Palästinenser an der Grenze zu Ägypten
Reuters/Staff
Gazastreifen

Hunderte konnten nach Ägypten ausreisen

Hunderte Menschen konnten mit der Öffnung des Grenzübergangs Rafah am Mittwoch den Gazastreifen Richtung Äygpten verlassen. Dutzende Palästinenser, darunter viele Schwerverletzte, wurden zu Behandlungen nach Ägypten gebracht. Auch zahlreiche Ausländer und Ausländerinnen, darunter 31 Menschen aus Österreich, reisten aus.

Es war das erste Mal seit dem 7. Oktober, dass Menschen über den einzigen Grenzübergang, der nicht von Israel kontrolliert wird, ausreisen konnten. Zunächst wurden Verletzte zur Behandlung über die Grenze nach Ägypten gebracht, ägyptische TV-Sender zeigten Bilder von Krankenwagen, die den erstmals für Personen geöffneten Grenzübergang Rafah überquerten. Laut einer Mitteilung der Grenzbehörde in Gaza sollten am Mittwoch 81 Verletzte über die Grenze gebracht werden.

Ägypten hat ein Feldlazarett in Scheich Suweid eingerichtet, etwa 15 Kilometer von Rafah entfernt. Die schwersten Fälle sollen in Krankenhäuser in der Region Sinai und bis nach Ismailia gebracht werden. 19 Personen der ersten Gruppe sollen in kritischem Zustand sein. Laut der radikalislamischen Hamas wurden mehr als 20.000 Menschen bisher im Gazastreifen verletzt. 1,4 Millionen Menschen sind nach UNO-Angaben auf der Flucht.

Ägyptischer Arzt prüft die Temperatur bei einem Kind
Reuters/The Egyptian Health Ministry
Die Ausreisenden wurden am Übergang einem kurzen medizinischen Test unterzogen

Ministerium „erleichtert“ über Ausreisen

Ausreisen konnten auch Hunderte Ausländer und Ausländerinnen, darunter 31 Österreicher und Österreicherinnen. Dabei handle es sich hauptsächlich um Doppelstaatsbürger, die in Gaza ihren Lebensmittelpunkt haben oder auf Familienbesuch waren, darunter zehn Minderjährige, teilte das Außenministerium am Abend mit. Man sei „sehr erleichtert, dass es heute am späten Nachmittag gelungen ist, eine erste Gruppe von 31 Österreicher:innen (…) in Sicherheit zu bringen“.

Cupal (ORF) über Österreicher in Gaza

ORF-Korrespondent Tim Cupal über die aktuelle Lage der ausreisenden Österreicher und Österreicherinnen im Gazastreifen.

Auch ein Mitarbeiter des österreichischen Vertretungsbüros Ramallah samt Familie sowie zwei österreichische Ärztinnen, die für eine internationale Organisation in Gaza tätig waren, seien darunter. Den Menschen gehe es „den Umständen entsprechend gut, sie sind physisch wohlauf“. An Ort und Stelle sei noch eine Handvoll ausreisewilliger Österreicher und deren Angehörige. Man werde nichts unversucht lassen, „um auch ihnen eine rasche und vor allem sichere Ausreise zu ermöglichen“, so das Außenministerium.

„In den letzten Wochen sind die diplomatischen Kanäle heiß gelaufen, um bei Partnern in der Region auf eine Öffnung des Grenzübergangs Rafah hinzuwirken“, so Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Sein Dank gelte „den ägyptischen und israelischen Partnern, dass sie die Ausreise ermöglicht haben“, sowie seinen Mitarbeitern in Ramallah, Tel Aviv und Kairo. Die Ausgereisten werden von einem Krisenteam der österreichischen Botschaft in Ägypten empfangen, die Botschaft hilft auch bei der Organisation der Weiterreise.

Hunderte Ausländer verließen Gazastreifen

Ausreisen konnten auch Menschen aus Deutschland, den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien. Laut Augenzeugen und dem Roten Halbmond sind unter den Ausreisenden auch Bürgerinnen und Bürger aus Kanada, Finnland, Tschechien, Bulgarien, Japan, Australien und Indonesien. Auch Menschen aus Ägypten, Jordanien und Algerien warteten auf eine Ausreise. Offen ist bisher, ob und wann die Grenze für Ausreisen erneut geöffnet wird.

Menschen überqueren den Grenzübergang in Rafah
APA/AFP/Mohammed Abed
Zahlreiche Menschen kamen zum Grenzübergang Rafah

Über 500 Menschen dürften am Mittwoch ausreisen, hieß es vom Roten Halbmond und einem Regierungsvertreter Ägyptens. Laut BBC sind auch 22 Personen von Ärzte ohne Grenzen darunter. Wie viele Ausländer und Palästinenser mit zweitem Pass sich derzeit im Gazastreifen aufhalten und wie viele ihn verlassen wollen, ist unklar. Von Deutschland und den USA hieß es, man werde daran arbeiten, dass weitere Personen den Gazastreifen verlassen können.

Internationale Vermittlung

Schon seit Dienstagabend hatten sich Berichte verdichtet, wonach Ägypten den Grenzübergang öffnen könnte. Kairo wolle verwundete Palästinenser in Ägypten medizinisch versorgen, wie mehrere Quellen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP angaben. Am Dienstagabend hatte ein Sprecher des US-Außenministeriums von „sehr guten Fortschritten“ bei der Frage der Ausreise von US-Bürgern aus dem Gazastreifen gesprochen.

Ägypten, Israel und die Hamas hatten sich einem Insider zufolge unter Vermittlung Katars darauf geeinigt, Inhabern ausländischer Pässe und einigen Schwerverletzten zu erlauben, den Gazastreifen zu verlassen. Ägypten soll eine Liste mit 4.000 Verletzten übermittelt worden sein, zitierte AFP einen Hamas-Sprecher. US-Präsident Joe Biden dankte Mittwochabend explizit Katar für seine Vermittlungsrolle.

Tote bei Angriff auf Flüchtlingslager

Unterdessen soll es bei neuen Angriffen Israels auf das Flüchtlingslager Dschabalja im Gazastreifen laut Hamas Dutzende Tote und Verletzte gegeben haben. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig bestätigt werden. Schon am Dienstag gab es einen Angriff mit zahlreichen Toten. Die israelische Armee erklärte, Ziel des Angriffs seien Hamas-Stellungen gewesen, unter den Toten sei ein Hamas-Kommandeur. UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths verurteilte den Angriff vom Dienstag scharf.

Laut eigenen Angaben kann Israels Armee noch nicht sagen, wie viele Zivilisten und Zivilistinnen im Flüchtlingslager Dschabalja getötet wurden. Die im Gazastreifen herrschende Hamas verschanze sich dort absichtlich hinter ziviler Infrastruktur, sagte Militärsprecher Daniel Hagari am Mittwoch vor Journalisten. „Sie wollen dieses Bild der Zerstörung.“ Er sprach von einem Dilemma für die Armee. Bei den Angriffen am Dienstag und Mittwoch seien jeweils hohe Hamas-Kommandaten getötet worden, so das israelische Militär.

UNO schließt Kriegsverbrechen nicht aus

Zahlreiche Staaten kritisierten den Angriff auf das Flüchtlingslager. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen schloss unterdessen nicht aus, dass der Luftangriff auf das Flüchtlingslager ein Kriegsverbrechen darstellen könnte. „Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und des Ausmaßes der Zerstörung (…) sind wir ernsthaft besorgt, dass es sich um unverhältnismäßige Angriffe handelt, die Kriegsverbrechen darstellen könnten“, so das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte auf Twitter (X).

Erste Verletzte aus Gaza in Ägypten

Erste Verletzte aus dem Gazastreifen sind am Mittwoch zur Behandlung über die Grenze nach Ägypten gebracht worden. Auch Ausländer konnten ausreisen.

Aufnahmen zeigen die verheerenden Folgen des Angriffs vom Dienstag, bei dem Armeeangaben zufolge auch Tunnel der Hamas einstürzten und einen Krater hinterließen. Unter den Opfern sind nach palästinensischen Angaben viele Zivilisten. Die Kämpfe im Gazastreifen richteten sich aber nicht gegen die dortige Zivilbevölkerung, so Hagari, der erneut an die Menschen in Dschabalja und anderen Gebieten im Norden des Küstengebiets appellierte, sich in den Süden zu begeben. Die Armee schaffe dafür weiterhin „sichere Korridore“.

Ägypten hatte Grenzen dichtgemacht

Ägypten hatte bisher eine Grenzöffnung abgelehnt. In der ägyptischen Führung gestaltet sich die Unterstützung für die „palästinensische Sache“ anders als in anderen arabischen Ländern. Einerseits werden die Angriffe Israels auf Palästinenserinnen und Palästinenser als Zwangsmaßnahmen eines „Besatzungsstaates“ verurteilt.

Andererseits wird aber laut betont, dass man Ägyptens Sicherheit und Interessen verteidigen werde – damit ist auch die Verweigerung weiterer Aufnahmen gemeint, im Land sind bereits neun Millionen Geflüchtete. Man will Hilfe für Gaza ermöglichen, aber die Grenze soll dicht bleiben. Dazu, so meldete die Nachrichtenagentur AP, ergreife Ägypten derzeit auch „beispiellose Maßnahmen“, um die Grenze zu sichern.