Der ständige Vertreter Israels bei der UNO, Gilad Erdan
Reuters/Mike Segar
Nach Guterres-Aussagen

Israel droht UNO mit Visaentzug

Am Dienstagabend ist es wegen einer israelkritischen Äußerung von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres im Weltsicherheitsrat zu einem Eklat gekommen. Guterres verurteilte die Terrorangriffe der islamistischen Hamas auf Israel zwar auf das Schärfste, kritisierte aber Israel Angriffe auf den Gazastreifen und sprach von „eindeutigen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht“. Israels UNO-Botschafter Gilad Erdan forderte Guterres daraufhin zum Rücktritt auf. Am Mittwoch legte er nach und drohte UNO-Mitarbeitern mit Visaentzug.

Guterres zeigte sich am Mittwoch „schockiert über die falschen Darstellungen (…), als ob ich die Terrorakte der Hamas rechtfertigen würde“. Das sei falsch, sagte er vor Journalistinnen und Journalisten zu seiner Aussage vom Vortag über die radikalen Islamisten. „Das Gegenteil war der Fall.“ Er wolle das richtigstellen, vor allem aus Respekt vor den Opfern und ihren Familien.

„Aufgrund seiner Äußerungen werden wir uns weigern, UNO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern Visa zu erteilen“, hatte zuvor Israels UNO-Botschafter Erdan gegenüber dem israelischen Armeeradio in Bezug auf Guterres’ Aussagen vor dem Weltsicherheitsrat angekündigt. Man habe bereits ein Visum für den UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths verweigert.

„Die Zeit ist gekommen, ihnen eine Lektion zu erteilen“, so Erdan. Zunächst war allerdings unklar, was diese Maßnahme, sollte sie denn umgesetzt werden, für die im Gazastreifen und im Westjordanland arbeitenden UNO-Hilfsorganisationen bedeuten würde.

Erdan: UNO hat „falsches Bild“ von der Lage

Israels UNO-Botschafter meinte außerdem, dass es „kein Zufall“ sei, dass Guterres seit Beginn des Krieges nicht nach Israel gekommen sei. Der UNO-Generalsekretär habe seit dem 7. Oktober zweimal um ein Gespräch mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gebeten, dieser haben sich jedoch „geweigert, seinen Anruf anzunehmen“, so Erdan.

Die UNO habe ein „falsches Bild“ von der Lage gezeichnet und Behauptungen über den Gazastreifen akzeptiert, obwohl „jeder weiß“, dass dieser von der Hamas kontrolliert wird. Neben dem Visaentzug sollen die nächsten Schritte darin bestehen, „feindselige UN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter“ aus Israel auszuweisen, die ein falsches Bild von den Geschehnissen zeichnen.

Rücktritt von Guterres gefordert

Im Nahost-Konflikt sorgt eine Rede von UNO-Chef Antonio Guterres für eine Auseinandersetzung mit Israel.

Arabische Liga verteidigt Guterres

Der Chef der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit, nahm Guterres unterdessen in Schutz. Israels Kritik an Guterres bezeichnete der ägyptische Diplomat als einen „offensichtlichen Versuch, zu terrorisieren“. Der Politiker sprach laut einer Mitteilung der Arabischen Liga vom Mittwoch von einem „beschämenden Angriff, der darauf abzielt, jede Stimme zum Schweigen zu bringen, die die Wahrheit sagt“. Er forderte, den UNO-Generalsekretär zu unterstützen.

Guterres hatte am Dienstag im Weltsicherheitsrat gesagt, keine Konfliktpartei stehe über dem humanitären Völkerrecht. Er verurteilte die Angriffe der Hamas auf Israel zwar erneut klar, diese seien durch nichts zu rechtfertigen. Er sagte aber auch: „Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden.“

UN-Generalsekretär Antonio Guterres
AP/Seth Wenig
Guterres verurteilte die Angriffe der Hamas, rief Israel aber auch dazu auf, das Völkerrecht zu befolgen

Das palästinensische Volk sei 56 Jahre lang einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt. Es habe miterlebt, wie sein Land durch Siedlungen dezimiert und von Gewalt heimgesucht worden sei. Es habe erlebt, wie Menschen vertrieben und Häuser zerstört wurden, so Guterres. Die Hamas-Angriffe könnten die „kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen“, so Guterres.

Cohen sagte Treffen ab

Der israelische Außenminister Eli Cohen sagte daraufhin ein in New York geplantes Treffen mit Guterres wegen dessen Äußerungen zu Israels Angriffen im Gazastreifen ab. Cohen schrieb dazu auf Twitter (X): „Ich werde den UNO-Generalsekretär nicht treffen. Nach dem 7. Oktober gibt es keinen Platz mehr für eine ausgewogene Position.“ Die für das Massaker verantwortliche islamistische Palästinenserorganisation Hamas müsse „vom Erdboden vertilgt“ werden.

der israelische Außenminister Eli Cohen
APA/AFP/Getty Images/David Dee Delgado
Cohen sagte sein Treffen mit Guterres ab

Cohen lehnte Rufe nach einer Feuerpause im Gazastreifen mit drastischen Worten ab. „Sagen Sie mir: Was ist Ihre verhältnismäßige Reaktion auf die Tötung von Babys, die Vergewaltigung und Verbrennung von Frauen und die Enthauptung eines Kindes? Wie kann man einem Waffenstillstand mit jemandem zustimmen, der geschworen hat, Sie zu töten und die eigene Existenz zu zerstören?“, rief Cohen dem Weltsicherheitsrat am Dienstag in New York empört entgegen.

USA auf der Seite Israels

Die USA stärkten Israel den Rücken. „Wir müssen das Recht jeder Nation bekräftigen, sich zu verteidigen und zu verhindern, dass sich solcher Schaden wiederholt“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. „Kein Mitglied dieses Rates, keine Nation in diesem gesamten Gremium könnte oder würde das Abschlachten ihres Volkes tolerieren.“

Antony Blinken und Antonio Guterres
Reuters/Shannon Stapleton
US-Außenminister Antony Blinken sichert Israel weiterhin Unterstützung zu

Der palästinensische Außenminister Riad al-Maliki warf unterdessen dem Weltsicherheitsrat Untätigkeit angesichts der eskalierenden Gewalt in Nahost vor. Es falle dem Rat schwer, seiner Aufgabe ohne Selektivität oder Doppelmoral nachzukommen.

Bisher keine Resolution zum Nahost-Krieg

Israel hat seit dem Überfall der Hamas mehr als 1.400 Tote zu beklagen. Über 220 Israelis nahm die Hamas als Geiseln. Bei israelischen Gegenangriffen auf den Gazastreifen starben laut Hamas-Angaben seither mehr als 6.500 Menschen.

Im UNO-Sicherheitsrat, in dem die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA ein Vetorecht haben, sind bereits zwei Versuche einer Resolution zum Nahost-Krieg gescheitert. Am Donnerstag wird sich die UNO-Vollversammlung mit dem Thema befassen, wobei Russland dem Sicherheitsrat zum neuesten Resolutionsentwurf der USA bereits eine Absage erteilt hat.

UNICEF beklagt Situation der Kinder in Gaza

Unterdessen bezeichnete das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) die Zahl der Todesfälle und Verletzungen von Kindern im Gazastreifen als „einfach erschreckend“. Seit den Terrorangriffen der islamistischen Hamas vor gut zwei Wochen seien bei den Gegenschlägen Israels in Gaza 2.360 Kinder ums Leben gekommen. 5.364 weitere seien verletzt worden, teilte UNICEF Mittwochfrüh in einer Presseaussendung unter Berufung auf Berichte mit, ohne die Quellen zu nennen.

Zwei Kinder vor zerstörtem Haus
AP/Mohammed Dahman
Die Kinder im Gazastreifen machen UNICEF-Angaben zufolge etwa 50 Prozent der Gesamtbevölkerung aus

Die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens – fast 2,3 Millionen Menschen – leide unter akutem Wassermangel, was schwerwiegende Folgen für die Kinder habe, die etwa 50 Prozent der Bevölkerung ausmachten, teilte UNICEF mit. Auch im Westjordanland gab es laut UNICEF einen alarmierenden Anstieg der Opferzahlen, darunter viele Kinder. Die UNO-Organisation appelliere eindringlich an alle Parteien, einem Waffenstillstand zuzustimmen, humanitären Zugang zu gewähren und alle Geiseln freizulassen.

„Die Tötung und Verstümmelung von Kindern, die Entführung von Kindern (es sind wohl die Verbrechen der Hamas gemeint, Anm.), die Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen sowie die Verweigerung des Zugangs für humanitäre Hilfe stellen schwere Verletzungen der Kinderrechte dar“, sagte Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika.

BBC: Krankenhäuser im Notbetrieb

Ein Korrespondent der BBC im Gazastreifen, berichtete, dass die Krankenhäuser mit Ausnahme der Notaufnahme alle Abteilungen geschlossen hätten, da sich die lebenswichtigen Kraftstoffreserven, die den Betrieb aufrechterhalten, dem Ende neigten.

Verletzter Mann mit Kleinkind in Nasser Krankenhausin Khan Yunis
APA/AFP/Mahmud Hams
Die Bevölkerung in Gaza leidet laut UNICEF unter akutem Wassermangel mit schwerwiegenden Folgen vor allem für Kinder

„Die meisten Abteilungen in den Krankenhäusern sind geschlossen, weil sie so wenig Treibstoff wie möglich verbrauchen wollen“, sagte er. Sie würden sich fast ausschließlich auf lebensnotwendige Eingriffe konzentrieren. Es sei eine sehr katastrophale Situation.

Hilfsgüter in kleinen Schritten

Die Hilfsgüter für die Bevölkerung im Gazastreifen kommen weiter nur in kleinen Schritten an. Ein vierter Konvoi mit 20 Lkws kam in der Nacht auf Mittwoch über die Grenze, wie es aus ägyptischen Sicherheitskreisen hieß. Unter den Hilfsmitteln befinden sich laut Palästinensischem Rotem Halbmond und UNRWA Arzneimittel, Säuglingsmilch und Trinkwasser. Insgesamt seien damit seit Beginn der Terrorangriffe der Hamas Güter von 74 Lkws in den Gazastreifen gelangt.

Die Menge der Hilfsgüter reiche aber bei Weitem nicht. Zudem sei nicht der dringend benötigte Treibstoff dabei. Treibstoff wird im Gazastreifen unter anderem zum Betrieb von Stromgeneratoren in Kliniken benötigt und um die Trinkwasserversorgung aufrechtzuerhalten. Israel befürchtet aber, der Treibstoff würde für Hamas-Einrichtungen genutzt werden.

Wie die UNRWA weiter mitteilte, wurden mittlerweile fast 600.000 Menschen in 150 Einrichtungen aufgenommen. Das seien viermal so viele, wie die Einrichtungen Kapazität hätten. Die Unterkünfte reichten für die Binnenflüchtlinge nicht aus und seien überlastet. Viele Menschen schliefen auf der Straße. Israel hat die Palästinenser aufgefordert, wegen seiner Gegenangriffe auf die Hamas aus dem Norden in den Süden des Gazastreifens zu fliehen.