Menschen am Explosionsort in Dschabalija
Reuters/Fadi Whadi
„Hamas-Kommandeur getötet“

Israel bestätigt Angriff auf Flüchtlingslager

Nach der tödlichen Explosion im Flüchtlingslager Dschabalja in Nordgaza hat die israelische Armee erklärt, die Gegend bombardiert zu haben. Zum tödlichen Beschuss mit laut der Nachrichtenagentur AFP Dutzenden Toten hieß es von der Armee, dass im Zuge dessen ein Hamas-Kommandeur getötet worden sei, der für die Entsendung von Terroristen nach Israel verantwortlich gewesen sei, um den Terroranschlag vom 7. Oktober zu verüben.

Die „Eliminierung“ des Hamas-Kommandeurs Ibrahim Biari sei „im Rahmen einer großangelegten Operation zur Bekämpfung von Terroristen und terroristischer Infrastruktur erfolgt, die dem Zentralbataillon von Dschabalja angehörten, das die Kontrolle über zivile Gebäude im Gazastreifen übernommen hatte“, hieß es vonseiten der israelischen Armee.

Nach Angaben der Armee sei Biari für alle militärischen Operationen im nördlichen Gazastreifen verantwortlich, seit die Armee ihre Bodenoperation begonnen habe – zudem sei er an mehreren Angriffen auf Israel beteiligt gewesen, die Jahrzehnte zurückliegen.

Schwere Zerstörung und Leichen

Fotos, die ein Reuters-Fotograf an Ort und Stelle aufgenommen hat, zeigen zerstörte Gebäude und Leichen, die aus den Trümmern getragen werden. Zu sehen ist ein großer Einschlagskrater, der von Beton- und Stahltrümmern der eingestürzten Gebäude umgeben ist, die überall verstreut liegen. Dutzende Menschen suchen in den Trümmern nach Überlebenden. Auf einem Bild ist zu sehen, wie eine Leiche mit bedecktem Gesicht aus den Trümmern eines Gebäudes getragen wird.

Tote nach Explosion in Flüchtlingslager in Gaza

In dem Flüchtlingslager Dschabalja im Norden des Gazastreifens hat es laut BBC-Angaben eine Explosion mit mehreren Toten und Verletzten gegeben.

Die BBC zitierte einen Bewohner der betroffenen Gegend, der sagte, es habe sich „wie ein Erdbeben“ angefühlt. Die Hamas sprach umgehend von israelischem Bombardement – was später seitens der israelischen Armee auch bestätigt wurde. Nach Angaben des von der Terrororganisation kontrollierten Gesundheitsministeriums seien mindestens 50 Menschen getötet worden. 150 weitere Menschen seien verletzt worden. Unabhängig sind diese Angaben nicht zu prüfen bzw. zu bestätigen.

Explosionsort in Dschabalija
Reuters/Anas al-Shareef
Enorme Zerstörung im Flüchtlingslager Dschabalja

„Kleine Kinder mit schweren Verbrennungen“

Die NGO Ärzte ohne Grenzen postete auf Twitter einen Bericht ihrer Helfer, der im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt die Notversorgung unterstützten. Nach dem Luftangriff seien viele Verletzte im Krankenhaus behandelt worden, so die NGO. „Kleine Kinder kamen mit tiefen Wunden und schweren Verbrennungen in das Krankenhaus. Sie kamen ohne ihre Familien“, so Mohammed Hawajreh.

„Viele haben geschrien und nach ihren Eltern gefragt. Ich blieb bei ihnen, bis wir einen Platz gefunden hatten, denn das Krankenhaus war voll mit Patienten.“ Ärzte ohne Grenzen kritisierte den Angriff in Dschabalja und verurteilte die „jüngste Episode sinnloser Gewalt“, während sie gleichzeitig einen Waffenstillstand forderte.

Am Mittwoch verurteilte Saudi-Arabien den Angriff „auf das Schärfste“ und beklagte die „unmenschlichen Angriffe“ auf das Flüchtlingslager „durch die israelischen Besatzungstruppen“, so ein Bericht der Nachrichtenagentur AFP.

Größtes Flüchtlingslager im Gazastreifen

Das nördlich von Gaza-Stadt gelegene Lager Dschabalja ist das größte der acht Flüchtlingslager des Gazastreifens. Im Juli 2023 waren dort etwas mehr als 116.000 palästinensische Flüchtlinge von der UNO registriert. Es ist ein kleines, aber dicht besiedeltes Gebiet, das nur 1,4 Quadratkilometer umfasst und größtenteils aus Wohngebäuden besteht. Zusammen mit dem Flüchtlingslager al-Schati liegt Dschabalja in einem Gebiet, das Israel zur Evakuierungszone erklärt hat.

Israel treibt Offensive gegen Hamas voran

Die israelischen Streitkräfte treiben ihre Offensive gegen die radikalislamische Terrororganisation Hamas im Gazastreifen voran. Im Fokus stehe nach wie vor der nördliche Teil des Gazastreifens. Im Kampf gegen die Hamas schlage man aber weiterhin „in allen Teilen des Gazastreifens zu“. Außerdem lehnt Ministerpräsident Netanyahu – trotz internationaler Rufe – eine Feuerpause ausdrücklich ab. Der UNO-Sicherheitsrat warnt unterdessen vor einem Zusammenbruch der zivilen Ordnung.

Israelische Armee meldet „heftige Kämpfe“

Zugleich steht bei der Offensive der israelischen Armee nach wie vor der nördliche Teil des Gazastreifens im Fokus, den Militärsprecher Jonathan Conricus Dienstagfrüh als „Gravitationszentrum der Hamas“ bezeichnete. Im Kampf gegen die Hamas schlage man aber weiterhin „in allen Teilen des Gazastreifens zu“. Auch die Hamas meldete am Dienstag Kämpfe an mehreren Punkten um Gaza-Stadt, seitens der israelischen Armee gibt es zu den genauen Schauplätzen keine Angaben – gemeldet wurden „heftige Kämpfe“ tief in Gaza, wie es hieß.

Israel: Greifen Tunnelanlagen in Gaza an

„Wir jagen ihre Kommandeure, wir greifen ihre Infrastruktur an, und wann immer es ein wichtiges Ziel gibt, schlagen wir zu“, zitierte unter anderem die BBC den Militärsprecher. Conricus erneuerte zudem Israels Vorwurf, dass die Hamas zivile Infrastruktur im Gazastreifen als Versteck und Zivilisten als Schutzschilde benutze. Konkret verwies er auf das Al-Schifa-Spital, das größte Krankenhaus von Gaza-Stadt.

Die israelische Armee konzentriert sich nach eigenen Angaben jetzt auf die Tunnelsysteme der Hamas im Gazastreifen. Innerhalb des vergangenen Tages seien schätzungsweise 300 Ziele angegriffen worden einschließlich Rampen zum Abschuss von Raketen und anderer militärischer Einrichtungen der „terroristischen Hamas-Organisation“, erklärte das israelische Militär am Dienstag.

Cupal (ORF) über Israels Premier Netanjahu

74 Prozent der Bevölkerung geben Premierminister Netanjahu die Schuld an der Katastrophe, die sich am 7. Oktober ereignete. Kann das jetzt – mitten in der militärischen Offensive – auch eine innenpolitische Front für den Regierungschef bringen? ZIB-Korrespondent Tim Cupal berichtet.

Waffenruhe für Netanjahu derzeit keine Option

Israels Premier Benjamin Netanjahu sprach am Montag bei einer Pressekonferenz unterdessen von „Fortschritten“ im Kampf gegen die Hamas und schloss eine unter anderem von der UNO geforderte Waffenruhe weiter kategorisch aus. Netanjahu sagte, in jedem Krieg gebe es ungewollte zivile Opfer. Israel habe den Krieg nicht begonnen, werde ihn aber gewinnen – der Einsatz im Gazastreifen sei ein Kampf zwischen „Zivilisation und Barbarei“. Er rief die Verbündeten auf, Israel zu unterstützen. Eine Waffenruhe wäre für ihn eine „Kapitulation vor der Hamas“.

„So wie die USA nach der Bombardierung von Pearl Harbor oder dem Terroranschlag vom 11. September keiner Waffenruhe zugestimmt hätten, wird Israel einem Stopp der Kämpfe mit der Hamas nach den schrecklichen Angriffen des 7. Oktobers nicht zustimmen“, sagte Netanjahu am Montag. „Aufrufe an Israel, einer Waffenruhe zuzustimmen, sind Aufrufe, gegenüber der Hamas, gegenüber Terrorismus, gegenüber der Barbarei zu kapitulieren. Das wird nicht passieren.“

Karte von Gaza
Grafik: APA/ORF; Quelle: New York Times/IDF

Hamas kündigt baldige Freilassung ausländischer Geiseln an

Unterdessen kündigte der bewaffnete Arm der Hamas am Dienstag die baldige Freilassung mehrerer ausländischer Geiseln an. „Wir haben die Vermittler informiert, dass wir eine bestimmte Zahl von Ausländern in den kommenden Tagen freilassen“, sagte der Sprecher der Al-Kassam-Brigaden, Abu Obeida, in einer im TV übertragenen Rede. Bei ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober hatten Hamas-Kämpfer etwa 240 Geiseln genommen. Vier Geiseln ließ die militante Palästinenserorganisation bisher frei, eine verschleppte Soldatin wurde von der Armee am Montag befreit.

WHO warnt vor „Gesundheitskatastrophe“

Zugleich ist die Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen dramatisch. Es drohe eine „Katastrophe für die öffentliche Gesundheit“, hieß es von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er bestehe die Gefahr von Todesfällen, die nicht direkt mit der Bombardierung im Zusammenhang stehen.

„Es ist eine drohende Katastrophe für die öffentliche Gesundheit, die durch die Massenvertreibung, das Leben auf engstem Raum und Schäden an der Wasser- und Sanitärinfrastruktur droht“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Dienstag. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 800.000 Menschen in den Süden geflüchtet sind. Auch aufgrund dieser Zustände würden Menschen sterben.

WHO schlägt Alarm

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm wegen der Lage im Gazastreifen. Es zeichne sich eine unmittelbar bevorstehende „Katastrophe für die öffentliche Gesundheit ab“, herbeigeführt etwa durch die Massenvertreibung und Schäden an der Wasser- und Sanitärinfrastruktur.

UNICEF: Säuglingen droht Dehydratation

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) warnte vor dem Risiko von Todesfällen bei Säuglingen aufgrund von Dehydratation, da die Wasserproduktion nur fünf Prozent des Normalniveaus beträgt. „Der Tod von Kindern aufgrund von Dehydratation, insbesondere von Säuglingssterblichkeit aufgrund von Dehydratation, stellt daher eine wachsende Bedrohung dar“, sagte UNICEF-Sprecher James Elder. Kinder würden auch durch das Trinken von Salzwasser krank. Der UNICEF-Sprecher warnte vor dem massenhaften Tod von Kindern. Schon jetzt sei das Palästinensergebiet zu einem „Friedhof für Kinder“ geworden, künftig könnte sich die Lage weiter verschlimmern, so Elder

Behelfsmäßiger Wassertransport in Gaza
Reuters/Mohammed Fayq Abu Mostafa
Mit von Tieren gezogenen Karren wird Wasser aus einer Entsalzungsanlage transportiert

USA: „Unterstützen Waffenruhe derzeit nicht“

Die USA wollen sich den international lauter werdenden Rufen nach einer Waffenruhe bewusst nicht anschließen. „Wir glauben nicht, dass eine Waffenruhe im Moment die richtige Antwort ist“, sagte am Montag der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby. „Wir unterstützen eine Waffenruhe derzeit nicht“, sagte Kirby. Stattdessen sollte über „Pausen“ nachgedacht werden, um Hilfe für die Zivilbevölkerung in den Gazastreifen zu bringen.

Das US-Außenministerium forderte Israel unterdessen auf, die Gewalt jüdischer Siedler im besetzten Westjordanland gegen Palästinenser zu stoppen. Es müssten Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Einwohner getroffen werden. Man habe der israelischen Regierung klargemacht, dass die Angriffe der Siedler inakzeptabel seien und dass sie zur Verantwortung gezogen werden müssten. Am Freitag wird US-Außenminister Antony Blinken zu einem Besuch in Israel erwartet.

UNO ruft zum Handeln auf

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich unterdessen „zutiefst beunruhigt“ über die Verschärfung der Kämpfe geäußert. Zur Eskalation der Lage gehörten „Bodeneinsätze der israelischen Armee begleitet von intensiven Luftangriffen“ sowie der „anhaltende Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel“, sagte Guterres am Dienstag in New York. „Zivilisten haben von Beginn an die Hauptlast der gegenwärtigen Kämpfe getragen“, kritisierte er. Zudem bestehe die Gefahr einer Ausweitung des Kriegs über den Gazastreifen hinweg.

Der UNO-Generalsekretär bekräftigte seine „vollständige Verurteilung der Terrorakte“ der Hamas bei ihrem Großangriff auf Israel am 7. Oktober. „Es gibt niemals eine Rechtfertigung für das Töten, Verletzen und die Entführung von Zivilisten“, sagte Guterres und forderte die „sofortige und bedingungslose Freilassung“ aller von der Hamas verschleppten Geiseln.