Einwohner von Gaza waschen Kleidung wegen Wassermangel mit Meerwasser
AP/Mohammed Dahman
Gaza

WHO warnt vor „Gesundheitskatastrophe“

Während die israelische Armee die Offensive gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen fortsetzt und dabei auch das Vorhaben der Befreiung der mittlerweile mindestens 240 gemeldeten Hamas-Geiseln vorantreibt, ist die Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen dramatisch. Es drohe eine „Katastrophe für die öffentliche Gesundheit“, heißt es von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er bestehe die Gefahr von Todesfällen, die nicht direkt mit der Bombardierung im Zusammenhang stehen.

„Es ist eine drohende Katastrophe für die öffentliche Gesundheit, die durch die Massenvertreibung, das Leben auf engstem Raum und Schäden an der Wasser- und Sanitärinfrastruktur droht“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Dienstag. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 800.000 Menschen in den Süden geflüchtet sind. Auch aufgrund dieser Zustände würden Menschen sterben.

WHO schlägt Alarm

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm wegen der Lage im Gazastreifen. Es zeichne sich eine unmittelbar bevorstehende „Katastrophe für die öffentliche Gesundheit ab“, herbeigeführt etwa durch die Massenvertreibung und Schäden an der Wasser- und Sanitärinfrastruktur.

UNICEF: Säuglingen droht Dehydratation

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) warnte vor dem Risiko von Todesfällen bei Säuglingen aufgrund von Dehydratation, da die Wasserproduktion nur fünf Prozent des Normalniveaus beträgt. „Der Tod von Kindern aufgrund von Dehydratation, insbesondere von Säuglingssterblichkeit aufgrund von Dehydratation, stellt daher eine wachsende Bedrohung dar“, sagte UNICEF-Sprecher James Elder. Kinder würden auch durch das Trinken von Salzwasser krank.

Behelfsmäßiger Wassertransport in Gaza
Reuters/Mohammed Fayq Abu Mostafa
Mit von Tieren gezogenen Karren wird Wasser aus einer Entsalzungsanlage transportiert

Der UNICEF-Sprecher warnte vor dem massenhaften Tod von Kindern. Schon jetzt sei das Palästinensergebiet zu einem „Friedhof für Kinder“ geworden, künftig könnte sich die Lage weiter verschlimmern, so Elder. Ohne Lieferungen von Wasser, Medikamenten und Lebensmitteln und ohne „die Freilassung entführter Kinder“ werde der Horror weiter zunehmen. Ohne besseren Zugang zu humanitärer Hilfe könnten die aktuellen Opferzahlen bald „nur die Spitze eines Eisbergs sein“.

Großer Hilfskonvoi soll bald Rafah passieren dürfen

WHO-Sprecher Lindmeier forderte, Treibstoff in den Gazastreifen zuzulassen, um den Betrieb von Entsalzungsanlagen zu ermöglichen. Israel hat den Gazastreifen blockiert und weigert sich, Treibstofflieferungen zuzulassen, mit der Begründung, dass dieser von der Hamas für militärische Zwecke genutzt werden könnte. Hingegen kündigte Israel an, dass demnächst bis zu 100 Lkws mit Hilfsgütern den Grenzübergang Rafah passieren dürften. Bisher waren insgesamt etwas mehr als 140 Lkws über die Grenze gefahren.

ORF-Korrespondent Cupal zur humanitären Lage in Gaza

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet unter anderem über die anstehenden humanitären Hilfslieferungen nach Gaza.

Die UNICEF wies unterdessen auf die Lage der Kinder in Gaza hin. Laut UNICEF-Sprecher James Elder seien etwa 940 Kinder in Gaza als vermisst gemeldet worden – einige seien vermutlich unter den Trümmern verschüttet, so Elder. Andere würden unter Traumata oder starkem Stress leiden, so Elder, zum Beispiel die vierjährige Tochter einer UNICEF-Kollegin, die begonnen habe, sich selbst zu verletzen, indem sie sich die Haare ausreiße und sich an den Oberschenkeln kratze, bis sie blutet.

Israelische Armee meldet „heftige Kämpfe“

Unterdessen steht bei der Offensive der israelischen Armee nach wie vor der nördliche Teil des Gazastreifens im Fokus, den Militärsprecher Jonathan Conricus Dienstagfrüh als „Gravitationszentrum der Hamas“ bezeichnete. Im Kampf gegen die Hamas schlage man aber weiterhin „in allen Teilen des Gazastreifens zu“. Auch die Hamas meldete am Dienstag Kämpfe an mehreren Punkten um Gaza-Stadt, seitens der israelischen Armee gibt es zu den genauen Schauplätzen keine Angaben – gemeldet wurden „heftige Kämpfe“ tief in Gaza, wie es hieß.

Keine Waffenruhe in Gaza

Mit den Worten „jetzt ist die Zeit des Krieges“ hat Premier Netanjahu die Forderung nach einer Waffenruhe in Gaza zurückgewiesen.

Israel: Greifen Tunnelanlagen in Gaza an

„Wir jagen ihre Kommandeure, wir greifen ihre Infrastruktur an, und wann immer es ein wichtiges Ziel gibt, schlagen wir zu“, zitierte unter anderem die BBC den Militärsprecher. Conricus erneuerte zudem Israels Vorwurf, dass die Hamas zivile Infrastruktur im Gazastreifen als Versteck und Zivilisten als Schutzschilde benutze. Konkret verwies er auf das Al-Schifa-Spital, das größte Krankenhaus von Gaza-Stadt.

Die israelische Armee konzentriert sich nach eigenen Angaben jetzt auf die Tunnelsysteme der Hamas im Gazastreifen. Innerhalb des vergangenen Tages seien schätzungsweise 300 Ziele angegriffen worden einschließlich Rampen zum Abschuss von Raketen und andere militärische Einrichtungen der „terroristischen Hamas-Organisation“, erklärte das israelische Militär am Dienstag.

Beschuss von Flüchtlingslager gemeldet, laut AFP 47 Tote

Unterdessen gab es eine schwere Explosion im Flüchtlingslager Dschabalja in Gaza. Die Hamas sprach von Beschuss, was bisher nicht unabhängig bestätigt ist. Auf Videoaufnahmen der Nachrichtenagentur AFP war zu sehen, wie Leichen aus den Trümmern geborgen wurden. Die AFP spricht von mindestens 47 Toten.

Nach Angaben des von der Terrororganisation kontrollierten Gesundheitsministeriums seien mindestens 50 Menschen getötet worden. 150 weitere Menschen seien bei der Bombardierung verletzt worden. Dutzende Menschen seien unter Trümmern verschüttet worden. Unabhängig sind diese Angaben nicht zu prüfen bzw. zu bestätigen. Von israelischer Seite gab es bisher keine Stellungnahme.

Karte von Gaza
Grafik: APA/ORF; Quelle: New York Times/IDF

Jemenitische Huthis reklamieren Angriff für sich

Unterdessen gaben die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen an, sie hätten Gebiete in Israel angegriffen. Eine große Anzahl von Drohnen und „eine große Ladung“ Raketen seien auf „mehrere Ziele des israelischen Feindes“ abgeschossen worden, hieß es in einer Mitteilung der vom Iran unterstützten Rebellen vom Dienstag.

Ein Sprecher sagte in der von der Hhuthi-nahen Nachrichtenseite SABA veröffentlichten Erklärung, „dass das die dritte Operation“ zur Unterstützung der Palästinenser sei und dass sie weiterhin „Angriffe mit Raketen und Drohnen durchführen werden, bis die israelische Aggression endet“. Nach vorigen Angaben der israelischen Armee hatte die Raketenabwehr eine Boden-Boden-Rakete „vom Gebiet des Roten Meeres“ außerhalb Israels abgefangen.

Neue Angriffe auf Hisbollah im Libanon

Israel meldete am Dienstag auch wiederholte Angriffe auf Hisbollah-Stellungen im Libanon. Kampfflugzeuge hätten „Terrorinfrastruktur“ der schiitischen Hisbollah-Miliz im Südlibanon angegriffen, teilte Israels Armee in der Nacht auf Dienstag mit. Zu den Zielen gehörten Waffen und Stellungen der Hisbollah.

In den Tagen zuvor waren nach Angaben der Armee erneut Raketen aus dem Libanon auf Israel abgefeuert worden. An der israelisch-libanesischen Grenze kommt es seit Beginn des Gaza-Krieges zu Kampfhandlungen. Auf beiden Seiten gab es bereits Tote. Die Hisbollah hat Verbindungen zur im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas.

Waffenruhe für Netanjahu derzeit keine Option

Israels Premier Benjamin Netanjahu sprach am Montag bei einer Pressekonferenz indes von „Fortschritten“ im Kampf gegen die Hamas – und schloss eine unter anderem von der UNO geforderte Waffenruhe weiter kategorisch aus.

Netanjahu sagte, in jedem Krieg gebe es ungewollte zivile Opfer. Israel habe den Krieg nicht begonnen, werde ihn aber gewinnen – der Einsatz im Gazastreifen sei ein Kampf zwischen „Zivilisation und Barbarei“. Er rief die Verbündeten auf, Israel zu unterstützen. Eine Waffenruhe wäre für ihn eine „Kapitulation vor der Hamas“.

Zerstörung nach Luftschlag in Gaza
Reuters
Rettungsarbeiten nach einem Luftangriff

„So wie die USA nach der Bombardierung von Pearl Harbor oder dem Terroranschlag vom 11. September keiner Waffenruhe zugestimmt hätten, wird Israel einem Stopp der Kämpfe mit der Hamas nach den schrecklichen Angriffen des 7. Oktobers nicht zustimmen“, sagte Netanjahu am Montag. „Aufrufe an Israel, einer Waffenruhe zuzustimmen, sind Aufrufe, gegenüber der Hamas, gegenüber Terrorismus, gegenüber der Barbarei zu kapitulieren. Das wird nicht passieren.“

USA: „Wir unterstützen eine Waffenruhe derzeit nicht“

Die USA wollen sich den international lauter werdenden Rufen nach einer Waffenruhe bewusst nicht anschließen. „Wir glauben nicht, dass eine Waffenruhe im Moment die richtige Antwort ist“, sagte am Montag der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby. „Wir unterstützen eine Waffenruhe derzeit nicht“, sagte Kirby. Stattdessen sollte über „Pausen“ nachgedacht werden, um Hilfe für die Zivilbevölkerung in den Gazastreifen zu bringen.

Das US-Außenministerium forderte Israel unterdessen auf, die Gewalt jüdischer Siedler im besetzten Westjordanland gegen Palästinenser zu stoppen. Es müssten Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Einwohner getroffen werden. Man habe der israelischen Regierung klargemacht, dass die Angriffe der Siedler inakzeptabel seien und dass sie zur Verantwortung gezogen werden müssten.