Galapagos Riesenschildkröte
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„Architekten“

Schildkröten trampeln sich Natur zurück

Die Galapagosinseln sind wegen ihrer einzigartigen Artenvielfalt bekannt. Die vor der Küste Ecuadors gelegene Inselgruppe beherbergt weltweit die größte Zahl an endemischen Arten – also Arten, die nur dort vorkommen. Besonders populär sind die Riesenschildkröten. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Tiere gejagt und ausgerottet. Mittlerweile sind sie aber die „Architekten“ der Natur – und dabei sind sie nicht die einzigen.

Fast 200 Jahre ist es her, dass der junge Charles Darwin mit der „HMS Beagle“ auf den Archipel kam. 1835 stapfte der Naturwissenschaftler über die Inselgruppe und erkundete die Fauna und Flora. Von den dort heimischen Riesenschildkröten zeigte sich Darwin regelrecht begeistert. Der Forscher habe sich darüber amüsiert, wenn er eines dieser „großen Ungeheuer“ überholte und das Tier dann plötzlich den Kopf und Beine einzog „und zu Boden fiel, als wäre es tot“, heißt es in seinem Bericht „Die Fahrt der Beagle“.

Für die Schildkröten war die Entdeckung der Inseln weniger amüsant. Sie wurden gejagt und beinahe ausgerottet. Durch eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten veränderte sich außerdem das Ökosystem. Besonders Ziegen wurden zu einer Bedrohung für heimische Tierarten. Denn die Nutztiere, die Anfang des 19. Jahrhunderts von Siedlern auf die Inseln gebracht wurden, haben das Land fast kahlgefressen. Was blieb, war eine von Bäumen und Sträuchern dominierte Landschaft.

Insel „Espanola“
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Auf Espanola trampeln mittlerweile wieder viele Riesenschildkröten über das Land

Fressen, trampeln und verteilen

Wie aus dem kargen Land wieder ein „Paradies“ für Riesenschildkröten wurde, zeigt eine aktuelle Studie, die in der internationalen Fachzeitschrift für Naturschutzbiologie „Conservation Letters“ veröffentlicht wurde. Die Forscher James Gibbs und Washington Tapia Aguilera nahmen Espanola genauer unter die Lupe. Auf der kleinen Insel im Südosten des Archipels sank die Zahl der Riesenschildkröten infolge von Jagd und Konkurrenz mit invasiven, also eingeschleppten Arten in den 60er Jahren auf einen historischen Tiefstand von nur noch 14 Individuen (zwei männlich, zwölf weiblich).

Galapagosinseln

Die Galapagosinseln gehören zu Ecuador und liegen rund 1.000 Kilometer westlich der südamerikanischen Küste im Pazifik. Sie sind wegen ihrer Flora und Fauna seit 1978 UNESCO-Weltnaturerbe. Zu den endemischen Arten, die es nur dort gibt, zählen Meerechsen, Landleguane und Darwin-Finken.

Die Tiere wurden eingefangen. Durch ein gezieltes Aufzuchtprogramm ist die Population der Riesenschildkröten auf Espanola zunächst auf 2.000 Individuen gewachsen, in der freien Wildbahn stieg die Zahl auf rund 3.000 Stück. Und die große Anzahl der Tiere mit ihrer beachtlichen Körpergröße hatte Folgen für das Landschaftsbild. Die Dominanz von Gehölzen, deren Blätter eine wichtige Nahrungsquelle darstellen, verringerte sich zusehends, während sich offene Graslandschaften wieder ausbreiteten.

Das Geheimnis des Erfolgs ist simpel: Schildkröten sind Architekten der Natur. Wenn sie grasen und dahintrotten, verändern sie die Landschaft, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Sie zertrampeln junge Bäume und Sträucher und verhindern damit ihr Heranwachsen. Zudem unterstützen die Schildkröten, indem sie die Samen von gefressenen Früchten wieder ausscheiden, die Verbreitung von Pflanzenarten über weite Strecken auf der Insel, was sich positiv auf die Artenvielfalt auswirkt.

Gibbs und Aquilera stellten mit Satellitenbildern, die zwischen 2006 und 2020 aufgenommen wurden, fest, dass in Teilen der Insel, in denen sich Schildkröten angesiedelt haben, die Dichte der Bäume und Sträucher deutlich abnahm im Gegensatz zu jenen Regionen, in denen kaum oder keine Schildkröten leben. Schon zwei Tiere pro Hektar würden ausreichen, um eine Landschaftsveränderung auszulösen, schreiben die Forscher, die beide in der Non-Profit-Organisation Galapagos Conservancy tätig sind.

Um die Auswirkungen der gepanzerten Reptilien genauer zu untersuchen, wurden von Kakteen bewachsene Flächen auf der Insel eingezäunt. Der Vergleich der umzäunten und offenen Flächen zeigte, wie sich die Landschaften entwickeln, wenn diese dem Einfluss der Riesenschildkröten ausgesetzt sind.

Specht und Biber bauen – auch für andere

Dass Tiere wie Schildkröten die Landschaft verändern, ist nicht außergewöhnlich. Es gibt zig weitere Beispiele im Tierreich, und dafür muss man gar nicht erst auf die Galapagosinseln schauen. Der Leiter des Instituts für Zoologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, Thomas Frank, erinnert etwa an den Specht als „Landschaftsarchitekten“. Dessen Bruthöhlen würden von anderen Höhlenbewohnern, die selbst keine derartigen Brutplätze bauen können, genutzt werden, so der Forscher gegenüber ORF.at.

Biber in Österreich
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Als wahrer „Landschaftsarchitekt“ gilt auch der Biber

In dieselbe Kategorie fällt auch der Biber. Indem das Nagetier Fließgewässer durch den Bau von Dämmen aus Baumstämmen und Treibholz aufstaut und damit dynamische Ökosysteme schafft, sei es „landschaftsgestaltend“ tätig, sagt Naturwissenschaftlerin Kathrin Pascher. Es werden neue Lebensräume geschaffen, die von vielen anderen Arten besiedelt werden können, hält die Forscherin der BOKU fest.

Wolf in den USA eine „ökologische Erfolgsgeschichte“

Auch ein Tier, das hierzulande für reichlich Diskussionsstoff sorgt, reiht sich unter die bekannteren Architekten der Natur ein: der Wolf. Die Wiederansiedlung des Beutegreifers im Yellowstone-Nationalpark in den USA sei eine „ökologische Erfolgsgeschichte“, sagt Pascher. Nicht nur, dass sich die Population stark vergrößert und stabilisiert habe. Durch die Rückkehr des Wolfes seien auch „die übergroßen Bestände des Wapitihirsches reduziert“ worden. Durch die gezielte Jagd des Wolfs auf kranke und schwache Tiere hätte sich deren Population „stabilisiert und ist nun wesentlich widerstandsfähiger.“

Wapitihirsch
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Die Population des Wapitihirschs im Yellowstone-Nationalpark sei wegen des Wolfs „widerstandsfähiger“ geworden

Das Jagdverhalten der angesiedelten Beutegreifer habe außerdem das Weideverhalten der Hirsche und auch anderer Huftiere wie etwa der Elche „drastisch verändert“, erklärt die Forscherin. Dadurch, dass der Wolf die Tiere „mit einer anderen Dynamik“ durch die Landschaft treibt, werde die Landschaft nicht überweidet. Mittlerweile habe sich die Vegetation erholt, es gebe auch wieder vermehrt Lebensräume mit aufkommenden Büschen und Bäumen. Die Folge: Die Bestände der Singvögel im Yellowstone-Nationalpark haben sich deutlich erhöht.

Die Beispiele beschränken sich aber nicht nur auf Tiere, wie Zoologe Frank anhand der Wiederbewaldung des tropischen Regenwaldes schildert. „In Costa Rica werden von regionalen Tropenbäumen Jungpflanzen gezogen und ausgepflanzt. Zusammen mit der Ausbreitung von Samen natürlich vorkommender Pflanzenarten etwa durch Vögel, kann sich dadurch eine regionale Artenzusammensetzung entwickeln“, sagt er. Die Wiederbewaldung dient den Tieren als Ausbreitungskorridor. „Arten wie der Ozelot kehren in diese Regionen, in denen sie früher einmal ansässig waren, wieder zurück.“

Ozelot in Costa Rica
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Der Ozelot kehrt wieder in Regionen zurück, wo er früher ansässig war

Unter dem Schutzschirm

Dass die Wiederansiedlung von Beutegreifern wie Wolf und Bär auch zu Debatten führt, weiß Pascher. „Als große Beutegreifer sind sie ein regulierendes Element in der Natur, bestimmen die natürlichen dynamischen Vorgänge in Ökosystemen mit und halten diese auch im Gleichgewicht“, sagt die Expertin und verweist zudem auf die „Umbrella Species“. Wenn diese Schirmarten, wie etwa der indische Tiger geschützt werden, werde auch das Ökosystem und andere Arten, die einen geringeren Stellenwert in der Öffentlichkeit haben, mitgeschützt, sagt Frank.

Wenn Wildtiere wieder angesiedelt werden, sei allen voran die Aufklärung der Öffentlichkeit wichtig, sagen die Forschenden. Um ein „sicheres Zusammenleben“ zu gewährleisten, müsse die Akzeptanz in der Bevölkerung für die „wiederangesiedelten“ Arten steigen. Daneben seien je nach Tierart auch die „erforderlichen Maßnahmen“ zu setzen. In der Debatte über den Wolf werden in Österreich Schutzmaßnahmen für Herdentiere wie etwa Elektrozäune, Hirten und Herdenschutzhunde diskutiert.

Es brauche aber vor allem Platz, sagt Pascher. „Für die Wiederansiedelung von Beutegreifern ist es erforderlich, einen geeigneten und ausreichend großen Lebensraum zur Verfügung zu stellen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Wiederansiedelung fehlschlägt und zu Konflikten führt.“