Sahra Wagenknecht
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Parteigründung

Wagenknecht wagt den Absprung

Deutschland bekommt mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ eine neue Partei. Der Bruch zwischen der Linken und ihrer bisher bekanntesten Politikerin ist damit offiziell und endgültig. Schon seit Jahren hat Wagenknecht in nahezu allen relevanten Bereichen das Gegenteil dessen vertreten, was offizielle Parteilinie ist. Nicht nur deshalb weckt die Parteigründung großes Interesse.

Wagenknechts Büro bestätigte am Donnerstag, dass am Montag zunächst die Gründung des Vereins „BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ öffentlich vorgestellt werde – des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“. Dieser Verein ist bereits seit einigen Wochen registriert und gilt als Vorstufe zur Parteigründung.

Wagenknecht hat immer wieder gesagt, sie halte eine neue Partei für wünschenswert und nötig. Eine öffentliche Festlegung scheute die 54-Jährige aber bisher. Mit der Linken hat sie sich in wichtigen Punkten wie der Migrations- und der Klimapolitik inhaltlich längst entzweit. Öffentlich sagte Wagenknecht zuletzt, ihre Verbindung mit der Linken sei für sie abgehakt. Gegen sie läuft ein Parteiausschlussverfahren.

Wagenknecht will „politische Leerstelle füllen“

Wagenknecht will nach eigenen Angaben eine politische Leerstelle füllen. „Ich spüre, dass es ganz viele gibt, die sich eigentlich von keiner Partei mehr vertreten fühlen“, sagte die 54-Jährige am Donnerstagabend bei einer Lesung in Halle/Saale. Schlechte Wahlergebnisse der Linken hätten eine Leerstelle hervorgebracht. Jene Leerstelle tue einer Demokratie nicht gut, so Wagenknecht. „Das führt dazu, dass Menschen wütend werden.“ Es sei an der Zeit, Neues zu schaffen. Wagenknecht bestätigte damit erstmals öffentlich ihren Entschluss, eine eigene Partei zu gründen.

Über die Gründung einer Partei habe sie schon einige Monate nachgedacht, wollte jedoch nichts überstürzen, sagte Wagenknecht. „Es dauerte so lange, weil man eine Partei nicht alleine gründen kann.“ Es brauche Mitstreiter, ein gutes Team. „Man darf ja so was nicht leichtfertig auf den Weg bringen. Wenn, muss es so gut sein, dass es ein Erfolg werden kann. Und das hoffe ich jetzt.“ Die Linke sei nicht ihr politischer Gegner. „Ich bedauere, dass die Partei jetzt in diesem Zustand ist.“

Kritik an „Egotrip“

Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler warf Wagenknecht einen „Egotrip“ vor. Wissler sagte am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“, sie halte die Gründung einer Konkurrenzpartei für völlig verantwortungslos. „Angesichts der verheerenden Politik der Ampel“ müsse eine linke Bundestagsabgeordnete Opposition gegen die Bundesregierung machen und Alternativen vorlegen.

Parteivorsitzende Janine Wissler (Die Linke)
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Wissler ist eine parteiinterne Kritikerin los – möglicherweise aber auch den Fraktionsstatus

Vizechefin Nicole Gohlke forderte im Gespräch mit der dpa alle, die in einem solchen Verein am Aufbau eines anderen Parteiprojekts arbeiten, auf, „über die Linke erworbene Mandate niederzulegen“. „Das wäre ein Gebot des Anstands, denn die Menschen haben die Linke gewählt.“ Zudem schließe sich die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Linken und in einem Verein zum Aufbau eines anderen Parteienprojekts politisch aus.

Linker droht Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag

Die mögliche Spaltung ist vor allem für die Linke-Bundestagsfraktion problematisch. Sie hat nur noch 38 Abgeordnete. Träten Wagenknecht und ihre acht bis zwölf Unterstützer und Unterstützerinnen aus, würde es für die Linke nicht mehr für eine eigene Fraktion reichen. Man könnte nur noch als Gruppe weitermachen – oder eben als zwei konkurrierende Gruppen. Ohne Fraktionsstatus ginge finanzielle staatliche Unterstützung verloren, es gäbe weniger Redezeit und weniger parlamentarische Rechte.

Das könnte ein Grund sein, warum Wagenknecht zunächst den Verein auf den Weg bringt: Möglicherweise wollen sie und ihre Unterstützer bis zur Parteigründung noch in der Fraktion bleiben, mit dem Argument, da stünden auch eine Menge Mitarbeiterjobs auf dem Spiel und die könnte man so noch eine Weile retten. Ob die Hängepartie weiter politisch durchzuhalten ist, scheint aber sehr fraglich. Wissler sagte in der ARD, wenn es die Fraktion nicht mehr gebe, dann sei das allein die Verantwortung von Wagenknecht und ihrer Unterstützer. Einige davon sind am Montag bei der Vorstellung ihrer Pläne auch gleich dabei, wie aus der entsprechenden Terminankündigung am Donnerstag hervorging.

Wählerpotenzial theoretisch vorhanden

Die mögliche Parteigründung weckt nicht nur ob der jahrelangen parteiinternen Selbstzerfleischung großes Interesse, sondern auch, weil sie die politische Landschaft theoretisch verschieben könnte. Einer Wagenknecht-Partei wird ein vergleichsweise hohes Wählerpotenzial eingeräumt. In einer YouGov-Umfrage hatte Ende September fast jeder oder jede dritte befragte Wahlberechtigte (29 Prozent) im Osten des Landes angegeben, sich grundsätzlich vorstellen zu können, eine neue Partei unter Führung Wagenknechts zu wählen. Im Westen waren es 19 Prozent.

Solche Umfragen sagen aber wenig darüber aus, wie viele Menschen sich tatsächlich so entscheiden würden. Auch ist bisher nicht völlig klar, wofür die Partei stehen soll. Wagenknecht hat sich als scharfe Kritikerin der Ukraine-Politik der Bundesregierung und der Energiesanktionen gegen Russland positioniert. Sie ist für den Import von billigem Erdgas und gegen allzu strikte Klimaschutzpolitik. Sie plädiert zudem für eine Begrenzung der Migration. Die Grünen hat sie wiederholt als die gefährlichste Partei bezeichnet.

Politikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen gehen davon aus, dass ihr Projekt auch der AfD Stimmen streitig machen könnte. Die Rechtspartei hofft darauf, im kommenden Jahr in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erstmals in Deutschland Landtagswahlen zu gewinnen. Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke nahm Wagenknechts Schritt jedenfalls zur Kenntnis. Der „Name ‚Bündnis Sahra Wagenknecht‘ irritiert, wirft Fragen auf“, schrieb Höcke auf Twitter (X). „Drückt er Selbstbewusstsein aus oder entlädt sich hier eine narzisstische Störung?“

Turbulente Politlaufbahn

Für Wagenknecht wäre eine eigene Partei eine weitere Station in einem bewegten politischen Leben. Die studierte Volkswirtin gehörte von 1991 – mit Unterbrechungen – dem Parteivorstand von PDS und Linker an. 2004 zog Wagenknecht für fünf Jahre ins Europaparlament. Sie war stellvertretende Bundesvorsitzende und Fraktionsvize, von 2015 bis 2019 führte sie dann mit Dietmar Bartsch die Linke-Bundestagsfraktion. Doch der Weg dahin war steinig, lange hatte sie einen schweren Stand in der Partei: Die in der DDR aufgewachsene Wagenknecht war als Mitglied der Kommunistischen Plattform all jenen ein Dorn im Auge, die die Linke auf Regierungskurs trimmen wollten.

Parteiintern sorgte sie 2018 für Aufruhr, als sie mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine das „Aufstehen“-Bündnis auf die Beine stellte – um Menschen des gesamten linken Spektrums zu vereinen. Der Erfolg blieb aber aus. Überraschend kündigte Wagenknecht dann Anfang 2019 aus gesundheitlichen Gründen ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Fraktionsvorsitzende an.

Manifest gegen „Lifestyle-Linke“

Ihre Parteifreunde nervt Wagenknecht seit Jahren mit Forderungen nach Zuzugsbegrenzungen – was viele Linke, die sich um Offenheit gegenüber Flüchtlingen bemühen, als Provokation empfinden. Streit um Wagenknecht gab es auch vor der Bundestagswahl 2021. Nach ihrer Nominierung durch den nordrhein-westfälischen Landesvorstand wurden Passagen ihres Buchs „Die Selbstgerechten“ bekannt, in dem sie mit den „Lifestyle-Linken“ in der Partei abrechnete. Ein Antrag auf Parteiausschluss scheiterte aber.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
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Wagenknechts Auftritt mit Alice Schwarzer für ein Ende der Waffenlieferungen in die Ukraine trug ihr reichlich Kritik ein

Im September 2022 löste Wagenknecht eine heftige Kontroverse aus, als sie der deutschen Regierung „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg“ gegen Russland vorwarf. Die überwiegende Mehrheit der Linken hatte sich da bereits deutlich gegen die russische Aggression ausgesprochen. Anfang 2023 veröffentlichte Wagenknecht dann mit der Journalistin Alice Schwarzer ein „Manifest für Frieden“, in dem sie ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und Friedensverhandlungen forderte. Nach einer „Friedenskundgebung“ in Berlin wurde der Vorwurf laut, die beiden Initiatorinnen würden sich zu Helferinnen von Wladimir Putin machen.

„Man kann allen Beteiligten nur gratulieren“

In deutschen Medien wurde Wagenknechts Schritt fast schon mit Erleichterung aufgenommen: „Für ihre bisherige Partei ist die Trennung zweifellos eine Gefahr, aber auch eine Chance. Denn Wagenknecht und die Linke – das passte schon lange nicht mehr zusammen“, kommentierte die „Zeit“. Ähnlich hieß es in der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“): „Der Bruch zwischen der Linken und ihrer bislang bekanntesten Politikerin ist damit offiziell und endgültig. Und dazu kann man allen Beteiligten nur gratulieren. Es geht endlich auseinander, was längst nicht mehr zusammengehört.“