Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Ibiza U-Ausschuss
ORF.at/Peter Pfeiffer
Vorwurf Falschaussage

Prozess gegen Kurz gestartet

Am Mittwochvormittag ist der Prozess gegen den früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz gestartet. Dem Ex-ÖVP-Obmann wird vorgeworfen, im „Ibiza“-U-Ausschuss als Auskunftsperson falsch ausgesagt zu haben. Die Staatsanwaltschaft wartet mit einer prominenten Zeugenliste auf. Kurz zeigte sich zum Prozessauftakt zuversichtlich.

„Ich hoffe doch auf ein faires Verfahren und darauf, dass sich am Ende des Tages die Vorwürfe als falsch herausstellen“, so der Ex-Kanzler beim Eintreffen. Zugleich kritisierte er, dass die Ermittlungen politisch beeinflusst sein könnten. So sei der Grund für den Prozess ein Zusammenspiel aus Politik und Korruptionsstaatsanwaltschaft. „Ich halte es für sehr bedenklich, dass immer mehr versucht wird, mit Anzeigen Politik zu machen.“

Kurz’ Anwalt Otto Dietrich stellte gleich zu Beginn den Antrag, Richter Michael Radasztics wegen Befangenheit auszutauschen. Es gebe Zweifel an dessen Unparteilichkeit.

Enormes Medieninteresse in Schwurgerichtssaal

Das Medieninteresse ist enorm, der Große Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht ist „ausreserviert“. 83 Medienschaffende aus dem In- und Ausland haben sich in den vergangenen Wochen zum Prozess angemeldet. Aus Platzgründen musste das Kontingent für Journalisten und Journalistinnen eingeschränkt werden. Weitere 38 Sitzplätze stehen für die interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung – diese Personen werden auf der Galerie Platz nehmen müssen.

Für die Verhandlung gegen insgesamt drei Angeklagte sind bisher drei Termine bis 23. Oktober anberaumt. Neben Kurz stehen die ehemalige ÖVP-Vizeparteichefin und Ex-Generaldirektorin der Casinos Austria AG (CASAG), Bettina Glatz-Kremsner, und der Kurz-Vertraute und Ex-Kabinettschef im Bundeskanzleramt, Bernhard Bonelli, vor Gericht.

Auch ihnen wird Falschaussage vorgeworfen. Kurz hatte bereits in einer schriftlichen Gegenäußerung einen Freispruch verlangt. Auch seine Mitangeklagten werden sich voraussichtlich als „nicht schuldig“ bekennen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Personalpolitik der Ära Kurz

Kurz wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vorgeworfen, er hätte als Auskunftsperson vor dem U-Ausschuss insbesondere im Zusammenhang mit der Errichtung der ÖBAG und der Besetzung des Vorstandes und Aufsichtsrates dieser Gesellschaft falsch ausgesagt. Konkret geht es um die Besetzung von Thomas Schmid als ÖBAG-Alleinvorstand. Kurz gab im U-Ausschuss an, dass er über dessen Bewerbung informiert gewesen sei. Dass Schmid am Ende auch ÖBAG-Chef wurde, sei aber nicht seine Entscheidung gewesen, sagte Kurz, sondern die des ÖBAG-Aufsichtsrates.

Kurz-Vertrauter Bernhard Bonelli
APA/Geprg Hochmuth
Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli muss sich ebenfalls vor Gericht verantworten

Die WKStA sieht das allerdings anders und verwies im Strafantrag auf Chats und die ausführliche Einvernahme von Schmid, der den Status als Kronzeuge beantragt hatte. Der frühere Kurz-Intimus sagte vor der WKStA aus, dass Kurz sehr wohl im Vorfeld aktiv gewesen sei. Die Planung sei vom Ex-Kanzler ausgegangen, sagte Schmid. Aus dessen Sicht war Kurz bei der ÖBAG-Postenbesetzung „viel stärker involviert“, man habe sich regelmäßig ausgetauscht. Die Planung sei „sehr wohl von Sebastian Kurz ausgegangen“, so Schmid.

Vergangene Woche hatte sich der Anwalt von Kurz auf die WKStA eingeschossen und in einer Gegenäußerung Gründe angeführt, warum die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft falsch seien. Die WKStA verdrehe die Aussagen von Kurz „geradezu ins Gegenteil“. Nach Ansicht des Kurz-Anwalts besteht eine Diskrepanz zwischen dem „Wort und dem von der WKStA angenommenen Bedeutungsgehalt“. Zudem sei die „wahre Intention der Fragesteller“ im U-Ausschuss von der WKStA nicht berücksichtigt worden, „den Befragten unter dem […] gegebenen Zeitdruck in Widersprüche zu verstricken.“

CASAG-Vorstand vor Gericht

Bonelli wird vorgeworfen, im U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben. Wie bei Kurz liegt der Fokus der Ermittler und Ermittlerinnen auf der Bestellung des ÖBAG-Vorstandes und des -Aufsichtsrates. Gemäß dem Gesetz werden die Mitglieder des Aufsichtsrates durch die Hauptversammlung gewählt und abberufen, also den Finanzminister, der im Namen des Bundes agiert. Der Aufsichtsrat bestellt schließlich den Vorstand der Staatsholding. 2019 beschloss der Aufsichtsrat „einstimmig“, wie es damals hieß, Schmid an die Spitze zu hieven.

Bettina Glatz-Kremsner und Sebastian Kurz
APA/Hans Punz
Die frühere CASAG-Generaldirektorin Bettina Glatz-Kremsner soll ebenfalls falsch ausgesagt haben

Kurz und Bonelli verwiesen im U-Ausschuss darauf, dass die Bestellung des Aufsichtsrates im Finanzministerium unter dem damaligen Minister Hartwig Löger (ÖVP) durchgeführt wurde. Die WKStA schreibt jedoch mit Verweis auf Chats und Schmids Einvernahme, dass Kurz sehr wohl bei den Personalentscheidungen mitgemischt hat. Für die Auswahl der Mitglieder sei die „vorherige Zustimmung“ des Kanzlers eingeholt worden, heißt es im Strafantrag. Er habe auch einzelne Vorschläge des Finanzministers abgelehnt.

Glatz-Kremsner soll sowohl vor dem U-Ausschuss als auch bei ihrer Vernehmung als Zeugin im Ermittlungsverfahren zur Bestellung eines Vorstandsmitgliedes der CASAG wissentlich die Unwahrheit gesagt haben. Auf die Frage, ob es bei der Bestellung von Peter Sidlo zum CASAG-Vorstand einen politischen Hintergrund gibt, habe sie tatsachenwidrig behauptet, dass sie keine Wahrnehmungen dazu hätte – obwohl sie gewusst hätte, dass Sidlo ein FPÖ-Wunschkandidat gewesen sei, erläutert die WKStA im Strafantrag.

Prominente Zeugenliste

Kurz wird möglicherweise erst am zweiten Verhandlungstag (20. Oktober) ausführlich zu Wort kommen, sollten die Eröffnungsvorträge der WKSA und der drei Verteidiger länger dauern. Zeuginnen und Zeugen sind vorerst noch keine geladen – zu deren Befragung werden wohl weitere Verhandlungstermine ab November vonnöten sein. Die WKStA hat in ihrem schriftlichen, über 100 Seiten umfassenden Strafantrag die Befragung von nicht weniger als 18 Zeuginnen und Zeugen im Rahmen der Hauptverhandlung beantragt.

Auf der Zeugenliste der WKStA stehen unter anderen die ehemaligen Finanzminister Löger und Gernot Blümel (ÖVP) sowie Ex-Vizekanzler und -FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Befragt werden sollen auch Schmid und Sidlo sowie der Industrielle Siegfried Wolf und Ex-Raiffeisen-Generalanwalt Walter Rothensteiner. Letzterer war auch Casinos-Aufsichtsratschef.

Zudem könnte die Verteidigung die Ladung weiterer Personen beantragen, die – sollte der Richter ihre Einvernahme für erforderlich halten – ebenfalls unter Wahrheitspflicht zu vernehmen wären.