Oppositionsführer Donald Tusk
APA/AFP/Janek Skarzynski
Parlamentswahl in Polen

Opposition sieht PiS „von Macht entfernt“

Bei der Parlamentswahl in Polen am Sonntag ist die rechtsnationalistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) laut Prognosen stärkste Kraft geworden, doch voraussichtlich fehlt ihr die Mehrheit. Die Opposition hingegen wittert die Chance auf eine Regierungsbildung, das Bündnis um Ex-Regierungschef Donald Tusk kommt laut Prognosen auf eine Mehrheit. Tusk erklärte sich schnell zum Wahlsieger – und sieht die PiS-Regierung „von der Macht entfernt“. Doch dürfte die PiS als stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt werden.

Zwar kam die PiS in einer Ipsos-Nachwahlbefragung auf fast 37 Prozent der Stimmen, doch Tusks liberale proeuropäische Bürgerkoalition (KO), die über 31 Prozent erreichte, liegt zusammen mit zwei kleineren Oppositionsparteien laut Prognose vor dem rechten Lager um die PiS. Die Bürgerkoalition käme laut Prognosen auf etwa 160 Mandate. Sie könnte mit dem christlich-konservativen Dritten Weg und dem Linksbündnis Lewica eine Koalition bilden.

Das Dreierbündnis käme auf insgesamt etwa 250 Abgeordnete – die Mehrheit im Parlament liegt bei 231 der 460 Mandate. Am Montagnachmittag lagen die drei Oppositionsparteien nach Auszählung von zwei Drittel der Stimmen mit 231 zu 228 Mandaten in Führung. Es wurde erwartet, dass sich der Vorsprung im Verlauf der Auszählung vergrößern dürfte.

Konfederacja wird wohl kein Königsmacher

Als Koalitionspartner kommt für die PiS nur die Konfederacja infrage. Doch die Anti-System-Partei brachte es laut Prognosen auf nur etwas über sechs Prozent, blieb unter ihren Erwartungen und kommt damit als Mehrheitsbeschafferin nicht infrage. Mit ihr kommt die PiS zusammen auf etwa 210 Sitze. Sie hatte im Wahlkampf versucht, den wachsenden Unmut von Polen über die Ukraine-Politik auszuschlachten. Zudem hatte die Konfederacja im Wahlkampf immer wieder betont, sie wolle kein Bündnis mit der PiS.

Jaroslaw Kaczynski
Reuters/Aleksandra Szmigiel
Kaczynskis PiS dürfte eine Mehrheit im Parlament fehlen

Tusk: „Glücklichster Mensch auf der Welt“

Oppositionsführer Tusk sah sich am Abend hingegen schon als Sieger: „Ich habe mich noch nie so sehr über den zweiten Platz gefreut. Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, das ist das Ende der PiS-Regierung“, sagte er. „Wir haben sie (die PiS) von der Macht entfernt“, so Tusk. „Ich bin heute der glücklichste Mensch auf der Welt.“

Politikexperte Stanislaw Mocek von der privaten Hochschule Collegium Civitas in Warschau sagte, die bisherige Opposition habe nun die Chance auf einen Machtwechsel. „Ich denke, dass das das Ende der PiS-Regierung ist“, sagte er. Die Abstimmung galt als Richtungswahl über den künftigen Kurs gegenüber der EU, der Ukraine und dem Nachbarland Deutschland.

Polen nach der Wahl

Bei der Parlamentswahl in Polen liegt laut Prognosen die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vorn. Die PiS dürfte aber keine Mehrheit erreichen. Das erhöht die Möglichkeit, dass die liberale Opposition eine Regierungskoalition bilden wird.

Morawiecki hofft auf „Chance“

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sprach zwar von einem „großen Erfolg“ und schwor seine Gefolgschaft auf den Kampf ein: „Unabhängig davon, ob wir an der Macht sind oder in der Opposition, wir werden dieses Projekt umsetzen und nicht zulassen, dass Polen verraten wird.“ Indirekt gestand der 74-Jährige damit allerdings ein, dass er einen Gang in die Opposition nicht ausschließt.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wollte die Flinte am Wahlabend noch nicht ins Korn werfen. Sollte Präsident Andrzej Duda ihm die „Chance“ geben, „werden wir versuchen, eine stabile Regierung zu bilden“, sagte Morawiecki.

Ende des Machtkampfs mit Brüssel?

Tusk war bereits von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef, ehe er EU-Ratspräsident wurde. Unter der Nachfolgeregierung der PiS hat sich das Verhältnis zwischen Polen und der EU signifikant verschlechtert. Kritiker und Kritikerinnen werfen der PiS vor, seit der Amtsübernahme 2015 die Unabhängigkeit von Gerichten und Medien untergraben zu haben. Mehrere Vertragsverletzungverfahren wurden eingeleitet, Polen vom EuGH auch schon mehrmals verurteilt.

In diesem Prozess hat die EU für Polen bestimmte Mittel im Umfang von rund 110 Milliarden Euro eingefroren. Tusk hat eine Normalisierung des Verhältnisses zu Brüssel angekündigt und will auch das von der PiS verschärfte Abtreibungsrecht liberalisieren.

Die PiS-Regierung mit ihrem Ministerpräsidenten Morawiecki führt seit Jahren einen Machtkampf mit Brüssel, vor allem wegen ihrer Justizreform, die von Kritikern als Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verurteilt wird. Der Wahlkampf der PiS war auch stark von antideutschen Tönen geprägt. Die Regierungspartei warf Tusk vor, er handelte im Interesse Deutschlands, der EU und Russlands.

Hohe Wahlbeteiligung

Bei der Wahl zeichnete sich auch eine Beteiligung in Rekordhöhe ab. Sie dürfte über 70 Prozent liegen, wobei der Zulauf in urbanen Zentren und unter den Auslandspolen ungewöhnlich hoch war. Wie die polnische Wahlbehörde mitteilte, war die Beteiligung wahrscheinlich die höchste bei einer Wahl seit dem Ende des Kommunismus im Jahr 1989.

Die Prognose zeigte auch, dass die Polen dem manipulativen Viererreferendum der PiS-Regierung die Rote Karte zeigten. Die Beteiligung an der Volksabstimmung, bei der unter anderem eine Suggestivfrage über die Aufnahme von Migranten durch Polen „beantwortet“ werden sollte, scheiterte klar am Beteiligungsquorum von 50 Prozent und war damit ungültig. Nur rund 40 Prozent der Stimmberechtigten machten bei dieser Farce mit.

Regierungsbildung: Auftrag wohl an PiS

Das offizielle Wahlergebnis will die Wahlkommission bis Dienstag bekanntgeben. Danach folgt der nächste Schritt. Die polnische Verfassung sieht vor, dass der Präsident einen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragt. Duda, der ein früherer PiS-Spitzenpolitiker war, äußerte sich am Montag bedeckt zu seinem Vorgehen und appellierte an die Parteien, das offizielle Endergebnis abzuwarten.

„Ich kann vorab schon sagen: Denjenigen, die diese Wahl gewonnen haben, gratuliere ich von ganzem Herzen.“ Einen Namen nannte Duda nicht. Vor der Wahl hatte er angedeutet, dass er sich an die politische Gepflogenheit halten wird, einem Vertreter der stärksten politischen Kraft diesen Auftrag zu erteilen.

Das vorgeschlagene Kabinett muss dann vom Parlament bestätigt werden. Scheitert das, weil keine Mehrheit zustande kommt, kann das Parlament mit seiner Mehrheit eine Regierung bilden. Dann schlägt wahrscheinlich die Stunde von Tusk. Doch bis dahin können noch einige Wochen der Unsicherheit vergehen.

SPÖ, NEOS und Grüne: „Proeuropäisches Signal“

SPÖ-EU-Abgeordneter Andreas Schieder sieht ein „starkes proeuropäisches Signal gegen Demokratieabbau und autoritäre Tendenzen“. Auch NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter sprach von einem „klaren Zeichen für unsere gemeinsamen europäischen Werte“. Die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic appellierte an die ÖVP: Polen habe das „ganz klare Signal (…) geschickt, dass man Wahlen gewinnen kann mit einer klaren Abgrenzung an Rechtsaußen“.