Israelische Soldaten beziehen Stellung an der Grenze zum Gazastreifen
APA/AFP/Thomas Coex
Sorge um Geiseln

Bremse für Israels Bodenoffensive

Seit Tagen wird mit einer israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen gerechnet. Abgesehen von einer Spezialoperation in der Nacht auf Montag blieb der Einsatz von Bodentruppen aber bisher aus. Ein Grund dafür ist die Sorge um das Schicksal der 222 Geiseln in Händen von Hamas-Terroristen. Offenbar drängt die US-Regierung Israel diskret zu mehr Zeit für Verhandlungen. Auch Angehörige machen Druck.

Am Wochenende äußerte sich die Armee erneut entschlossen, im Kampf gegen die Hamas in die „nächste Phase“ eintreten zu wollen. „Der Befehl wird kommen“, hatte Israels Verteidigungsminister Joav Galant zuvor gesagt. Doch ein Einmarsch in den Gazastreifen scheint schwierig. In den vergangenen zwei Wochen wurden verschiedene Gründe für den Aufschub angeführt.

Zunächst waren es schlechte Wetterbedingungen, dann die noch ausstehende Evakuierung grenznaher israelischer Städte und Dörfer sowie die Umsiedlung Hunderttausender Zivilistinnen und Zivilisten vom Norden in den Süden des Gazastreifens und schließlich der Besuch von US-Präsident Joe Biden in der Region. Dieser warnte Israels Regierung vor den Folgen einer Bodenoffensive: „Lassen Sie sich nicht von ihrer Wut auffressen“, sagte er und erinnerte an die Fehler der USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001.

Mehr Zeit für Verhandlungen

Einem Bericht der „New York Times“ zufolge legten die USA Israel nahe, mit der Bodenoffensive noch abzuwarten, um mehr Zeit für Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln zu gewinnen. Am Freitag hatte die Hamas überraschend zwei US-Geiseln freigelassen. Am Montag folgten zwei weitere. Die erste Freilassung habe die US-Regierung angespornt, Israel zu einer Verschiebung der Bodenoffensive zu raten.

Die USA reagierten ausweichend auf den Bericht. Natürlich spreche man mit den Israelis über die Auswirkungen von Entscheidungen auf dem Schlachtfeld, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag. Dabei gehe es auch darum, was alles schiefgehen könne. Letztlich gelte aber, dass das israelische Militär und die politische Führung des Landes die Entscheidungen träfen. Kirby sagte zudem, die US hätten „einige“ Militärberater nach Israel geschickt. Die Offiziere hätten Erfahrung mit „der Art von Operationen, die Israel ausführt und in Zukunft ausführen könnte“.

Israelische Panzer an der Grenze zum Gazastreifen
Reuters/Violeta Santos Moura
Israelische Streitkräfte an der Grenze zum Gazastreifen warten auf ihren Einsatz

Israel räumte nicht ein, sich von der Bodenoffensive abhalten zu lassen. „Die Hamas möchte, dass wir uns mit den Entführten beschäftigen und unser Militär nicht reingeht, um ihre Infrastruktur zu eliminieren. Das wird nicht passieren“, sagte Katz der „Bild“. Doch auch in Israel wächst der Druck auf die Regierung, über die Freilassung der Geiseln zu verhandeln. Erst am Sonntag traf eine Gruppe von Familienangehörigen von Geiseln den israelischen Staatspräsidenten Jizchak Herzog, während eine Menschenmenge sich versammelt hatte und gemeinsam trauerte. „Bringt sie nach Hause“, stand auf Schildern der protestierenden Menschen.

Katar als Unterhändler

Die Gespräche hinter den Kulissen liefen hauptsächlich über Katar, wie das Außenministerium in Doha bestätigte. „Wir werden unseren Dialog sowohl mit den Israelis als auch mit der Hamas fortsetzen, in der Hoffnung, die Freilassung aller zivilen Geiseln jeder Nationalität zu erwirken“, hieß es. Seitdem kursierten Gerüchte über weitere, angeblich bevorstehende Geiselbefreiungen.

Möglicherweise steckten Pläne für einen Gefangenenaustausch dahinter. Walid Kilani, der Hamas-Sprecher im Libanon, bestätigte gegenüber dem „Spiegel“ ein solches Motiv generell: Man habe Geiseln genommen, „um sie gegen die 5.200 politischen Gefangenen auszutauschen, die in Israels Gefängnissen sitzen“. Zivilisten würden eher freigelassen als Soldaten, sagte Kilani.

Zerstörte Gebäude in Zahra City
Reuters
Bisher führen israelische Streitkräfte vor allem Luftschläge gegen Ziele im Gazastreifen durch

Premier Benjamin Netanjahu hatte die Bodenoffensive angekündigt, nachdem die Hamas am 7. Oktober bei Terroranschlägen auf israelischem Gebiet Hunderte Menschen getötet und mehr als 222 verschleppt hatte. Unter ihnen sind nach Angaben des israelischen Militärs fast 30 Kinder. Tausende Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge wurden an der Grenze zum Gazastreifen zusammengezogen und rund 360.000 Reservisten mobilisiert.

Schwieriger Einsatz für Bodentruppen

Für sie birgt ein Bodeneinsatz ein hohes Risiko, denn es erwartet sie ein Kampf in einem sehr dicht besiedelten Gebiet mit unterirdischen Tunnelsystemen. Da es sich bei der Hamas um keine Armee, sondern eine Terrorgruppe handle, sei für die Truppen zudem nur schwer zu erkennen, wer Terrorist ist und wer Zivilist. Deshalb dürfte eine Bodenoffensive „ein schwieriger Einsatz werden“, warnte der israelische Politologe und Experte für Terrorismusbekämpfung Eli Karmon.

Das Gebot der Stunde seien daher flächendeckende Luftangriffe, so Karmon. Die Luftstreitkräfte würden versuchen, „eine Art Autobahn in den Gazastreifen zu bomben, damit man ungehindert tiefer in das Gebiet hineinkommt“. Zu dieser Theorie werde man sich nicht äußern, sagte Militärsprecher Arje Schalicar und ergänzte: „Wie Israel bei der Auslöschung der Hamas militärstrategisch vorgeht, wird nicht kommentiert.“

Gefahr eines Zweifrontenkrieges

Mit einem Aufschub der Bodenoffensive wollten die USA außerdem mehr Zeit gewinnen, um sich für Angriffe proiranischer Gruppen auf US-Ziele in der Region vorzubereiten, schrieb die Zeitung weiter. Solche Attacken dürften zunehmen, sobald Israels Truppen in den Gazastreifen einrückten. Die US-Regierung stelle keine Forderungen an Israel und unterstütze nach wie vor die Bodeninvasion und Israels Ziel, die Hamas auszuschalten, hieß es laut der „New York Times“ vonseiten der US-Regierungsbeamten.

Israel schickt Bodentruppen nach Gaza

Vereinzelte israelische Bodentruppen sind dem israelischen Militär zufolge in der Nacht auf Montag in den Gazastreifen vorgedrungen, um gegen palästinensische Kämpfer vorzugehen und nach den von der Hamas entführten Geiseln zu suchen.

Eine weitere Unbekannte, die Israel bei einer möglichen Bodenoffensive bedenken müsse, ist das Verhalten der libanesischen Hisbollah, die von westlichen Staaten ebenso als Terrororganisation eingestuft wird. Schon seit Tagen kommt es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon immer wieder zu kleineren Gefechten, bei denen auf beiden Seiten bereits einige Menschen ums Leben kamen. Wenn Israels Streitkräfte im Gazastreifen in den Kampf ziehen, könnte die Hisbollah den jüdischen Staat im Norden unter schweren Beschuss nehmen.

Spezialeinsatz im Gazastreifen

Nach Angaben des israelischen Militärsprechers Daniel Hagari führten israelische Spezialeinheiten in der Nacht auf Montag begrenzte Angriffe auf den Gazastreifen durch. Dabei handle es sich „um Razzien, bei denen Terroristentrupps getötet werden, die sich auf die nächste Phase des Krieges vorbereiten“. Das israelische Militär sei „tief“ in den Gazastreifen eingedrungen, sagte Hagari. Dabei sei auch alles durchsucht worden, was auf Informationen über die Vermissten und Geiseln hinweisen könne.

Die Hamas hatte bereits am Sonntag erklärt, dass ihre Kämpfer gepanzerte Einheiten angegriffen hätten, die in ein im Süden des Gazastreifens gelegenes Gebiet eingefallen seien. Es sei gelungen, Ausrüstung des israelischen Militärs zu zerstören. Zu solchen möglichen Verlusten nahm das Militär nicht Stellung. Die Angaben lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen.