizio Bensch
Proteste gegen Israel

Ausschreitungen nach Hamas-Aufruf

Weltweit sind am Freitag Zigtausende Menschen dem Aufruf der Terrororganisation Hamas zu Protesten gegen Israel gefolgt. In arabischen und muslimischen Ländern gab es Massendemonstrationen. In Deutschland kam es zu ersten Vorfällen. Frankreich beklagte einen tödlichen Messerangriff, und London meldete eine eklatante Zunahme antisemitischer Ereignisse. Israel rief seine Bürgerinnen und Bürger im Ausland zur Vorsicht auf.

Nachdem der frühere Hamas-Führer Chaled Maschaal Muslime auf der ganzen Welt aufgefordert hatte, sich dem Kampf gegen Israel anzuschließen und eine „Botschaft des Zorns“ zu übermitteln, herrschte am Freitag die Sorge vor möglichen Ausschreitungen. In Berlin sowie in München und Hamburg wurden bereits geplante propalästinensische Kundgebungen verboten, trotzdem kam es zu Vorfällen.

In mehreren Städten musste die Polizei eingreifen, weil Israel-Flaggen entwendet und angezündet wurden. Die Berliner Polizei ging gegen Menschenansammlungen vor, die Palästinenserfahnen oder -symbole mithatten. Zuvor hatten Vermummte einen Polizeiwagen mit Molotowcocktails beworfen. Nach Angaben der Polizei vernahmen die Einsatzkräfte, wie die unbekannten Täter „Allahu akbar“ („Gott ist unvergleichlich groß“) riefen.

Erste Ausschreitungen nach Hamas-Aufruf

Weltweit sind am Freitag Zigtausende Menschen dem Aufruf der Terrororganisation Hamas zu Protesten gegen Israel gefolgt. Im Iran, Irak, Jordanien und Pakistan gab es Massendemonstrationen.

Berlin: „Erhöhte Gefährdungslage“

Auch die Polizei in Frankfurt, München und Hamburg rechnete trotz Verbots mit propalästinensischen Protesten. Der Aufruf werde bei den deutschen Hamas-Anhängern „einen Widerhall“ finden, erwartete der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch. In Frankfurt wurde die Veranstalterin einer für Samstag geplanten antiisraelischen Kundgebung vorläufig festgenommen. Auch in Köln, Mannheim und Freistadt wurden propalästinensische Veranstaltungen am Samstag verboten.

Die deutsche Regierung gehe von einer „erhöhten Gefährdungslage“ aus und nehme das „sehr ernst“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Freitag. Der Schutz jüdischer Einrichtungen sei bereits verstärkt worden – dieser habe „allerhöchste Priorität“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach deshalb am Freitag von einem „Tag der Angst für Juden weltweit und in Deutschland“ und rief zur Solidarität mit ihnen auf.

Versammlung in Graz untersagt

In Graz wurde eine für Samstag angekündigte Versammlung im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt behördlich untersagt. Das teilte die Landespolizeidirektion (LPD) Steiermark am Freitagabend mit. Die Polizeipräsenz im öffentlichen Raum sei verstärkt worden – mehr dazu in steiermark.ORF.at. Für Samstag wurde eine Demonstration in Wien angemeldet.

Sicherheitsvorkehrungen erhöht

In Österreich wurden nach dem Aufruf der Hamas die Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen verstärkt. Die Terrorwarnstufe ist bisher nicht erhöht worden.

Lehrer in Frankreich erstochen

In Paris hatte die Polizei am Donnerstag eine Demonstration mit Tränengas aufgelöst. In Frankreich sind propalästinensische Proteste seit Donnerstag verboten. Diese könnten „wahrscheinlich Störungen der öffentlichen Ordnung verursachen“, teilte Innenminister Gerald Darmanin in einem Brief an die Präfekten des Landes mit.

Am Freitag kam es in der Stadt Arras aber zu einem tödlichen Messerangriff. Medienberichten zufolge soll ein Lehrer von einem Ex-Schüler getötet worden sein. Der Täter soll beim Betreten einer Schule „Allahu akbar“ gerufen haben. Er soll in einer Datei für radikalisierte Personen geführt worden sein. Darmanin bestätigte auf Twitter den Polizeieinsatz in einer Schule. Die Polizei habe den Täter festgenommen. Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Tat als „islamistischen Terrorismus“.

Am Nachmittag rief Frankreich die höchste der drei Alarmstufen aus. Diese soll Schutz bei drohenden Angriffen oder unmittelbar nach einem Terroranschlag bieten. Sie ermöglicht etwa die Sperrung bestimmter Straßen oder Verkehrsmittel und die Information aller Einwohner über ein Notsystem. Bisher galt in Frankreich die mittlere Stufe, die bereits von einer erhöhten Bedrohung ausgeht.

Lehrer in Frankreich erstochen

Am Freitag kam es in der Stadt Arras zu einem tödlichen Messerangriff. Medienberichten zufolge soll ein Lehrer von einem Ex-Schüler getötet worden sein.

Antisemitische Vorfälle in Großbritannien

Großbritanniens Premier Rishi Sunak verurteilte unterdessen die Zunahme antisemitischer Vorfälle im Land. „In den vergangenen Tagen ist es zu einem ziemlich widerlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle gekommen“, sagte er. Die Regierung dulde keine Aufrufe zu Hass, Gewalt oder rassistischen Handlungen. Diese würden mit der „vollen Härte des Gesetzes“ geahndet. Die Londoner Polizei verzeichnete in den vergangenen Tagen mehr als hundert antisemitische Vorfälle und 75 antisemitische Straftaten in der britischen Hauptstadt.

USA bereiten sich vor

Von New York bis Los Angeles kündigte die US-Polizei an, dass sie nach dem Aufruf der Hamas am Freitag verstärkt patrouillieren werde. Der New Yorker Bürgermeister Eric Adams sagte, es gebe keine glaubwürdigen Drohungen gegen New York, aber unter Hinweis auf eine für Freitag geplante Großdemonstration auf dem Times Square müssten die New Yorker „wachsam bleiben“.

Die Polizei in der Region Washington wollte ihre Präsenz an religiösen Stätten verstärken. Zudem würden die Sicherheitsvorkehrungen im gesamten Kapitolskomplex erhöht werden. In den USA blieben am Freitag einige Schulen geschlossen.

Israel warnt Bürger im Ausland

Dem Zentralrat der Juden zufolge kursierten in sozialen Netzwerken Aufforderungen zu Gewalttaten gegen jüdische Einrichtungen. Die Drohungen seien nicht verifiziert, doch könnte es Trittbrettfahrer oder Einzeltäter geben. Israel rief seine im Ausland lebenden Staatsbürger zur Vorsicht auf: „Es ist davon auszugehen, dass es in verschiedenen Ländern zu Protestveranstaltungen kommen wird, die in Gewalt umschlagen können“, warnten das israelische Außenministerium und der Nationale Sicherheitsrat des Landes.

Hisbollah im Libanon: „Bereitet euch auf alles vor“

Hunderte Anhänger jubelten dem stellvertretenden Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, Naim Ghassem, bei seiner Rede nach dem Freitagsgebet in Beirut zu. Seine Ansage war eindeutig: „Bereitet euch auf alles vor.“ Die Schiitenorganisation sei bereit zum Kampf gegen Israel. Die Menge schwenkte palästinensische Fahnen und die Flagge der Hisbollah. Im Chor riefen die Menschen: „Freiheit für Palästina!“

In Ägypten protestierten Gläubige nach dem Freitagsgebet in der Al-Azhar-Moschee in Kairo, berichtete die Zeitung „Al-Schoruk“, die Bilder von einigen Demonstranten veröffentlichte, die im Hof der Moschee die palästinensische Flagge entfaltet und „Mit Seele und Blut opfern wir für Al-Aksa“ gerufen haben sollen, eine Anspielung auf die drittheiligste Stätte des Islam in Jerusalem.

Großdemonstration in Bagdad (Irak) zur Unterstützung der Palästinenser in Gaza
Reuters/Ahmed Saad
Tausende Menschen gehen in der irakischen Hauptstadt Bagdad aus Solidarität mit den Palästinensern auf die Straße

Massendemos im Iran, Irak, Jordanien und Pakistan

Im Iran, Irak und in Jordanien taten indes Tausende Menschen ihre Unterstützung für die Palästinenser kund. In der iranischen Hauptstadt Teheran schwenkten Demonstrantinnen und Demonstranten die iranische, die palästinensische und die Hisbollah-Flagge und hielten Transparente mit Aufschriften wie „Nieder mit Amerika“ und „Nieder mit Israel“, wie ein AFP-Reporter berichtete.

Teheran unterstützt die Hamas seit Langem militärisch und finanziell. Den Hamas-Angriff feierte die iranische Führung als „Erfolg“. Eine direkte Beteiligung an dem Angriff wies der Iran jedoch zurück. Auch in Jordanien gingen Tausende auf die Straße. Medienberichten zufolge verhinderten Sicherheitskräfte, dass Demonstrantinnen und Demonstranten das Grenzgebiet zum Westjordanland erreichten. In der irakischen Hauptstadt Bagdad skandierten Tausende auf dem zentralen Tahrir-Platz Slogans wie „Nein zur Besatzung! Nein zu Amerika!“.

Der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian warnte Israel vor einer möglichen Ausweitung des Konflikts. Falls das israelische Bombardement des von der Hamas beherrschten Gazastreifens anhalte, könnten sich „andere Fronten“ öffnen, sagte Amir-Abdollahian zum Auftakt eines Besuchs in Beirut. „Im Lichte der anhaltenden Aggression, der Kriegsverbrechen, und der Belagerung des Gazastreifens ist die Öffnung anderer Fronten eine echte Möglichkeit“, sagte Amir-Abdollahian. Dies werteten Beobachter als möglichen Verweis auf die libanesische Hisbollah-Miliz, die von Teheran unterstützt wird.

Landesweite Kundgebungen gab es am Freitag auch in Pakistan. Der Vorsitzende der einflussreichen islamistischen Partei Jamaat-e-Islami, Sirajul Haq, sagte vor aufgebrachten Anhängern in der Millionenstadt Lahore: „Wir sind zu jedem Opfer bereit und werden weiterhin die muslimischen Brüder und Schwestern in Palästina unterstützen.“ Der Senator forderte die Regierung auf, unverzüglich ein Spitzentreffen der pakistanischen Politik einzuberufen.