UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
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Nahost-Äußerungen

Guterres ortet „verzerrte Darstellung“

Angesichts der scharfen Kritik Israels an seinen Nahost-Äußerungen hat sich UNO-Generalsekretär Antonio Guterres am Mittwoch „schockiert“ über diese angeblich „verzerrte Darstellung“ gezeigt. Er wolle die Angelegenheit „klarstellen“, so Guterres. Zuvor forderte Israels UNO-Botschafter Gilad Erdan den Rücktritt des Generalsekretärs und drohte UNO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern mit Visaentzug.

Es sei so, „als ob ich die Terroranschläge der Hamas rechtfertigen würde“, sagte Guterres am Mittwoch in New York. „Das ist nicht wahr. Das Gegenteil ist der Fall.“ Es sei „notwendig, die Angelegenheit klarzustellen, insbesondere aus Respekt vor den Opfern und ihren Familien“, sagte Guterres weiter. Er habe vielmehr von den „Missständen des palästinensischen Volkes“ gesprochen. Dabei habe er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese „Missstände die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen können“.

Guterres hatte bei der Sitzung des UNO-Sicherheitsrates am Dienstag den Hamas-Angriff auf Israel zwar erneut scharf verurteilt. Er sagte aber auch, die Angriffe der radikalislamischen Palästinenserorganisation seien „nicht im luftleeren Raum erfolgt“, die Palästinenser litten seit 56 Jahren unter „erstickender Besatzung“. Doch: Die Hamas-Angriffe könnten die „kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen“, so Guterres.

UNO-Botschafter drohte mit Visaentzug

Das sorgte für scharfe Kritik aus Israel, vor allem Israels UNO-Botschafter Erdan drohte den Vereinten Nationen nach Guterres’ Aussagen. „Aufgrund seiner Äußerungen werden wir uns weigern, UNO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern Visa zu erteilen“, so Erdan gegenüber dem israelischen Armeeradio. Man habe bereits ein Visum für den UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths verweigert.

Der ständige Vertreter Israels bei der UNO, Gilad Erdan
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Israels UNO-Botschafter Erdan drohte den Mitarbeitern der Organisation mit Visaentzug

„Die Zeit ist gekommen, ihnen eine Lektion zu erteilen“, so Erdan. Zunächst war allerdings unklar, was diese Maßnahme, sollte sie denn umgesetzt werden, für die im Gazastreifen und im Westjordanland arbeitenden UNO-Hilfsorganisationen bedeuten würde.

Erdan: UNO hat „falsches Bild“ von der Lage

Israels UNO-Botschafter meinte außerdem, dass es „kein Zufall“ sei, dass Guterres seit Beginn des Krieges nicht nach Israel gekommen sei. Der UNO-Generalsekretär habe seit dem 7. Oktober zweimal um ein Gespräch mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gebeten, dieser haben sich jedoch „geweigert, seinen Anruf anzunehmen“, so Erdan.

Die UNO habe ein „falsches Bild“ von der Lage gezeichnet und Behauptungen über den Gazastreifen akzeptiert, obwohl „jeder weiß“, dass dieser von der Hamas kontrolliert wird. Neben dem Visaentzug sollen die nächsten Schritte darin bestehen, „feindselige UN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter“ aus Israel auszuweisen, die ein falsches Bild von den Geschehnissen zeichnen.

Rücktritt von Guterres gefordert

Im Nahost-Konflikt sorgt eine Rede von UNO-Chef Antonio Guterres für eine Auseinandersetzung mit Israel.

Arabische Liga verteidigt Guterres

Der Chef der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit, nahm Guterres unterdessen in Schutz. Israels Kritik an Guterres bezeichnete der ägyptische Diplomat als einen „offensichtlichen Versuch, zu terrorisieren“. Der Politiker sprach laut einer Mitteilung der Arabischen Liga vom Mittwoch von einem „beschämenden Angriff, der darauf abzielt, jede Stimme zum Schweigen zu bringen, die die Wahrheit sagt“. Er forderte, den UNO-Generalsekretär zu unterstützen.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres
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Guterres verurteilte die Angriffe der Hamas, rief Israel aber auch dazu auf, das Völkerrecht zu befolgen

Auch der geschäftsführende spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez nahm Guterres in Schutz. Guterres sei „die Stimme einer breiten Mehrheit der Weltgesellschaften, die eine humanitäre Feuerpause und humanitäre Hilfe (für den Gazastreifen, Anm.) wollen, damit diese humanitäre Katastrophe und die wahllose Tötung von Menschen ein Ende nehmen“, sagte Sanchez am Mittwoch in Brüssel.

Cohen sagte Treffen ab

Der israelische Außenminister Eli Cohen sagte ein in New York geplantes Treffen mit Guterres wegen dessen Äußerungen zu Israels Angriffen im Gazastreifen ab. Cohen schrieb dazu auf Twitter (X): „Ich werde den UNO-Generalsekretär nicht treffen. Nach dem 7. Oktober gibt es keinen Platz mehr für eine ausgewogene Position.“ Die für das Massaker verantwortliche islamistische Palästinenserorganisation Hamas müsse „vom Erdboden vertilgt“ werden.

der israelische Außenminister Eli Cohen
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Cohen sagte sein Treffen mit Guterres ab

Cohen lehnte Rufe nach einer Feuerpause im Gazastreifen mit drastischen Worten ab. „Sagen Sie mir: Was ist Ihre verhältnismäßige Reaktion auf die Tötung von Babys, die Vergewaltigung und Verbrennung von Frauen und die Enthauptung eines Kindes? Wie kann man einem Waffenstillstand mit jemandem zustimmen, der geschworen hat, Sie zu töten und die eigene Existenz zu zerstören?“, rief Cohen dem Weltsicherheitsrat am Dienstag in New York empört entgegen.

USA auf der Seite Israels

Die USA stärkten Israel den Rücken. „Wir müssen das Recht jeder Nation bekräftigen, sich zu verteidigen und zu verhindern, dass sich solcher Schaden wiederholt“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. „Kein Mitglied dieses Rates, keine Nation in diesem gesamten Gremium könnte oder würde das Abschlachten ihres Volkes tolerieren.“

Antony Blinken und Antonio Guterres
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US-Außenminister Antony Blinken sichert Israel weiterhin Unterstützung zu

Der palästinensische Außenminister Riad al-Maliki warf unterdessen dem Weltsicherheitsrat Untätigkeit angesichts der eskalierenden Gewalt in Nahost vor. Es falle dem Rat schwer, seiner Aufgabe ohne Selektivität oder Doppelmoral nachzukommen.

Bisher keine Resolution zum Nahost-Krieg

Israel hat seit dem Überfall der Hamas mehr als 1.400 Tote zu beklagen. Über 220 Israelis nahm die Hamas als Geiseln. Bei israelischen Gegenangriffen auf den Gazastreifen starben laut Hamas-Angaben seither mehr als 6.500 Menschen.

Im UNO-Sicherheitsrat, in dem die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA ein Vetorecht haben, sind bereits zwei Versuche einer Resolution zum Nahost-Krieg gescheitert. Am Donnerstag wird sich die UNO-Vollversammlung mit dem Thema befassen, wobei Russland dem Sicherheitsrat zum neuesten Resolutionsentwurf der USA bereits eine Absage erteilt hat.

UNICEF beklagt Situation der Kinder in Gaza

Unterdessen bezeichnete das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) die Zahl der Todesfälle und Verletzungen von Kindern im Gazastreifen als „einfach erschreckend“. Seit den Terrorangriffen der islamistischen Hamas vor gut zwei Wochen seien bei den Gegenschlägen Israels in Gaza 2.360 Kinder ums Leben gekommen. 5.364 weitere seien verletzt worden, teilte UNICEF Mittwochfrüh in einer Presseaussendung unter Berufung auf Berichte mit, ohne die Quellen zu nennen.

Zwei Kinder vor zerstörtem Haus
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Die Kinder im Gazastreifen machen UNICEF-Angaben zufolge etwa 50 Prozent der Gesamtbevölkerung aus

Die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens – fast 2,3 Millionen Menschen – leide unter akutem Wassermangel, was schwerwiegende Folgen für die Kinder habe, die etwa 50 Prozent der Bevölkerung ausmachten, teilte UNICEF mit. Auch im Westjordanland gab es laut UNICEF einen alarmierenden Anstieg der Opferzahlen, darunter viele Kinder. Die UNO-Organisation appelliere eindringlich an alle Parteien, einem Waffenstillstand zuzustimmen, humanitären Zugang zu gewähren und alle Geiseln freizulassen.

„Die Tötung und Verstümmelung von Kindern, die Entführung von Kindern (es sind wohl die Verbrechen der Hamas gemeint, Anm.), die Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen sowie die Verweigerung des Zugangs für humanitäre Hilfe stellen schwere Verletzungen der Kinderrechte dar“, sagte Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika.