Energiegewinnung im Marchfeld
ORF.at/Roland Winkler
Stopp von Gastransit

Ausbau heimischer Pipeline entscheidend

Die Ukraine hat erneut angekündigt, ab 2025 kein russisches Gas mehr Richtung Westen zu leiten. Ob damit tatsächlich kein Gas mehr über das ukrainische Netz in die EU kommt, ist noch offen. Ein tatsächlicher Transitstopp könnte Österreich aber merklich treffen – besonders, falls ein entscheidender Infrastrukturausbau bis dahin nicht abgeschlossen ist.

Bis Ende 2024 läuft der Transitvertrag, den die Ukraine mit der russischen Gasprom noch Jahre vor dem russischen Angriffskrieg geschlossen hat. Dass Kiew kein Interesse daran hat, diesen zu verlängern, war schon bisher kein Geheimnis. Der Chef des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogas, Olexij Tschernyschow, bestätigte das in einem Interview mit dem US-Auslandssender Radio Liberty aber nunmehr noch einmal extra deutlich.

Überrascht gab sich darüber auch in Österreich niemand wirklich. „Das ist kein Geheimnis, das ist schon länger bekannt“, sagte Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf Nachfrage bei einem Pressetermin. „Was wir heute nicht wissen, welche Auswirkungen das im Detail haben kann in der praktischen und operativen Abwicklung.“

E-Control verweist auf EU-Gesetze

Zumindest die E-Control hält die Ankündigung für weniger dramatisch, als sie im ersten Moment klingen mag. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass, solange die Transportleitungen nicht beschädigt sind, Transitflüsse durchgeführt werden können“, so die Regulierungsbehörde gegenüber ORF.at. Die E-Control verweist dabei auf bestehendes EU-Recht. Laut diesem müssen Fernleitungsnetzbetreiber freie Transportkapazitäten „transparent und nicht diskriminierend“ anbieten.

Zwar ist die Ukraine noch nicht Teil der EU. Allerdings will das Land in Zukunft Teil der Staatengemeinschaft werden. „Wir gehen davon aus, dass daher diese Regeln auch für den ukrainischen Netzbetreiber relevant sind und bleiben“, so die E-Control.

Was das konkret bedeuten könnte, führte Carola Millgram, Leiterin der Abteilung Gas bei der E-Control, gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal aus: „Vielleicht kann die Gasprom-Export diese Kapazitäten nicht buchen, aber europäische Gashändler können das natürlich auch“, sagte Millgram. Das würde bedeuten, dass etwa die OMV Gas direkt in Russland kaufen würde und dann die Leitungen für den Transport mieten würden.

Boltz: Kriegsrisiko würde Händler abhalten

Dass das so einfach funktionieren könnte, bezweifelt allerdings Walter Boltz – und damit gerade ein früherer E-Control-Vorstand. Wer Gas durch die Ukraine transportieren lasse, müsse auch das Kriegsrisiko in Kauf nehmen. „Ich kann mir schwer vorstellen, dass die OMV das tun würde. Und auch bei anderen Lieferanten halte ich das für ziemlich unwahrscheinlich“, sagte Boltz im Ö1-Mittagsjournal. Das hohe Risiko müsste sich unweigerlich in den Preisen niederschlagen. „Und ich glaube nicht, dass die Russen bereit wären, ihre Gasverkäufe um so viel günstiger zu machen, dass sich das dann noch auszahlt.“

Würden die Gaslieferungen aus Russland zum Erliegen kommen, würde das Österreich – jedenfalls unter den derzeitigen Voraussetzungen – merklich spüren. Im Frühjahr und Sommer des heurigen Jahres – zur Zeit als die heimischen Gasspeicher befüllt wurden – kamen immer noch rund 60 Prozent des Gases aus Russland.

OMV verweist auf laufende Diversifizierung

Im Falle eines tatsächlichen Transitstopps, müssten beträchtliche Mengen ersetzt werden. Laut Christoph Dolna-Gruber von der österreichischen Energieagentur wäre das vermutlich zu meistern. So könnte kurzfristig mehr Gas aus den Speichern bezogen werden – darunter auch die strategische Reserve der Republik. Die OMV habe sich außerdem für den Fall eines Lieferstopps zusätzliches nicht russisches Gas gesichert.

Ukraine droht mit Stopp von Gastransit

Die Ukraine will ab dem Jahr 2025 kein russisches Erdgas mehr Richtung Westen durchleiten. Das hat der Chef des ukrainischen staatlichen Energiekonzerns Naftogas jetzt erneut deutlich gemacht. Nachdem Österreich immer noch stark von Erdgas aus Russland abhängig ist, hätte das auch gravierende Auswirkungen auf Österreich.

Die OMV selbst wollte am Montag gegenüber ORF.at die ukrainische Ankündigung nicht kommentieren. Das Unternehmen habe aber „Maßnahmen gesetzt, die einen potenziellen Ausfall russischer Lieferungen kompensieren können“. So soll der OMV sowohl Gas aus eigener Produktion als auch „aus externen Quellen aus Norwegen“ bei der Diversifizierung helfen. Dazu kämen noch zusätzliche Mengen an Flüssigerdgas (LNG).

„Grundsätzlich sind aktuell genug Gasmengen auf dem europäischen Gasmarkt verfügbar“, heißt es auch von der E-Control. Energieagentur-Experte Dolna-Gruber gab aber zu bedenken: Auch wenn die Situation „mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Gasmangellage“ zur Folge hätte, würde sie „mit steigenden Gaspreisen einhergehen – und damit mit Herausforderungen für Unternehmen und Haushalte“.

Heimische Pipeline als Flaschenhals

Dolna-Gruber wies überdies daraufhin, dass von einem ukrainischen Transitstopp nicht nur Österreich, sondern auch die Slowakei und Ungarn betroffen wären. Es müsste also nicht nur genug Gas für den heimischen Verbrauch nach Österreich kommen, sondern auch die Mengen, die von den beiden Nachbarstaaten benötigt werden, durch das heimische Netz fließen. Und das ist mit der derzeitigen Netzkapazität kaum zu bewerkstelligen.

Karte zeigt österreichisches Gasnetz
Grafik: ORF.at; Quelle: Gas Connect Austria

Einen Flaschenhals stellt derzeit die Verbindung des heimischen Gasnetzes Richtung Deutschland dar. Hier soll der Ausbau der West-Austria-Gasleitung in Oberösterreich eine Erleichterung bringen. „WAG-Loop“ ist das Projekt übertitelt, mit dem die bestehende Gasleitung zwischen Oberkappel an der Grenze zu Deutschland und Bad Leonfelden ausgebaut werden soll. Das müsse so rasch wie möglich umgesetzt werden, sind sich die heimischen Expertinnen und Experten einig.

Gas Connect am Zug?

Begonnen wurde mit dem Bau bisher aber noch nicht. Warum das so ist, darüber scheiden sich die Geister. „Von regulatorischer Seite haben wir dem österreichischen Netzbetreiber Gas Connect Austria den WAG-Teil-Loop als wichtiges Leitungsprojekt genehmigt“, heißt es von der E-Control. Auch das Infrastrukturministerium verwies gegenüber ORF.at auf die im Sommer erfolgte Genehmigung und sah den Ball bei der Gas Connect.

Leitungsrohre in der Verdichterstation der Gas Connect Austria beim Gas-Knotenpunkt in Oberkappel
APA/Barbara Gindl
Von Oberkappel führt die West-Austria-Gasleitung zuerst nach Bad Leondelden und dann weiter bis nach Baumgarten

Die Einschätzung des Leitungsnetzbetreibers fällt allerdings anders aus. Auf Nachfrage von Ö1 verweist die Gas Connect auf eben doch noch ausstehende Genehmigungsverfahren. Außerdem – und das wiegt womöglich noch schwerer – sei auch die Finanzierung noch ungeklärt. Laut dem Gasnetzbetreiber könnte die ausgebaute Pipeline frühestens 2027 in Betrieb gehen.

Bei einem Lieferstopp mit Anfang 2025 wäre das freilich zu spät. Wenngleich etwa Energieexperte Boltz der Meinung ist, dass der Ausbau deutlich schneller vonstatten gehen könnte. Für den Ausbau der Gasleitung gebe es eine Staatsgarantie, die Finanzierung sei also sehr wohl gesichert, sagte Boltz. „Wenn man mehr oder weniger umgehend startet, glaube ich, dass man Ende ’24, Anfang ’25 sehr wohl die Leitung in Betrieb nehmen könnte.“ Es gehe bei der Investition für die Gas Connect um 200 Mio. Euro, „ein ziemlich überschaubarer Betrag“.

Förderung von erneuerbaren Gasen

Abseits des Infrastrukturausbaus und einer – womöglich auch verpflichtenden – Diversifizierung des Erdgasbezugs verwies Energieexperte Dolna-Gruber noch auf eine Reihe weiterer Maßnahmen. Neben der Reduktion des Gasverbrauchs wäre das etwa auch die verstärkte Förderung von grünem Wasserstoff und Biomethan. Aber auch die inländische Erdgasförderung könnte ausgebaut werden, so Dolna-Gruber.

Opposition kritisiert Untätigkeit

Den letzten Punkt griff am Montag auch die FPÖ Niederösterreich aus. Die Partei sah in der heimischen Gasförderung freilich nicht eine Möglichkeit, russisches Erdgas zu ersetzen, sondern auch eine Alternative zu „noch mehr Windrädern und noch mehr Photovoltaikanlagen“. Ein Versagen bei der Sicherung der Gasversorgung warfen am Montag SPÖ und NEOS der Regierung vor. Beide Oppositionsparteien sahen eine Untätigkeit der Regierung. NEOS schloss sich ganz konkret den Rufen nach einem schnellen Ausbau der West-Austria-Gasleitung an.

Im Infrastrukturministerium verwies man freilich auf eine „Vielzahl an Maßnahmen", die die Bundesregierung seit Februar 2022 zur Sicherung der heimischen Gasversorgung getroffen“ habe. Das Ministerium nannte etwa die erst kürzlich erhöhte Speicherverpflichtung für Gasversorger und das Gasdiversifizierungsgesetz.