Soldaten in bewaffneten Militärfahrzeugen auf einer Straße im Süden Israels
Reuters/Ronen Zvulun
Israel

Rätseln über Timing von Bodenoffensive

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Mittwoch gesagt, dass die Vorbereitung für eine Bodenoffensive im Gazastreifen laufe, Details nannte er keine. Kurz zuvor gab es widersprüchliche Angaben: US-Medien vermeldeten, dass Israel einer Verschiebung der Offensive zugestimmt habe, damit die USA Raketenabwehrsysteme in die Region bringen könnten. US-Präsident Joe Biden sagte, es obliege Israel, über die Offensive zu entscheiden.

Zu einer erwarteten Bodenoffensive im Gazastreifen sagte Netanjahu in einer Fernsehansprache: „Wir bereiten uns auf einen Bodenangriff vor. Ich werde nicht sagen, wann, wie und wie viele.“ Er werde auch nicht auf die Bandbreite der Überlegungen eingehen, von denen die meisten der Öffentlichkeit nicht bekannt seien, sagte der Regierungschef. „Und so soll es auch sein. Das ist der Weg, damit wir das Leben unserer Soldaten schützen.“

In einer Rede rief Netanjahu seine Landsleute auf, Waffen bei sich zu tragen. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens sollten in den Süden des Küstenstreifens ziehen. Militärsprecher Daniel Hagari sagte am Abend, die israelischen Luftstreitkräfte griffen zur Vorbereitung auf eine Bodenoffensive weiter Ziele im Gazastreifen an. Dabei sei am Mittwoch auch „Terrorinfrastruktur im Untergrund“ getroffen worden. „Jeder Schlag verbessert unsere Situation für die nächsten Phasen“, sagte Hagari. Unter dem dicht besiedelten Küstenstreifen verläuft ein weitreichendes Tunnelsystem.

der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
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Netanjahu forderte die Bevölkerung dazu auf, Waffen bei sich zu tragen

„WSJ“: Israel stimmte Verschiebung zu

Das „Wall Street Journal“ („WSJ“) berichtete zuvor, dass Israel einer Verschiebung der Bodenoffensive zugestimmt habe, damit die USA Raketenabwehrsysteme liefern können, um in der Region stationierte US-Truppen zu schützen. Das Blatt berief sich auf israelische und US-Beamte. Die Lieferung der US-Luftabwehrsysteme könnte noch diese Woche stattfinden, heißt es weiter.

Israel berücksichtige bei seinen Planungen auch humanitäre Hilfe im Gazastreifen sowie diplomatische Bemühungen um die Befreiung von Geiseln, die von Hamas-Kämpfern festgehalten werden, so der Zeitungsbericht weiter. Berichte darüber, dass Washington Israel empfohlen habe, die Bodenoffensive zu verschieben, gab es bereits zu Beginn der Woche. Auch Katar – das mit den Palästinensern vermittelt – werde bei diesen Gesprächen auf dem Laufenden gehalten, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.

Biden widerspricht Berichten zu Aufschub

Wenig später widersprach US-Präsident Biden Berichten, wonach er Israel aufgefordert habe, eine Bodenoffensive im Gazastreifen zu verschieben. „Es ist ihre Entscheidung“, sagte der US-Präsident. Er habe Israels Premier Netanjahu zu verstehen gegeben, dass – wenn es möglich sei – die Geiseln in Gaza sicher befreit werden sollten, sagte Biden am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Washington.

Biden war gefragt worden, ob er von Netanjahu eine Zusicherung erhalten habe, dass die Bodenoffensive so lange aufgeschoben werde, bis die Freilassung der Geiseln sichergestellt sei. Darauf sagte Biden: „Nein.“

US-Präsident Joe Biden
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US-Präsident Biden pochte darauf, dass die Geiseln in Gaza befreit werden sollen

Macron: „Massive“ Bodenoffensive wäre „Fehler“

Zu Wort meldete sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er sagte am Mittwoch in Kairo, dass es ein „Fehler“ wäre, eine „massive“ Bodenoffensive im Gazastreifen zu starten. Der französische Präsident bekräftigte zwar das Recht Israels auf Selbstverteidigung, sagte aber nach einem Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, dass eine solche Operation, sollte sie enorm groß ausfallen, ein Fehler wäre, und verwies auf die Zivilbevölkerung.

Analyse der ORF-Korrespondenten in Belgien, Israel und den USA

Mehr als zwei Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel führt die israelische Armee weiter Gegenschläge auf den Gazastreifen durch. Dazu eine geopolitische Einordnung der ORF-Korrespondentinnen Inka Pieh in Washington und Raffaela Schaidreiter in Brüssel sowie des Korrespondenten Tim Cupal in Israel.

Ähnlich äußerte sich auch Sisi: Er warnte vor einer Ausweitung des Gaza-Krieges. „Wir sehen mit großer Sorge, dass der Kreislauf der Gewalt möglicherweise auf andere Parteien in der Region ausgeweitet wird“, sagte der Staatschef heute in Kairo bei einer Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Macron.

„Das erklärte Ziel des Krieges ist es, die Hamas und andere bewaffnete Gruppen im Gazastreifen zu liquidieren“, sagte Sisi. „Wir müssen versuchen, den Einmarsch in den Gazastreifen zu verhindern, denn der Einmarsch in den Gazastreifen kann sehr viele zivile Opfer zur Folge haben“, sagte der Präsident weiter. Es sei wichtig, die Zeit zur Befreiung von Geiseln zu nutzen.

Netanjahu kündigte Untersuchung an

Israel will nach Aussage von Ministerpräsident Netanjahu unterdessen umfassend untersuchen, warum der Terrorangriff der islamistischen Hamas nicht verhindert werden konnte. „Dieses Versagen wird umfassend untersucht werden, alle werden Antworten geben müssen – auch ich“, sagte Netanjahu in einer Videoansprache.

Biden pocht auf Schutz von Zivilisten in Gaza

US-Präsident Joe Biden hat Israel zum Schutz der Bevölkerung im Gazastreifen aufgerufen. Israel habe zwar das Recht, auf den Angriff der radikalislamischen Hamas zu reagieren, müsse aber „alles in seiner Macht Stehende“ dafür tun, Zivilistinnen und Zivilisten zu beschützen, sagte Biden.

Das werde jedoch erst nach dem Krieg geschehen. Gegenwärtig sei es seine Aufgabe, „Israel zu einem entscheidenden Sieg zu führen“. Direkte Verantwortung für das politische und militärische Versagen am 7. Oktober übernahm er, anders als etwa Verteidigungsminister Joav Galant, jedoch nicht.

Israel: Über Hälfte der Geiseln hat ausländischen Pass

Israel vermeldete am Mittwoch auch, dass mehr als die Hälfte der schätzungsweise 220 Geiseln, die von der radikalislamischen Hamas festgehalten werden, ausländische Pässe aus 25 verschiedenen Ländern haben. Darunter seien auch 54 thailändische Staatsangehörige, teilte die israelische Regierung mit.

Nach israelischen Angaben haben 138 der Geiseln ausländische Pässe, darunter 15 Argentinier, zwölf Deutsche, zwölf Amerikaner, sechs Franzosen und sechs Russen. Es werde angenommen, dass viele von ihnen eine doppelte israelische Staatsbürgerschaft besäßen. Doch bei einigen, wie den thailändischen und fünf nepalesischen Geiseln, sei das mit Sicherheit nicht der Fall. Außerdem gebe es eine chinesische Geisel, eine aus Sri Lanka, zwei aus Tansania und zwei von den Philippinen, so die Regierung weiter.