gepanzerte Einsatzfahrzeuge vor dem Flughafen in Dagestan
APA/AFP
Dagestan

60 Festnahmen nach antijüdischen Unruhen

Nach antijüdischen Ausschreitungen auf dem Hauptstadtflughafen der russischen Kaukasus-Republik Dagestan hat die Polizei 60 Verdächtige festgenommen. Der Flughafen nahm laut der russischen Luftfahrtbehörde am Montag den Betrieb wieder auf. Am Vortag hatten Hunderte Männer nach der Ankunft einer Maschine aus Israel den Flughafen auf der Jagd nach jüdischen Passagieren gestürmt. Der Kreml sieht die Gewalt von außen provoziert – nannte aber keine Beweise.

20 Menschen wurden am Sonntag laut Behörden verletzt, 60 Personen festgenommen. Nach Darstellung des russischen Präsidenten Wladimir Putin stünden die „herrschenden Eliten der USA“ und deren „Satelliten“ hinter der Tötung von Palästinensern im Gazastreifen sowie den Entwicklungen in der Ukraine, im Irak und in Syrien. Die westlichen Geheimdienste und die Regierung in Kiew seien zudem mitverantwortlich für die Erstürmung des Flughafens in Dagestan.

Kiew wies das zurück. „Natürlich hat die Ukraine nichts mit dem jüngsten massiven Anstieg fremdenfeindlicher Stimmungen auf dem Territorium der Russischen Föderation zu tun“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak gegenüber Reuters in einer schriftlichen Erklärung.

Russland-Experte Mangott zur Lage in Dagestan

Russland-Experte Gerhard Mangott über die antijüdischen Ausschreitungen in der russischen Teilrepublik Dagestan und die Reaktion von Wladimir Putin, der westliche Geheimdienste und die ukrainische Regierung für die Erstürmung des Flughafens verantwortlich macht.

Gouverneur kündigt Ermittlungen und Strafen an

Dagestans Gouverneur Sergej Melikow kündigte seinerseits an, dass all jene, die sich am Sturm auf den Flughafen beteiligt hatten, bestraft werden sollten. „Alle Einwohner Dagestans fühlen mit dem Leid der Opfer des Handelns verwerflicher Menschen und Politiker und beten für Frieden in Palästina“, schrieb er auf Telegram: „Aber was auf unserem Flughafen passiert ist, ist unerhört und muss von den Strafverfolgungsbehörden geahndet werden.“

Melikow rief die Bevölkerung zudem auf, sich nicht von Extremisten aufstacheln zu lassen, die die Lage destabilisieren wollten. „Der Antisemitismus hat keinen Platz im multiethnischen Nordkaukasus“, versicherte Melikow, der gleichzeitig sagte: „Wegen der Fakes, die von unseren Feinden verbreitet werden, waren einige noch ganz junge Leute drauf und dran, die Gesetze zu verletzen.“

Dagestan: 60 Festnahmen nach antijüdischen Unruhen

Nach antijüdischen Ausschreitungen auf dem Hauptstadtflughafen der russischen Kaukasus-Republik Dagestan hat die Polizei 60 Verdächtige festgenommen. Der Flughafen nahm laut der russischen Luftfahrtbehörde am Montag den Betrieb wieder auf. Am Vortag hatten Hunderte Männer nach der Ankunft einer Maschine aus Israel den Flughafen auf der Jagd nach jüdischen Passagieren gestürmt. Das russische Außenministerium machte „Einmischung aus dem Ausland“ für die Unruhen verantwortlich, nannte aber keine Beweise.

Bei dem Passagierflugzeug, das um 19.00 Uhr Ortszeit auf dem Flughafen landete, handelte es sich nach Angaben des Flugtrackingdienstes Flightradar um einen Transitflug der russischen Airline Red Wings, der um 21.00 Uhr nach Moskau weiterfliegen sollte. Über den Flughafen von Machatschkala laufen immer wieder Evakuierungsflüge, die infolge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel russische Staatsbürger aus Tel Aviv nach Russland bringen.

Die Angreifer stürmten laut Medienberichten sowohl auf das Rollfeld als auch auf das Dach des Flughafens. Auf Telegram veröffentlichte Videos zeigten, wie Männer Zäune durchbrachen, Türen im Terminal eintraten und versuchten, Autos beim Verlassen des Flughafens zu kontrollieren.

Menschenmenge in Dagestan stürmt Flughafen
AP
Auch das Rollfeld wurde von einer Menschenmenge gestürmt

Offenbar Pässe von Passagieren kontrolliert

Laut dem unabhängigen Medium Sota war es vor der Erstürmung des Flughafens vor dem Terminalgebäude zu einer Demonstration gekommen. Dabei hätten die Männer versucht, auf der Suche nach israelischen Staatsbürgern beziehungsweise Juden die Reisepässe von Passagieren zu kontrollieren. Auf Videos war zu sehen, wie einer ein Schild mit der Aufschrift „Kindermörder haben keinen Platz in Dagestan“ in die Höhe hielt. Andere riefen laut dem Bericht „Allahu akbar“ (Gott ist unvergleichlich groß). Die Echtheit der Videos konnte nicht überprüft werden.

ORF-Korrespondentin Schneider zu Ausschreitungen in Dagestan

Wo liegen die tieferen Wurzeln dieses Hasses, der sich in Dagestan gegen die jüdischen Passagiere gerichtet hat? ORF-Korrespondentin Carola Schneider berichtet.

Zahlreiche Männer hätten sich Medienberichten zufolge auch dem Flugzeug genähert. Augenzeugen bestätigten Medienberichten zufolge, dass diese wissen wollten, ob die Passagiere Juden seien. Der Pilot fürchtete, dass auch das Flugzeug gestürmt werde und habe per Durchsage dazu aufgerufen, die Türen nicht zu öffnen, wie es unter anderem beim „Guardian“ heißt.

Sturm auf Hotel

Es ist nicht der erste antisemitische Vorfall in Dagestan: Erst am Vortag umstellte ein Mob ein Hotel in der Stadt Chassawjurt, weil es das Gerücht gab, dort seien Flüchtlinge aus Israel untergebracht. Nach örtlichen Berichten drangen mehrere Dutzend Männer in das Hotel ein, um angeblich die Pässe der Hotelgäste zu kontrollieren. Die Polizei riegelte das Hotel ab.

In der nordkaukasischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien wurden, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA zuletzt berichtete, in der Stadt Naltschik neben einem jüdischen Kulturzentrum in Bau Reifen angezündet. Das Gebäude wurde nach Angaben der Sicherheitsbehörden mit extremistischen Losungen beschmiert. Fotos zufolge stand dort „Tod den Juden“.

Israel fordert entschlossene Reaktion

Israel rief nach dem Vorfall auf Dagestans Hauptstadtflughafen zum Schutz aller israelischen Staatsbürger auf. Sein Land erwarte von den russischen Behörden, dass sie „alle israelischen Bürger und alle Juden schützen und entschlossen gegen die Randalierer sowie gegen die Aufstachelung zur Gewalt gegen Juden und Israelis vorgehen“, erklärte das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu.

„Israel nimmt Versuche, israelischen Bürgern und Juden irgendwo zu schaden, sehr ernst“ und beobachte die Ereignisse in Dagestan, hieß es in der Mitteilung. Der israelische Botschafter in Russland, Alex Ben Zvi, arbeite mit den russischen Behörden zusammen, „um das Wohlergehen von Juden und Israelis vor Ort zu gewährleisten“.

Israels Präsident Herzog: „Es war wie ein Pogrom“

Israels Präsident Jizchak Herzog verglich die Vorfälle mit einem Pogrom. „Es war wie ein Pogrom“, sagte der Staatschef am Montag in einem Interview mit „Bild“, Welt-TV und „Politico“. Die Ausschreitungen seien „schockierend“ und „äußerst beunruhigend“. „Gott sei Dank wurde es am Ende von den Behörden verhindert, aber es sah wie ein Pogrom aus“, sagte Herzog. „Ich bin froh, dass die russischen Behörden eingegriffen und die Kontrolle übernommen haben und die Menge, die die unschuldigen Zivilisten im Flugzeug bedrohte, vertrieben haben.“

„Zutiefst erschreckend“

Die USA verurteilten die „antisemitischen Proteste“ in Dagestan. „Die USA stehen unmissverständlich an der Seite der gesamten jüdischen Gemeinschaft angesichts des weltweiten Anstiegs des Antisemitismus“, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Adrienne Watson.

„Österreich bekennt sich zum Kampf gegen Antisemitismus in all seinen Formen, egal wo und wann, und lehnt jede Aufstachelung zur Gewalt ab“, so Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der auf Twitter (X) die Bilder von den Vorfällen auf dem Flughafen von Machatschkala als „zutiefst erschreckend“ bezeichnete.

Selenskyj: Russland hat erneut Kontrolle verloren

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bescheinigte Moskau einen erneuten Kontrollverlust. Russland habe all seine Kräfte mobilisiert, um in seinem schon seit mehr als 20 Monaten andauernden Angriffskrieg besetzte ukrainische Gebiete zu halten, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache am Montag.

„Doch dabei haben sie ihr eigenes Staatsgebiet mit einem solchen Ausmaß an Hass und Erniedrigung verseucht, dass Russland bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr die Kontrolle über die Ereignisse verliert“, meinte der ukrainische Staatschef, der selbst jüdische Wurzeln hat.

Zuerst seien meuternde russische Söldner in Richtung Moskau marschiert, sagte Selenskyj mit Blick auf den Aufstand des mittlerweile ums Leben gekommenen Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin im Juni. Und nun sei zu beobachten, dass die Macht der Behörden in Dagestan schwinde, meinte Selenskyj weiter.