Mann mit gerettetem Kind
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
„Erschreckend“

UNICEF beklagt Situation der Kinder in Gaza

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) hat die Zahl der Todesfälle und Verletzungen von Kindern im Gazastreifen als „einfach erschreckend“ bezeichnet. Seit den Terrorangriffen der islamistischen Hamas vor gut zwei Wochen seien bei den Gegenschlägen Israels in Gaza 2.360 Kinder ums Leben gekommen. 5.364 weitere seien verletzt worden, teilte UNICEF Mittwochfrüh unter Berufung auf Berichte mit, ohne die Quellen zu nennen.

„Die Situation im Gazastreifen belastet unser kollektives Gewissen zunehmend“, hieß es in der Presseaussendung von UNICEF. Zudem war von „unerbittlichen Angriffen“ die Rede. Die UNO-Organisation appelliere eindringlich an alle Parteien, einem Waffenstillstand zuzustimmen, humanitären Zugang zu gewähren und alle Geiseln freizulassen.

Die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens – fast 2,3 Millionen Menschen – leide unter akutem Wassermangel, was schwerwiegende Folgen für die Kinder habe, die etwa 50 Prozent der Bevölkerung ausmachten, teilte UNICEF mit. Auch im Westjordanland gab es laut UNICEF einen alarmierenden Anstieg der Opferzahlen, darunter viele Kinder.

Zwei Kinder vor zerstörtem Haus
AP/Mohammed Dahman
Die Kinder im Gazastreifen machen UNICEF-Angaben zufolge etwa 50 Prozent der Gesamtbevölkerung aus

„Die Tötung und Verstümmelung von Kindern, die Entführung von Kindern (es sind wohl die Verbrechen der Hamas gemeint, Anm.), die Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen sowie die Verweigerung des Zugangs für humanitäre Hilfe stellen schwere Verletzungen der Kinderrechte dar“, sagte Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika.

BBC: Krankenhäuser im Notbetrieb

Ein Korrespondent der BBC im Gazastreifen, berichtete, dass die Krankenhäuser mit Ausnahme der Notaufnahme alle Abteilungen geschlossen hätten, da sich die lebenswichtigen Kraftstoffreserven, die den Betrieb aufrechterhalten, dem Ende neigten.

Verletzter Mann mit Kleinkind in Nasser Krankenhausin Khan Yunis
APA/AFP/Mahmud Hams
Die Bevölkerung in Gaza leidet laut UNICEF unter akutem Wassermangel mit schwerwiegenden Folgen vor allem für Kinder

„Die meisten Abteilungen in den Krankenhäusern sind geschlossen, weil sie so wenig Treibstoff wie möglich verbrauchen wollen“, sagte er. Sie würden sich fast ausschließlich auf lebensnotwendige Eingriffe konzentrieren. Es sei eine sehr katastrophale Situation.

Guterres: Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hatte sich am Dienstag zur humanitären Lage im Gazastreifen geäußert. Der Schutz der Zivilbevölkerung bedeute nicht, dass mehr als eine Million Menschen in den Süden fliehen sollen, „wo es keine Unterkünfte, keine Nahrung, kein Wasser, keine Medikamente und keinen Treibstoff gibt, und dann den Süden selbst weiter zu bombardieren“, sagte er bei einer hochrangigen Sitzung des Weltsicherheitsrates in New York.

Guterres-Rede erzürnt Israel

Im aktuellen Nahost-Konflikt sorgt eine Rede von UNO-Chef Antonio Guterres für eine Auseinandersetzung mit Israel.

Offensichtlich an die Adresse von Hamas-Kämpfern gerichtet, verurteilte der UNO-Chef zudem den Missbrauch von Unbeteiligten als menschliche Schutzschilde. „Ich bin zutiefst besorgt über die eindeutigen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die wir in Gaza beobachten“, so Guterres.

„Angriffe der Hamas fanden nicht im luftleeren Raum statt“

Keine Konfliktpartei stehe über dem humanitären Völkerrecht. Guterres verurteilte die Angriffe der Hamas auf Israel erneut auf Schärfste, diese seien durch nichts zu rechtfertigen. Er sagte aber auch: „Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden.“

UN-Generalsekretär Antonio Guterres
AP/Seth Wenig
Guterres verurteilte die Angriffe der Hamas, rief Israel aber auch dazu auf, das Völkerrecht zu befolgen

Das palästinensische Volk sei 56 Jahre lang einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt. Es habe miterlebt, wie sein Land durch Siedlungen dezimiert und von Gewalt heimgesucht worden sei. Es habe erlebt, wie Menschen vertrieben und Häuser zerstört wurden, so Guterres. Die Hamas-Angriffe könnten die „kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen“, so Guterres.

UNRWA: Ohne Treibstoff keine humanitäre Hilfe

Guterres’ Rede schloss sich das UNO-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) an. „Wenn wir keinen Treibstoff bekommen, der uns erlaubt, weiterhin humanitäre Hilfe zu leisten, werden wir nicht in der Lage sein, Menschen in Not über Mittwochabend hinaus zu helfen – und das ist morgen“, sagte Sprecherin Juliette Touma der dpa am Dienstag.

Die UNRWA habe einen ernsthaften Mangel an Treibstoff. Deshalb bitte das Hilfswerk um eine dringende Lieferung in den Gazastreifen, um seinen humanitären Einsatz fortführen zu können. „Wir haben 600.000 Binnenflüchtlinge in mehr als 150 Unterkünften der UNRWA“, sagte Touma weiter. Sie alle hingen von der Unterstützung des Hilfswerks ab.

Hilfslieferungen in kleinen Schritten

Die Hilfslieferungen kommen nur in kleinen Schritten in den Gazastreifen. Ein vierter Konvoi mit 20 Lkws kam in der Nacht auf Mittwoch über die Grenze, wie es aus ägyptischen Sicherheitskreisen hieß. Unter den Hilfsmitteln befänden sich laut Palästinensischer Roter Halbmond und UNRWA Arzneimittel, Säuglingsmilch und Trinkwasser. Insgesamt seien damit seit Beginn der Terrorangriffe der Hamas Güter von 74 Lkws in den Gazastreifen gelangt.

Die Menge der Hilfsgüter reiche aber bei Weitem nicht. Zudem sei nicht der dringend benötigte Treibstoff dabei. Treibstoff wird im Gazastreifen unter anderem zum Betrieb von Stromgeneratoren in Kliniken benötigt und um die Trinkwasserversorgung aufrechtzuerhalten. Israel befürchtet aber, der Treibstoff würde für Hamas-Einrichtungen genutzt werden.

„Ich werde den UNO-Generalsekretär nicht treffen“

Der israelische Außenminister Cohen sagte daraufhin ein in New York geplantes Treffen mit Guterres wegen dessen Äußerungen zu Israels Angriffen im Gazastreifen ab. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums in Jerusalem bestätigte die Absage am Dienstag. Cohen schrieb dazu auf Twitter (X): „Ich werde den UNO-Generalsekretär nicht treffen. Nach dem 7. Oktober gibt es keinen Platz mehr für eine ausgewogene Position.“ Die für das Massaker verantwortliche islamistische Palästinenserorganisation Hamas müsse „vom Erdboden vertilgt“ werden.

der israelische Außenminister Eli Cohen
APA/AFP/Getty Images/David Dee Delgado
Cohen sagte sein Treffen mit Guterres ab

Israels Außenminister lehnte Rufe nach einer Feuerpause im Gazastreifen mit drastischen Worten ab. „Sagen Sie mir: Was ist Ihre verhältnismäßige Reaktion auf die Tötung von Babys, die Vergewaltigung und Verbrennung von Frauen und die Enthauptung eines Kindes? Wie kann man einem Waffenstillstand mit jemandem zustimmen, der geschworen hat, Sie zu töten und die eigene Existenz zu zerstören?“, rief Cohen dem Weltsicherheitsrat am Dienstag in New York empört entgegen.

Israels UNO-Botschafter Erdan reagierte ebenfalls mit Empörung auf Guterres’ Aussage und forderte dessen Rücktritt. Guterres zeige „Verständnis für eine Kampagne des Massenmordes an Kindern, Frauen und alten Menschen“ und sei nicht geeignet, die UNO zu führen, schrieb Erdan Dienstag auf Twitter.

USA auf der Seite Israels

Die USA stärkten Israel den Rücken. „Wir müssen das Recht jeder Nation bekräftigen, sich zu verteidigen und zu verhindern, dass sich solcher Schaden wiederholt“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. „Kein Mitglied dieses Rates, keine Nation in diesem gesamten Gremium könnte oder würde das Abschlachten seines Volkes tolerieren.“

Der palästinensische Außenminister Riad al-Maliki warf unterdessen dem Weltsicherheitsrat Untätigkeit angesichts der eskalierenden Gewalt in Nahost vor. Es falle dem Rat schwer, seiner Aufgabe ohne Selektivität oder Doppelmoral nachzukommen.

Bisher keine Resolution zum Nahost-Krieg

Israel hat seit dem Überfall der Hamas mehr als 1.400 Tote zu beklagen. Über 220 Israelis nahm die Hamas als Geiseln. Bei israelischen Gegenangriffen auf den Gazastreifen starben laut nicht überprüfbaren Hamas-Angaben seither mehr als 6.500 Menschen.

Im UNO-Sicherheitsrat, in dem die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA ein Vetorecht haben, sind bereits zwei Versuche einer Resolution zum Nahost-Krieg gescheitert. Am Donnerstag wird sich die UNO-Vollversammlung mit dem Thema befassen, wobei Russland dem Sicherheitsrat zum neuesten Resolutionsentwurf der USA bereits eine Absage erteilt hat.