Polens Oppositionsführer Donald Tusk
Reuters/Kacper Pempel
Nach Wahl in Polen

Zäher Weg zurück zu Rechtsstaatlichkeit

Nach der Parlamentswahl bahnt sich in Polen ein Machtwechsel an. Drei Oppositionsparteien könnten künftig eine neue Regierung bilden und das Land auf einen proeuropäischen und demokratischen Kurs zurückbringen. Einfach wird das nicht: Die bisher regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist immer noch stärkste Kraft und hat die Justiz und weite Teile der Medienlandschaft nach ihrem Gutdünken umgestaltet – Änderungen daran wird sie versuchen zu blockieren.

Für das größte Oppositionsbündnis, die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des früheren Regierungschefs Donald Tusk, stimmten 30,7 Prozent – sie wurde damit zweitstärkste Kraft mit 157 Mandaten. Die KO plant eine Regierungskoalition mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (14,4 Prozent, 65 Mandate) und dem Linksbündnis Lewica (8,6 Prozent, 26 Mandate). Das Dreierbündnis kommt zusammen auf 248 der insgesamt 460 Sitze und damit eine Mehrheit der Mandate.

Die PiS bekam laut Wahlkommission 35,4 Prozent der Stimmen und wird mit 194 Abgeordneten stärkste Kraft im neuen Parlament. Sie wäre aber für eine Regierungsmehrheit auf einen Koalitionspartner angewiesen. Dafür käme nur die ultrarechte Konfederacja infrage, doch die blieb weit hinter ihren Umfragewerten zurück und brachte es nur auf 7,2 Prozent und 18 Sitze – das reicht nicht zur Mehrheit.

Grafik zum Endergebnis der Parlamentswahlen in Polen
Grafik: APA/ORF; Quelle: Wahlkommission

Wahlbeteiligung höher denn je

Im Vorfeld war die Wahl von beiden Seiten zu einem Referendum über den künftigen Weg Polens erklärt worden. Das führte zur höchsten Beteiligung, die es bei demokratischen Wahlen in Polen je gegeben hat – über 74 Prozent gingen zu den Urnen. Zum Vergleich: Bei der Parlamentswahl 2015 lag die Beteiligung bei lediglich 51 Prozent, selbst im Wendejahr 1989 nur bei 62,7 Prozent. Profitiert hat von dieser Mobilisierung diesmal eindeutig die Opposition.

Warteschlange vor Wahllokal in Polen
Reuters/Kacper Pempel
Die Wahlbeteiligung betrug 74,4 Prozent – der höchste Wert seit dem Ende des Kommunismus 1989

Referendum der Regierung gescheitert

Als Flop erwies sich dagegen das Referendum, bei dem die PiS-Regierung parallel zur Wahl unter anderem über die EU-Migrationspolitik abstimmen lassen wollte. Die Opposition sowie politische Beobachterinnen und Beobachter hatten im Vorfeld harsche Kritik an den suggestiv formulierten Fragen geübt. Das zeigte offenbar Wirkung: An der Volksabstimmung beteiligten sich nur knapp 49 der Wahlberechtigten. Sie ist damit nicht bindend, notwendig wären mindestens 51 Prozent gewesen.

Duda am Ruder

Der nächste Schritt liegt nun bei Staatspräsident Andrzej Duda. Er muss innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments einberufen und einem Politiker oder einer Politikerin den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Es ist in Polen politische Gepflogenheit, dass diesen Auftrag ein Vertreter oder eine Vertreterin des stärksten politischen Lagers bekommt.

Deshalb wird davon ausgegangen, dass Duda zunächst einen PiS-Politiker beauftragen wird – aller Wahrscheinlichkeit nach den bisherigen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Erst nach einem Scheitern liegt das Vorschlagsrecht für einen Ministerpräsidenten im Parlament. Das könnte den Prozess der Regierungsbildung um mehrere Wochen hinauszögern und Instabilität bringen.

Polens Premier Mateusz Morawiecki
Reuters/Agencja Wyborcza/Pawel Malecki
Morawiecki könnte zwar vorerst mit der Regierungsbildung beauftragt werden, Erfolg wird ihm nicht beschieden sein

Spiel auf Zeit

Tusk appellierte am Dienstag an Duda, den Auftrag rasch zu vergeben. „Die Menschen warten auf die ersten Entscheidungen, die die Konsequenzen aus dieser Wahl sind“, sagte Tusk in einer per Facebook verbreiteten Videobotschaft. Die Parteien, die als Sieger aus der Wahl hervorgegangen seien, seien „in ständigem Kontakt und jederzeit bereit, die Regierung zu übernehmen“, betonte er.

Auch von anderen Seiten kam die Aufforderung an Duda, den Regierungsauftrag gleich an die drei Oppositionsparteien zu übertragen, statt durch eine Beauftragung der PiS auf Zeit zu spielen. Doch Duda fühlt sich der PiS verbunden. Er wurde von ihr im Jahr 2015 für die Präsidentschaftswahl aufgestellt und hat in den vergangenen Jahren die Politik der Partei von Jaroslaw Kaczynski offen unterstützt. Mit seinem Veto kann er der neuen Regierung das Leben schwermachen. Die nächste Präsidentschaftswahl steht erst 2025 an.

Polens Präsident Andrzej Duda
Reuters/Agencja Wyborcza/Jakub Porzycki
Duda hat die PiS bei der Umbildung des Staates unterstützt

PiS engt Spielraum ein

„Diese Zeit wird die PiS nutzen. Sie wird nach Wegen suchen, doch noch an der Macht zu bleiben – und man sollte nicht darauf vertrauen, dass sie nur legale Mittel in Betracht zieht. Schon als sie zu Beginn ihrer Regierungszeit vor acht Jahren das Verfassungsgericht unter ihre Kontrolle brachte, hat sie mit Unterstützung Dudas gegen Gesetze verstoßen. Gleichzeitig wird sie versuchen, für den Fall ihres Scheiterns in der Innen- wie in der Europapolitik noch Fakten zu schaffen, die einer künftigen Regierung möglichst wenig Bewegungsfreiheit lassen“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“).

Die Opposition hatte im Wahlkampf versprochen, das Verhältnis zur EU wieder zu verbessern. Es ist seit Jahren stark belastet durch Streit über die Justizreform, über Rechte von Homosexuellen sowie wegen Migrationsfragen. Seit drei Jahren warten die Polen auf die Auszahlung von 35 Milliarden aus dem EU-Wiederaufbaufonds, die von der Kommission wegen der Rechtsstaatsprobleme eingefroren wurden.

An der Macht, aber ohne Macht

„Es wäre ein bitteres Paradoxon, wenn die Freigabe des Geldes noch lange auf sich warten ließe, da die von PiS gestellten Blockaden die notwendigen und von der neuen Regierung gewollten Reformen verlangsamten“, schrieb Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros und Senior Policy Fellow der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in einem Gastbeitrag für die „Zeit“.

Genau das stehe aber zu erwarten, hieß es in der „Zeit“: „Die PiS-Partei wird noch lange an den Hebeln der Macht sitzen. Sie kontrolliert die wichtigsten Staatsorgane, den Verfassungsgerichtshof, das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die Staatsanwaltschaft, das Justizsystem und die Nationalbank. Die Amtszeiten von vielen loyalen Amtsträgern sind verlängert worden, sodass sie nicht einfach von ihren Positionen entfernt werden können. Sie werden der neuen Führung Hindernisse in den Weg legen können. (…) Die neue Regierung wird an die Macht kommen, ohne die volle Macht ausüben zu können.“