Israelischer Soldat kontrolliert das Geschütz eines Panzers nahe Gaza
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Vorstoß in Gazastreifen

Neue Anzeichen für Israels Bodenoffensive

Israel hat seine Angriffe in Gaza ausgeweitet: In der Nacht auf Freitag haben laut israelischer Armee Bodentruppen einen gezielten Vorstoß im Zentrum des Gazastreifens durchgeführt, um „Terrorziele“ der radikalislamischen Hamas anzugreifen. Schon in der Nacht zuvor gab es im Norden Vorstöße mit Kampfpanzern – auch für die Nacht auf Samstag sind Vorstöße angekündigt. Die Anzeichen für die geplante Bodenoffensive Israels verdichten sich damit – auch wenn viele Fragen immer noch ungeklärt sind.

Wie die Armee am Freitag auf Telegram berichtete, attackierten am Vortag von Kampfflugzeugen und Drohnen flankierte Bodentruppen unter anderem Abschussrampen für Panzerabwehrraketen, Kommandozentralen sowie Terroristen der Hamas. Anschließend hätten die Soldaten das Kampfgebiet unversehrt wieder verlassen.

Israels Militär hatte in den vergangenen rund drei Wochen bereits mehrere solcher begrenzten Vorstöße in den Gazastreifen unternommen. Am Donnerstag wurde im Norden angegriffen. Dabei kämpften Bodentruppen gegen die Hamas und beschossen in einer stundenlangen Operation Stellungen für Panzerabwehrraketen. Vom Militär veröffentlichte Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigten eine Kolonne gepanzerter Fahrzeuge. Zudem war nach den Angriffen eine große Staubwolke zu sehen.

Aufnahmen der israelischen Armee zeigen Panzer am Grenzzaun zu Gaza
APA/AFP/Israeli Army
Bei einem Angriff im Norden des Gazastreifens wurden Panzer eingesetzt

Israel aktivierte über 360.000 Reservisten und stationierte viele an der Grenze zum Gazastreifen, doch der Start der Bodenoffensive bleibt weiter aus. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am Mittwoch: „Wir bereiten uns auf einen Bodenangriff vor. Ich werde nicht sagen, wann, wie und wie viele.“ Er werde auch nicht auf die Bandbreite der Überlegungen eingehen, von denen die meisten der Öffentlichkeit nicht bekannt seien, sagte der Regierungschef. „Und so soll es auch sein. Das ist der Weg, damit wir das Leben unserer Soldaten schützen.“

Bericht: Vorgehen bei Offensive unklar

Während die Luftangriffe unvermindert weitergehen, ist unklar, wann – und ob überhaupt – die Bodenoffensive beginnt. Wie die „New York Times“ („NYT“) am Donnerstag schrieb, soll es unterschiedliche Auffassungen über den Vorstoß im Gazastreifen geben. Das Blatt beruft sich auf sieben Offiziere und drei israelische Beamte, die namentlich nicht genannt werden.

Zum einen könnte ein Abwarten mehr Zeit für Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln bringen, heißt es. Zum anderen wird befürchtet, dass eine Invasion die israelische Armee in unlösbare Straßenschlachten im Gazastreifen verwickeln könnte. Auch ein breiterer Konflikt, etwa eine Einmischung der Hisbollah, die Langstreckenraketen auf Israel abfeuern könnte, sei möglich, schreibt die „NYT“.

Führungsfrage in Gaza als möglicher Faktor

Und selbst die Frage nach dem Wie dürfte nicht restlos geklärt sein: So steht offenbar zur Debatte, ob es eine großangelegte Operation oder eine Reihe kleinerer Vorstöße geben solle. Und nicht zuletzt ist unklar, wer die Führung in Gaza übernimmt, sollte Israel das Gebiet einnehmen.

Ein fertiger Plan zur Bodenoffensive soll bereits vorliegen, so die „NYT“, Netanjahu dem Vernehmen nach aber bisher kein grünes Licht gegeben haben. Möglicherweise auch, weil er auf die Zustimmung des gesamten Kabinetts hofft. Angesichts des schwindenden Vertrauens der Öffentlichkeit in seine Führung könnte er fürchten, für ein Scheitern der Operation verantwortlich gemacht zu werden, schreibt das Blatt weiter.

Weitere Luftangriffe aus Israel

Die israelische Armee griff nach eigenen Angaben in den vergangenen 24 Stunden mehr als 250 Ziele im Gazastreifen an. Darunter seien Tunnel der Hamas sowie operative Hauptquartiere und Raketenabschussrampen, teilte die Armee am Freitag mit. „Dutzende“ Hamas-Mitglieder seien getroffen worden. Dabei soll den Angaben nach auch ein ranghoher Hamas-Befehlshaber getötet worden sein. Der Kommandant Madhat Mubaschar sei an mehreren Sprengstoff- und Scharfschützenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten beteiligt gewesen, hieß es in der Mitteilung des Militärs.

Satellitenbilder zeigten unterdessen das Ausmaß der israelischen Luftangriffe auf Gaza. Die Fotos zeigen etwa starke Zerstörung in der Stadt Beit Hanun im Norden des Gazastreifens. Nach den Angriffen blieben selbst von höheren Häusern nur Fassadenreste übrig. Das israelische Militär gibt an, nur militärische Ziele anzugreifen, und beschuldigt die Hamas, nahe der Zivilbevölkerung zu kämpfen, um ihre Mitglieder zu schützen. Militante Palästinenser haben umgekehrt seit Beginn des Krieges Tausende von Raketen auf Israel abgefeuert.

Satellitenaufnahme zeigt Beit Hanoun am 10.10.2023
Satellitenaufnahme zeigt Beit Hanoun am 21.10.2023
Reuters/Maxar Technologies Reuters/Maxar Technologies
Satellitenaufnahmen zeigen Schäden in Beit Hanun

Am Freitag wurde publik, dass israelische Soldaten für einen Angriff auf die Hamas über das Mittelmeer kommend im Gazastreifen an Land gegangen sind und dabei nach eigenen Angaben Infrastruktur der Marine der islamistischen Organisation zerstört hätten. Kriegsschiffe und Flugzeuge hätten den gezielten Einsatz flankiert, teilte Israels Militär mit.

Die Armee veröffentlichte ein Video des Einsatzes, das zunächst Beschuss durch Kriegsschiffe zeigt. Im Anschluss sind Soldaten zu sehen, die in der Dunkelheit an Land aus Sturmgewehren feuern. Das Militär erklärte, die Soldaten hätten sich anschließend wieder aus dem Gebiet im südlichen Gazastreifen zurückgezogen. Der genaue Zeitpunkt des Einsatzes blieb unklar.

Umfrage: 49 Prozent wollen mit Bodenoffensive warten

49 Prozent der Israelis sind laut einer Umfrage zufolge dafür, mit einer großangelegten Bodenoffensive im Gazastreifen abzuwarten. Dagegen äußern nur 29 Prozent die Meinung, das israelische Militär solle sofort in den Küstenstreifen einmarschieren, wie aus einer von der Zeitung „Maariw“ veröffentlichten Befragung hervorgeht. Damit schwinde die Unterstützung für eine Bodenoffensive deutlich, heißt es weiter.

Bei einer Befragung am 19. Oktober waren noch 65 Prozent für eine Invasion, wie das Blatt weiter berichtet. Die Antworten in der Umfrage legten nahe, dass die rund 200 von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln eine wichtige Rolle bei dem Meinungsumschwung spielen.

Israel lehnt humanitäre Feuerpausen „derzeit“ weiter ab

Gleichzeitig sprach sich Israel gegen die von den EU-Staaten geforderten Feuerpausen im Gazastreifen aus. „Israel lehnt einen humanitären Waffenstillstand derzeit ab“, sagte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums. Dazu zähle „jegliche Art von geforderten Feuerpausen“. Gleichwohl wies er darauf hin, dass das Land grundsätzlich jedoch erlaube, „dass humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangt, solange sie nicht in den Händen von Terroristen der Hamas landet“.

Armee: Hamas nutzt Spitäler als Kommandozentralen

Unterdessen wirft Israel der Hamas vor, Krankenhäuser im Gazastreifen als strategische Zentren für ihre Angriffe gegen Israel zu missbrauchen. „Die Hamas führt den Krieg gegen Israel von Krankenhäusern aus“, sagte der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, am Freitag vor Journalistinnen und Journalisten. Die Hamas nutze die Krankenhäuser „als Kommandozentralen und Verstecke“, mit Zugängen zu ihrem unterirdischen Tunnelsystem.

„Die Terroristen bewegen sich frei im Al-Schifa-Krankenhaus“ in Gaza-Stadt sowie in weiteren Krankenhäusern, sagte der Armeesprecher. Zudem nutze die Hamas den in diesen zivilen Einrichtungen gelagerten Treibstoff für ihre Angriffe. „Es gibt Treibstoff in den Krankenhäusern, und die Hamas nutzt ihn für ihre terroristische Infrastruktur“, sagte Hagari. Israel hatte die Hamas bereits mehrfach beschuldigt, die Bevölkerung des Gazastreifens als „menschliche Schutzschilde“ zu benutzen. Die Hamas wies die Vorwürfe als „unbegründet“ zurück.