Händels „Theodora“: In Unterwäsche ins Cafe Central

Die Christenverfolgung zieht sich wie ein Leitmotiv durch das neue Premierenprogramm des Theaters an der Wien in seiner bisherigen Saison am Gastspielort MuseumsQuartier. Nach Gaetano Donizettis „Die Märtyrer“ brachte man gestern Abend einen sehr neuen Blick auf Georg Friedrich Händels Oper „Theodora“ auf die Bühne.

Händels Werk war nach den großen Erfolgen des Komponisten in der Mitte des 18. Jahrhunderts beim Londoner Publikum kolossal durchgefallen. Intendant Stefan Herheim nimmt sich als Regisseur das Stück um den Glaubenstod der Heiligen Theodora als Vorlage, mit der es zu arbeiten gilt: Eigenwillig verpflanzt er das Setting aus dem Römischen Reich ins Wiener Cafe Central und erzeugt damit einige nicht unpikante Bedeutungsverschiebungen.

Es bahnt sich etwas an hinter der Gugelhupftheke

Der römische Stadthalter Valens (Evan Hughes), der ein Opferfest zugunsten des Kaisers anzuordnen hat, ist der Kaffeehauschef im dunklen Anzug. Und die römischen Offiziere wie Septimus (David Portillo) und Didymus (Christopher Lowrey) sind die Kellner im Livree. Die Kellner mögen so etwas wie Seismographen der Stimmung beim Kaffeehauspublikum sein – und das Publikum, es ist der in Zeitungen blätternde und am Handy surfende Wiener Arnold Schoenberg Chor im klassischen Touristenoutfit. Beide Kellner fühlen, dass eine Wechselstimmung im Land aufzieht. Während sich Didymus von dieser Stimmung wird anstecken lassen, bleibt Septimus den Gesetzen des Reiches treu.

Cafe Central auf der Bühne
Monika und Karl Forster
Das Cafe Central als eigenwilliges Setting für ein Toleranzstück

Die Wechselstimmung geht hin zum Christentum – und die Erleuchtung der Kaffeehausbesucher, die sich vor Kurzem noch in den Gugelhupf mit Schlag vertieft hatten, muss sich deutlich vollziehen. Plötzlich weg von den irdischen Gelüsten, lautet das Motto.

Wer ein Christ wird, der legt ab

Als würde der lange Schatten von Martin Kusej über dieser Inszenierung lasten, passiert das Unvermeidliche: Alle, die Christen sind, müssen sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. So auch die Kellnerinnen Theodora (Jacquelin Wagner) und Irene (Joulie Boulianne), die im weißen Seidennegligee von der wahren Sendung und der Liebe Gottes singen. Das kann keinem Römer gefallen – und so wird diese Oper tragisch enden. In der ersten Stunde durfte – ja musste – man Angst haben, dass da eine Inszenierung kräftig an die Wand fahren würde, denn wie stellt man sich die Verkündung eines Todesurteils mitten in den Gugelhupfvitrinen vor? Und was soll man von Wiener Kaffeehauskellnern halten, die gegen alle Lebenserfahrungen dauernd vom „Erbarmen“ singen?

Arnold Schönberg Chor in Unterwäsche
Karl und Monika Forster
Nackert ins Hawelka, in der Unterwäsche ins Central: Der einmal mehr überzeugende Arnold Schoenberg Chor ist erprobt im Singen in Socken und anderen Outfits

Handwerk Marke Herheim

Herheim nützt all diese Provokationen und das Spiel mit den prekären und abgegriffenen Metaphern, um eigentlich das zu demonstrieren, was der Auftrag des Hauses sein soll: Mit Handwerk alte, hölzerne Stoffe neu zu beleben. Tatsächlich wird aus dem elegischen Rezitativchoralwerk ein Stück Musiktheater, das im zweiten Teil ästhetisch aussieht wie das Comeback von Tina-Turner- oder Cindy-Lauper-Musikclips aus der Mitte der 1980er Jahre. Im Zentrum erlebt man aber ein elegisches, musikalisch wie sängerisch glückendes Stück auf die Tugenden der Vergebung und Toleranz. Lowrey als Didymus ist ein sicherer wie nuancierter Countertenor, der die Herzen des Publikums komplett auf seine Seite zu ziehen vermag. Ebenso überzeugend Wagner als Theodora.

Bejun Mehta, selbst als Countertenor weltbekannt, führt das La Folia Barockorchester im Sinne der Sänger und ganz im Dienst einer Nuancierung der Vorlage. Eine moderne Oper wird aus Händels oratorienartigen Werken ohnedies nie – aber mit Verlangsamung, Schaffung intimer Räume und schließlich choralem Schwung gelingt ein Abend, der trotz mancher Längen eigentlich ein großes Fest auf das Musiktheaterhandwerk ist.

Zum Ende gibt es dann noch einen Kunstgriff, der an den Film „Being John Malkovich“ erinnern darf. Pathos und Hinterlist, diese eigenwillige Paarung schafft dieser Abend, der das Publikum mit Geduld auf seine Seite zieht.