Zerstörte Gebäude in Khan Younis im Gazastreifen
Reuters/Mohammed Salem
Israel – Hamas

EU fordert Feuerpausen für Gazastreifen

Die EU-Staaten fordern Feuerpausen und geschützte Korridore für sichere Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Die sich verschlechternde humanitäre Lage in Gaza gebe Anlass zu größter Besorgnis, heißt es in einer am Donnerstagabend in Brüssel verabschiedeten Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs sowie -chefinnen. Israel wollte sich zur Erklärung noch nicht äußern.

Man rufe im Konflikt zwischen der islamistischen Hamas und Israel zu einem kontinuierlichen, schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für Hilfslieferungen auf. Zu notwendigen Maßnahmen gehörten auch „humanitäre Korridore und Pausen für humanitäre Zwecke“.

Die EU werde eng mit den Partnern in der Region zusammenarbeiten, um Zivilisten und Zivilistinnen zu schützen, Hilfe zu leisten und den Zugang zu Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung, Treibstoff und Unterkünften zu erleichtern, heißt es in der Erklärung weiter. Dabei wolle man sicherstellen, dass diese Hilfe nicht von terroristischen Organisationen missbraucht werde.

Streit über Waffenstillstand

Das Ergebnis des Gipfels zeichnete sich schon den ganzen Donnerstag über ab. In einem zirkulierenden Entwurf wurden bereits am Vormittag „humanitäre Korridore und Pausen für humanitäre Notwendigkeiten“ gefordert, damit humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen können. Zuletzt waren sich die EU-Mitgliedsstaaten bei der genauen Formulierung aber noch uneinig.

Mitglieder des Europäischen Rats im Rahmen des EU-Gipfels in Brüssel
Reuters/Yves Herman
In Brüssel wurde bis spätabends um eine Gipfelerklärung gerungen

Gerade um die Forderungen nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand für den Gazastreifen hatte es in den vergangenen Tagen heftigen Streit in der EU gegeben. Länder wie Deutschland und Österreich sprachen sich dagegen aus, dass sich die EU solchen Aufrufen öffentlich anschließt. Sie argumentierten, ein solcher Vorstoß sei angesichts des anhaltenden Terrors der radikalislamischen Hamas unangemessen.

EU-Gipfelerklärung zu Nahost

In Brüssel ist am Donnerstag der erste Tag des EU-Gipfels zu Ende gegangen. Die Konsensfindung gestaltete sich als schwierig. Die EU-Staaten fordern nun aber Feuerpausen und geschützte Korridore für sichere Hilfslieferungen in den Gazastreifen.

Länder wie Spanien und Irland setzten sich hingegen wegen der vielen zivilen Opfer bei israelischen Angriffen auf Ziele im Gazastreifen für einen solchen Aufruf ein. Die Verwendung von Wörtern wie „humanitäre Korridore“ und „Pausen“ im Plural in der Erklärung ist ein Kompromiss und soll deutlich machen, dass die EU Israel nicht auffordert, den Kampf gegen die Hamas mit sofortiger Wirkung einzustellen.

Gräueltaten der Hamas werden verurteilt

Zu den Gräueltaten der Palästinenserorganisation Hamas heißt es in der Erklärung, der Europäische Rat verurteile die Hamas und ihre brutalen und willkürlichen Angriffe in ganz Israel auf das Schärfste. Der Einsatz von Zivilisten und Zivilistinnen als menschliche Schutzschilde sei eine besonders beklagenswerte Grausamkeit.

Man betone nachdrücklich das Recht Israels, sich im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht zu verteidigen. Zudem versicherten die EU-Staaten, Bemühungen für eine internationale Friedenskonferenz zu unterstützen.

Proteste im Rahmen des EU-Gipfels in Brüssel
Reuters/Johanna Geron
Auch in Brüssel kam es zu propalästinensischen Demonstrationen

Nehammer sprach sich gegen Waffenstillstand aus

Vor der Einigung hatte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ein „entschlossenes Vorgehen“ gegen die Hamas gefordert und sich gegen einen Waffenstillstand ausgesprochen. „Alle Fantasien von Waffenstillstand, Feuerpausen etc. führen dazu, dass sich die Hamas bestärkt fühlt“, sagte er in Brüssel. Österreich verstehe sich wegen seiner historischen Verantwortung als „Fürsprecher“ Israels. Beim Kampf gegen die Hamas dürfte es „keine Kompromisse“ geben.

Aber Österreich sei dafür, dass in kurzen Zeitfenstern humanitäre Korridore geöffnet werden, um Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. „Da ist es klar, dass in dieser Zeit die Waffen schweigen. Aber nur für diesen Fall“, so Nehammer. „Wenn wir Sicherheit für die EU wollen, wenn wir Sicherheit für die Menschen in Europa wollen, müssen wir die Terrororganisation Hamas bekämpfen.“

Scholz: Konflikt darf nicht „in der ganzen Region“ eskalieren

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte vor dem Beginn des Treffens in Brüssel gesagt, es sei wichtig, „alles zu tun, dass dieser Konflikt nicht in der ganzen Region eskaliert“, etwa durch die Hisbollah oder den Iran. Scholz betonte, es gehe auch darum, gemeinsam deutlich zu machen, dass die EU Israel bei der Verteidigung des eigenen Landes gegen den „furchtbaren Angriff der Hamas“ unterstütze.

Auch die Menschen im Gazastreifen seien Opfer der Hamas, die durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sei. Israel sei „ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien“. Er sei sicher, dass die israelische Armee die Regeln aus dem Völkerrecht beachte, daran habe er keinen Zweifel, so Scholz.

Sanchez unterstützte Guterres

Der spanische Regierungschef Pedro Sanchez, dessen Land aktuell den Ratsvorsitz innehat, hatte sich zu Beginn des Gipfels klar für eine „humanitäre Pause“ ausgesprochen. Als spanischer Regierungschef würde er für einen „Waffenstillstand und eine humanitäre Feuerpause“ eintreten. Das Leid in Gaza sei nicht hinnehmbar. Er unterstütze UNO-Generalsekretär Antonio Guterres in seinen Forderungen nach einer „dringenden Öffnung des humanitären Korridors, um Hilfe zu leisten“.

Für Belgiens Regierungschef Alexander De Croo könne Israels Recht, sich zu verteidigen, keine Entschuldigung dafür sein, den Gazastreifen abzuriegeln und die palästinensische Bevölkerung „auszuhungern“. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte appellierte eindringlich an Israel, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Ungarns Premier Viktor Orban wollte sich bei seiner Ankunft beim Europäischen Rat ebenfalls nicht festlegen.

Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar erklärte, die große Mehrheit der EU-Länder wolle einen Waffenstillstand. Es gehe nicht um die Worte, sondern darum, dass die Gewalt und das Töten enden. Man müsse verstehen, dass die verschiedenen EU-Länder aufgrund ihrer Geschichte unterschiedliche Standpunkte vertreten. In Irland habe man wegen der eigenen Geschichte (Kampf um Unabhängigkeit von Großbritannien, Anm.) viel Sympathie für die Palästinenser.