Tonio Schachinger sitzt auf Treppe
IMAGO/Sven Simon/Anke Waelischmiller/Anke Waelischmiller/Sven Simon
„Echtzeitalter“

Deutscher Buchpreis für Tonio Schachinger

Für seinen zweiten Roman „Echtzeitalter“ hat der 1992 geborene Tonio Schachinger am Montag den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis gewonnen. Damit ist er nach Arno Geiger (2005) und Robert Menasse (2017) der erst dritte österreichische Preisträger und hat nach der Shortlist-Nominierung seines Debütromans „Nicht wie ihr“ 2019 seine zweite Chance in Frankfurt verwandelt.

Ging Schachinger 2019 mit seinem Roman über den fiktiven österreichischen Starfußballer Ivo Trifunovic – in dem viele Leserinnen und Leser Marko Arnautovic erkannten – leer aus, wählte die siebenköpfige Jury ihn dieses Mal zum Gewinner.

Auf die Shortlist hatten es dieses Jahr außerdem „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ der Buchpreisgewinnerin 2013 Terezia Mora, Necati Öziris „Vatermal“, Anne Rabes „Die Möglichkeit von Glück“, Sylvie Schenks „Maman“ und Ulrike Sterblichs „Drifter“ geschafft.

Literatur über Herausforderungen der Gegenwart

Im Vorfeld sagte die Jurysprecherin und freie Literaturkritikerin Katharina Teutsch, alle sechs Romane einten Fragen nach „unseren Prägungen: von Erziehung und sozialer Herkunft, von politischen Ideologien, von dramatischen Systemwechseln und den Härten der Migration – von all dem also, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert“.

Tonio Schachinger, Oktober 2023
IMAGO/Hartenfelser/Peter
Schachinger besuchte selbst das Wiener Theresianum, mit „Echtzeitalter“ ist ihm ein jetzt preisgekrönter Schülerroman gelungen

In Schachingers „Echtzeitalter“ werden diese Fragen anhand seines Protagonisten Till Kokorda gestellt. Er ist zwischen 2012 und 2020 Schüler des fiktiven Wiener Elitegymansiums „Marianum“. Die Lehrer zelebrieren dort immer noch das alte autoritäre Gehabe und die Kinder großbürgerliche Standesdünkel.

Ein neuer „Schüler Gerber“

Bei Erscheinen zeigte sich das deutsche Feuilleton, allen voran „FAZ“ und „Zeit“, begeistert, die APA sah in Schachingers wunderbar leichtem Ritt durch Schultraumata und dem Lebensgefühl einer Generation, gepaart mit einer Prise Spott gegenüber den oberen zehntausend die Tradition von Friedrich Torbergs „Schüler Gerber“ wieder aufleben.

Einem typischen Absolventen wird es „für seine gesamte Lebenszeit als Rebellion genügen, mit 17 seinen über das Hemd gelegten Pullover schräg über eine Schulter zu binden, statt symmetrisch über beide“. Solche schönen, bösen Sätze enthält das Buch.

Die vielen beiläufig eingestreuten, klug beobachteten Details verraten vielleicht, dass Schachinger dieses Setting gut kennt: Der heute 31-Jährige war selbst im Theresianum. Dass sein fiktives „Marianum“ die Elitekaderschule im 4. Wiener Gemeindebezirk als Vorbild hat, ist unschwer zu erkennen.

Buchcover von „Echtzeitalter“
rowohlt.de
Tonio Schachinger: Echtzeitalter. Rowohlt Verlag, 364 Seiten, 25,50 Euro

Protagonist Till jedenfalls ist anders als die Oberschichtskinder, die Eltern geschieden, ein Nichtfußballer, stattdessen ein Gamer. Im Laufe der acht Jahre wird er vom Amateur, der sich in Foren herumtreibt, zu einem der zehn weltbesten Spieler von „Age of Empire 2“. Dieses wortwörtlich abseitige Interesse führt immer mehr dazu, dass aus dem „Naturtalent im Nichtauffallen“ eine Zielscheibe seines autoritären Klassenvorstands Dolinar wird.

Ein Händchen für ungewöhnliche Außenseiter

Schon in Schachingers „Nicht wie ihr“ ging es um einen, der aus seiner Umgebung heraussticht. Protagonist Trifunovic darin ist ein Weltfußballer aus Wien, der schon beim HSV und Real Madrid gespielt hat und gerade bei Arsenal unter Vertrag steht. Er verdient 100.000 Euro pro Woche, hat eine bildhübsche Frau und zwei Kinder, sammelt Luxuskarossen und hat seinen Eltern bereits vier Häuser gekauft. Glücklich ist er trotzdem nicht.

Schachinger, selbst Sohn eines österreichischen Diplomaten und einer mexikanisch-ecuadorianischen Künstlerin und Inhaber mehrerer Staatsbürgerschaften warf schon damals einen genauso scharfsinnigen wie witzigen Blick auf Identitäten. Sowohl Till als auch Ivo sind ungewöhnliche Außenseiter, mit denen es Schachinger gelingt, große gesellschaftliche Konstellationen anzureißen, ohne sie detailliert benennen zu müssen.

Deutscher Buchpreis für Tonio Schachinger

Der österreichische Autor Tonio Schachinger hat den diesjährigen Deutschen Buchpreis in Frankfurt erhalten. Sein Roman „Echtzeitalter“ ist jetzt „Roman des Jahres“.

Gastland Slowenien

Die Verleihung des Deutschen Buchpreises ist der Auftakt zur Frankfurter Buchmesse. Am Mittwoch wird die bis Sonntag dauernde Buchmesse im Beisein des deutschen Kanzlers Olaf Scholz und der slowenischen Präsidentin Natasa Pirc Musar eröffnet. Slowenien ist in diesem Jahr Gastland. Ab Mittwoch ist die Messe für Fachbesucher geöffnet, ab Freitag für das breite Publikum.