Ein Bauer trägt Reissetzlinge über ein Reisfeld
Getty Images/Martin Puddy
Exportverbot und Klimakrise

Neue Reiskrise droht

Eine neue Reiskrise droht, wie die „Financial Times“ („FT“) schreibt. Die Hintergründe dafür sind vielfältig: Indien, der weltgrößte Reisexporteur, hat sein im vorigen Jahr verhängtes Exportverbot für diverse Reisarten kürzlich aus politischen Gründen weiter verschärft, der Ukraine-Krieg spielt weiterhin eine Rolle, und auch die Klimakrise hinterlässt bei den Ernten ihre Spuren.

Der starke Preisanstieg für dieses alltägliche Grundnahrungsmittel begann bereits letztes Jahr, als die indische Regierung von Premierminister Narendra Modi Exportbeschränkungen für Bruchreis verhängte – eine billige Sorte, die vor allem von ärmeren Ländern von Bangladesch bis Benin importiert wurde, so die „FT“. Seitdem ist allerdings keine Entspannung beim Preis für dieses Nahrungsmittel Hunderter Millionen, wenn nicht von Milliarden Menschen in Sicht.

Denn zuletzt verkündete die Regierung in Neu-Delhi einen Mindestpreis für Exporte von Basmatireis. Basmatireis, der weniger als 1.200 Dollar (1.110 Euro) pro Tonne koste, darf demzufolge vorerst nicht mehr exportiert werden, wie unter anderem die „Hindustan Times“ Ende August berichtete. Und auch 20 Prozent Zoll auf Parboiled-Reis werde bis März verlängert, hieß es weiter.

Reisernte in Indien
AP/Anupam Nath
Ein Mann bei der Reisernte in Indien

Hoffen auf Zusatzerträge

„Es ist hart, wenn ein Land, auf das 40 Prozent des Welthandels entfallen, ein Verbot auf die Hälfte seiner Exporte und Zölle auf die andere Hälfte verhängt“, so Joseph Glauber von der Denkfabrik für Ernährungssicherheit, dem International Food Policy Research Institute (IFPRI), ehemaliger Chefökonom des US-Landwirtschaftsministeriums.

Jetzt, da die Reisernte in Indien im Gange ist, hoffen die von Indien abhängigen Importländer allerdings auf höhere Erträge als erwartet und darauf, dass diese möglichen, aber unwahrscheinlichen Zusatzerträge die indische Regierung dazu veranlassen könnten, ihre Beschränkungen zu lockern.

Lebensmittelpreise als Modis Wahlzuckerl

Vor allem die indische Innenpolitik könnte dieser Hoffnung schnell eine Strich druch die Rechnung machen, stehen in dem Land doch Wahlen bevor. Steigende Nahrungsmittelpreise sind seit Langem, seit Jahrzehnten, ein politisch heikles Thema in Indien, und besonders Reis ist dabei wichtig. Es ist das am häufigsten konsumierte Grundnahrungsmittel. Modi mit seiner Bharatiya Janata Party hat die Kontrolle der Lebensmittelpreise zu einer Priorität gemacht. Sie sind ein zentrales Thema seiner Politik – auch langfristig –, und sollen für die Bevölkerung auch einer der Anreize sein, die Regierung wieder zu wählen, wie die „FT“ schrieb.

Der indische Premierminister Narendra Modi
AP/Manish Swarup
Der indische Premierminister Narendra Modi (M.) mit Mitgliedern seines Kabinetts bei einer Rede Mitte September

Nach Angaben der indischen Regierung waren die Getreidepreise im Jahr vor Einführung des Exportverbots um 11,5 Prozent gestiegen, wobei auch die Exporte im gleichen Zeitraum stark anstiegen waren, so die „FT“. Die Preise für andere ebenfalls äußerst wichtige indische Grundnahrungsmittel wie Tomaten und Zwiebel sind nun in den letzten Monaten gestiegen, da eine unbeständige Monsunzeit die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigt hat, schrieb die Zeitung weiter.

„Es werden zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen, da die Wahlen in einigen Bundesstaaten und nächstes Jahr eine nationale Wahl vor der Tür stehen“, so Avinash Kishore von IFPRI in Neu-Delhi zu der „FT“. Doch auch andere Faktoren beeinflussen die Nahrungsmittelsicherheit wie etwa die weltweit steigenden Ölpreise. Auch damit müsse die indische Politik vor den Wahlen umgehen.

2008: Dominoeffekt verdreifachte Preise

Auch für nächstes Jahr macht man sich bereits über die Ernten Gedanken. Das Wetterphänomen „El Nino“, das mit Hitze und Dürre im Pazifischen Ozean einhergeht, droht auch die Produktion im kommenden Jahr zu beeinträchtigen, da die Anbaubedingungen möglicherweise zu trocken sind, so erste vage Prognosen.

Analysten und Expertinnen warnen davor, dass, wenn Indien seine derzeitigen Beschränkungen aufrechterhält und auch andere Reisproduzenten folgen, die Welt auf dem Weg zu einer Wiederholung der Reiskrise von 2008 ist, so die „FT“. Damals folgte eine Art Dominoeffekt bei protektionistischen Maßnahmen. Innerhalb eines halben Jahres verdreifachte sich darauf der Reispreis und kurbelte die Inflation weltweit an. Unruhen waren die Folge in Südasien, der Karibik und in Nordafrika, wo die Reiskrise als eine der Ursachen für den drei Jahre später sich entzündenden arabischen Frühling gilt, so die Zeitung weiter.

Überschwemmtes Reisfeld nach einem Monsunregen in Pakistan
AP/Zahid Hussain
Extremwetter führt auch bei Reis zu Ernteausfällen

Reiserträge stagnieren durch Klimakrise

Eine Reiskrise könnte jetzt allerdings noch schlimmer ausfallen, so die Zeitung, und sie nannte auch Gründe dafür: die durch das Bevölkerungswachstum gestiegene Nachfrage gepaart mit den Auswirkungen eines zunehmend extremer werdenden Wetters aufgrund der Klimakrise. Obendrein ist die globale Lebensmittelsituation angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ohnehin seit Längerem angespannt, was Getreidepreise in die Höhe getrieben hat.

Nach Jahrzehnten des schnellen Wachstums der Ernten dank der Entwicklung neuer Reissorten stagnieren die Erträge in den großen Reisanbauländern Südostasiens, so eine Studie der Fachzeitschrift „Nature Food“, die die „FT“ zitierte. Weltweit stiegen die Erntezuwächse zwischen 2011 und 2021 im Durchschnitt um 0,9 Prozent pro Jahr, was einer Verlangsamung gegenüber 1,2 Prozent pro Jahr zwischen 2001 und 2011 entspricht, wie auch Daten der UN0 zeigen.

Der Hauptgrund dafür ist die Klimakrise. Da Reis in heißen Klimazonen wächst – 90 Prozent des weltweiten Reises werden in Asien produziert –, wird oft angenommen, dass ein paar zusätzliche Grad keine Rolle spielen, so der Klimaforscher Bjoern Ole Sander vom International Rice Research Institut (IRRI) mit Sitz in Thailand. Das sei jedoch nicht der Fall. Ab bestimmten Temperaturen sinken die Reiserträge, so Sander. Das Getreide reagiere auch besonders empfindlich auf nächtliche Hitze.

WFP: Ärmere Länder Opfer der indischen Reispolitik

Verstärkt wird die derzeitige Entwicklung auch dadurch, dass auch außerhalb Indiens die Preise steigen. So sind etwa die Richtpreise in Thailand und Vietnam, den zweit- und drittgrößten Reisexporteuren der Welt,um 14 bzw. 22 Prozent gestiegen, seit Indien sein Verbot verhängt hat. In Nigeria ist der Reispreis im August im Vergleich zum Vorjahr um 46,34 Prozent gestiegen, wie laut „FT“ aus den neuesten Daten der Statistikbehörde des Landes hervorgeht.

Arbeiter tragen importierte Reissäcke in einem Lagerhaus
APA/AFP/Chaideer Mahyuddin
Ein Lagerhaus voll mit Reissäcken

Vor allen ärmere Länder sind die Opfer der indischen Reispolitik, so das UNO World Food Program (WFP). In Togo beispielsweise kamen im Jahr 2022 fast 88 Prozent aller Reisimporte aus Indien, in Benin, dem weltweit größten Importeur von indischem Bruchreis, waren es 61 Prozent.

Arif Husain, Chefökonom des UNO-Welternährungsprogramms, wies darauf hin, dass die Länder, die wahrscheinlich am stärksten betroffen sind, bereits unter einer Vielzahl von anderen Problemen leiden: hohen Lebensmittelpreisen, steigenden Schulden und einer zunehmend schwächelnden Währung. Der Reis als ein Grundnahrungsmittel sei für Millionen und Abermillionen Haushalte nicht mehr erschwinglich, so Husain weiter.

Exportverbote für Reis erst der Anfang?

Die indische Regierung verteidigte wortreich das Verbot als einen notwendigen Schritt, um die inländische Ernährungssicherheit angesichts der besorgniserregenden Inflation und der schlechten Ernten zu schützen. Das Thema Landwirtschaft und Wetter wird angesichts der Klimakrise zunehmend wichtig. Die aktuellen Exportrestriktionen könnten angesichts zunehmend unsicher werdender Ernteergebnisse erst der Anfang im globalen Wettbewerb um günstige Grundnahrungsmittel sein, so Experten und Expertinnen.

Die Furcht vor einer internationalen Krise ist groß: Andere Länder in Asien folgten nämlich bereits dem Beispiel Indiens. Ende August hatte Myanmar, der fünftgrößte Reisexporteur der Welt, angekündigt, den Export von Getreide für „etwa 45 Tage“ zu verbieten. Wenige Tage später führten die Philippinen eine Preisobergrenze für Reis ein, um die steigenden Verbraucherkosten zu dämpfen. Anfang Oktober wurde der Preisdeckel jedoch wieder aufgehoben.

IWF: „Schädlicher Schritt“ Indiens

Der Schritt Indiens hat weltweit Kritik hervorgerufen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) forderte die Regierung in Neu-Delhi auf, den "schädlichen“ Schritt rückgängig zu machen, und die USA und andere Länder bei der Welthandelsorganisation stellten Berichten zufolge die Notwendigkeit von Beschränkungen in Indien infrage, Indiens öffentliche Vorräte seien ihrer Meinung nach ausreichend, schrieb die „FT“.

Andere Kritik argumentiert, dass durch den Exportbann Indiens Ruf als verlässlicher weltweiter Handelspartner leide. Unter Modi versuchte Indien, sich durch den Ausbau der Handelsbeziehungen und das Aushandeln von Freihandelsabkommen mit anderen großen Volkswirtschaften als wirtschaftliche Weltmacht – zumindest in Produktion und Handel – zu etablieren.